Erstellt am: 14. 3. 2015 - 14:42 Uhr
James Bond mit Dachschaden
Eine alte Popkulturregel besagt: Die Kopie ist manchmal besser als das Original. Okay, sagen wir zumindest unterhaltsamer, greller, im idealen Fall bizarrer. Zumindest im Bereich des Genrekinos lässt sich dem nicht widersprechen.
Es gibt beispielsweise billige italienische Star-Wars-Verschnitte aus den späten Siebziger Jahren, die sind psychedelischer als George Lucas zu träumen wagte. Überhaupt produzierten römische Filmstudios in ihren Glanzzeiten am Fließband trashige Zombieschocker, schundige Italowestern oder knallbunte Monumentalschinken, jeder Erfolgsfilm wurde zum Butterbrot-Tarif kopiert.
Unter all den überzogenen Nachahmungen, von denen viele bis heute nichts an ihrer irrlichternden Faszination eingebüßt haben, findet sich ein Subgenre, das wohl nur mehr einen winzigen Sammlerkreis beschäftigt: die James-Bond-Spinoffs.
Als der Geheimagent ihrer Majestät 1962 in der Person von Sean Connery den Sprung vom Buchladen auf die Kinoleinwand absolviert, bricht eine Welle dieser Spinoffs los. Mit herrlichen Titeln wie "008: Operation Exterminate" oder "Agent 077: Mission Bloody Mary" surfen Italiens Exploitation-Könige blitzschnell auf den Erfolgswogen mit. Diese halbernsten Euro-Versuche, sich an die Begeisterung für Superspion 007 anzuhängen, riefen wiederum diverse Filmproduzenten aus Hollywood auf den Plan.
Centfox
Waffenspezialist und Womanizer
Überhaupt übte das Berufsbild Geheimagent - undenkbar in einer Gegenwart, in der NSA und CIA als ultimatives Übel gelten - damals eine magische Anziehung auf das Kinopublikum aus. Männer rund um den Globus wollten in schicken Maßanzügen diabolische Verbrecher jagen, dabei möglichst ungesund dem Hedonismus frönen und trotzdem durchtrainiert im Bett mit den schönsten Frauen überhaupt landen.
Interessant war, dass dieses Rolemodel des Playboy-Spions, das auch vom einschlägigen Herrenmagazin propagiert wurde, einem anderen Trend der Sixties diametral entgegenstand. Die aufkommende Blumenkinder-Bewegung propagierte ein weicheres, esoterisch angehauchtes Männerbild, dass den Konservativismus der prügelnden Testosteron-Lackel verachtete.
Derek Flint versuchte beide Facetten des Zeitgeists zu vereinigen. Hollywood-Raubein James Coburn schlüpfte Mitte der Sechziger Jahre für zwei fantastische Filme lang in die Rolle des Secret-Service-Topagenten, der auch Yoga-Techniken beherrscht, fernöstlichen Kampfsport statt Boxen liebt und mit Delfinen sprechen kann. Natürlich brilliert "Our man Flint" auch als Waffenspezialist und Womanizer. Die damals noch so liebevolle deutsche Synchronisation erweist sich übrigens als Kunstwerk für sich.
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Augenzwinkernde Agenten
Parallel dazu spielte Götterstimme und Schnapsnase Dean Martin in gleich vier Filmen den Geheimagenten Matt Helm, frei nach den Büchern eines gewissen Donald Hamilton. Während der Autor die Figur als eiskalten Killer anlegte, der Antiamerikaner ohne mit der Wimper zu zucken exekutiert, tänzelt Dean Martin als sanft betrunkener Hallodri mit flotten Sprüchen durch die sexy Sixties-Szenerie.
Mit der Verschärfung des Kalten Kriegs und den Massakern in Vietnam hatten aber auch die parodistischen Playboy-Spione irgendwann ausgedient. Die James-Bond-Reihe selber übernahm mit Hauptdarsteller Roger Moore allerdings das Augenzwinkern als Attitüde und spätestens mit Filmen wie "Moonraker" (1979) waren die Grenzen zur Persiflage auf charmante Weise verschwommen.
Spulen wir jetzt, um nicht vollständig den Rahmen hier zu sprengen, in die späten Neunziger Jahre vor. Sowohl Derek Flint als auch Matt Helm als natürlich James Bond himself stehen für Austin Powers Pate, den swingenden Sechziger-Spion, mit dem Mike Myers den Humor auf die Spitze treibt. Nach drei Filmen, die gegen Ende hin schon etwas krampfhaft jedes Agentenfilmklischee ausschlachten, ist erstmal Schluss mit Lustig.
New Line
Schnöselhafte Superspione
Die Macher der originalen Bond-Filme trafen mit "Casino Royale" anno 2006 wohl die einzig sinnvolle Entscheidung und wagten einen harten, glaubwürdigeren, ansatzweise realistischeren Neustart. Wem die Abenteuer von Daniel Craig aber zu wenig schwelgerisch eskapistisch daherkommen, der wurde bei schnödem Hollywood-Agentenklamauk wie "Knight and Day" (2010) oder "This Means War" (2012) noch weniger fündig.
Jetzt verspricht allerdings ein Film, den leichtfüßigen Camp der älteren 007-Streifen und vor allem der beschriebenen Spin-Offs zu reanimieren. Matthew Vaughn und Mark Millar, das sarkastische Duo hinter dem irrwitzigen Actionepos "Kick-Ass", präsentieren das retrofuturistische Spektakel "Kingsman: The Secret Service", basierend auf den gleichnamigen Comics.
Colin Firth spielt Harry Hart, den schnöselhaften Superspion der geheimen Kingsman-Organisation, die von einem Herrenmodegeschäft in der Saville Row aus das Böse bekämpft. Als ein Kollege im Fronteinsatz stirbt, rekrutiert er den jungen Eggsy (Newcomer Taron Egerton) als Nachfolger. In einem beinharten Training soll der Arbeiterklassebub in einen tödlichen Gentleman-Spion verwandelt werden. Gerade rechtzeitig, denn ein diabolischer Medienmogul (Samuel L. Jackson) bedroht die Welt.
Centfox
Perverse Mischung aus Hommage und Demontage
Zwar wird beinahe das ganze überzeichnete Agentenkino in "Kingsman" liebevoll zitiert, inklusive dazugehöriger TV-Serienklassiker wie "The Prisoners" (Mit Schirm, Charme und Melone) und "The Men From U.N.C.L.E". Wer "Kick-Ass" gesehen hat, weiß aber, dass sich Vaughn und Millar nicht mit vergnüglichen Referenzen begnügen. Sie zerfleddern nun das Spionage-Genre und seine Protagonisten ebenso heftig, wie sie zuvor Comicfilme auseinandernahmen.
Nicht selten wirkt die Mischung aus liebevoller Hommage und bitterböser Demontage gewollt pervers. Edle Eleganz trifft auf abgründigen Witz, flotte Soundtrackmusik untermalt brutale Blutbäder, lässige Oneliner lösen sich mit sexistischen Derbheiten ab. Blendet man die Politik hinter diesem Spiel der Gegensätze nicht aus, wird es richtig tückisch.
Denn einerseits wird in "Kingsman" niemand geschont, kriegen Nadelstreifträger und Workingclass-Chavs ebenso ihr Fett ab wie die Geeks aus dem Silicon Valley. Wenn dann aber das finale Schlachtfest ausbricht, gewinnt ein Zynismus die Oberhand, der sich durch das Gesamtwerk des Comic-Revoluzzers Mark Millar zieht, von "Wanted" über "Kick-Ass" bis eben jetzt zu "Kingsman: The Secret Service".
Centfox
Derek Flint, Matt Helm oder auch Roger Moore’s James Bond hätten bei dieser gewaltlüsternen Ironie wohl die Augenbrauchen hochgezogen. Vielleicht sind aber psychotische Dandyspione, die mit futuristischen Gadgets auf verlorener Position kämpfen, einfach typisch für das ideologisch kaputte Jahr 2015. Was bleibt ist jedenfalls ein seltsamer, gewollt subversiver und schon ziemlich sehenswerter Actioncomedythriller mit Dachschaden.