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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

2. 4. 2016 - 13:49

"wollen schon"

Zu elft einen Roman schreiben über den langen Weg zur Kollektivität.

Wenn viele Leute gemeinsam an einem Text schreiben, dann ist das chaotisch und inspirierend. Am wiki-Roman One Million Penguins haben knapp 1.500 Leute mitgeschrieben. Das italienische Schreibkollektiv Wu Ming war lange zu fünft.

Das Roman-Kollektiv besteht aus der Künstlerin und Gastronomin Natalie Deewan, dem Germanisten Florian Haderer, der Philosophin Heide Hammer, der Migrationsforscherin Alexandra König, der Kulturwissenschafterin Katja Langmaier, der Sozialwissenschafterin Sonja Mönkedieck, der Rassismusforscherin
Fanny Müller-Uri, der Autorin Veza Quinhones-Hall, dem Politikwissenschafter Thomas Schmidinger, der Autorin Eva Schörkhuber und dem Autor und Aktivisten Kurto Wendt

Für den Kollektiv-Roman "wollen schon", der im Zaglossus-Verlag erschienen ist, haben sich elf WissensarbeiterInnen zu einer, wie sie sagen, "Schreibbande" zusammen gefunden. Dreieinhalb Jahre Zeit hat sich die Gruppe bis zur Vollendung des Romans gelassen. "Manchmal kann Langsamkeit ein Vorteil sein", sagt Natalie Deewan.

Am Anfang stand ein Rahmenkapitel als Ausgangspunkt:

Die Wissenschafterin Hannah Wolmut wird zu einer Testamentseröffnung eingeladen. Ihr Professor, der sie vor Jahren wegen ihres Forschungs- und Freiheitsdrangs am Rande einer Konferenz einmal ausgelacht hat, vermacht ihr zwei Millionen Euro Stiftungsgeld für drei Jahre freie Forschung in einem Döblinger Seminarschloss.

Buchcover

Zaglossus Verlag

Hannah darf einladen wen sie will, arbeiten woran sie will. Der verstorbene Professor prophezeit ihr schriftlich aus dem Grab heraus: woran auch immer sie arbeiten würde, die Ergebnisse werden bescheiden sein.

Nach der Testamentseröffnung steht Hannah whiskytrinkend vorm Spiegel des Hotelzimmers und malt sich die zukünftige Disziplin ihres Forschungskollektivs aus. Verboten sein wird: Heurigenbesuche, die Nennung des Namens des Verblichenen, Wiener Schnitzel und Backhendlsalat.

"All das, was Wien an Rührseligkeiten bot, um die vorherrschende autoritäre Realverfassung der Gesellschaft zu verbergen, sollte verboten werden. Strengstens!"

Hannah beginnt nun Leute einzuladen, FreundInnen, KollegInnen von früher, global verstreute, individuell karriereorientierte, erschöpfte, smarte Linke.

Die Schreibbande hat auf das Rahmenkapitel reagiert und Figuren erfunden, die Hannah aus den Sackgassen des Kognitariats zu einem gemeinsamen verheißungvollen Projekt ruft. Zweifel und Halbwissen über das Gelingen und Scheitern solcher kollektiver Versuche verbinden die Generation von großteils prekär universitär Beschäftigten.

"...der Wissenschaftsbetrieb, in dem Peter sich notgedrungen aufhalten musste, um fürs Forschen bezahlt zu werden, war ihm inzwischen ein Graus geworden.

Als er begonnen hatte zu studieren, war ihm die ganze Sache mit der Prekarität noch irgendwie romantisch erschienen. Inzwischen wusste er wie zermürbend die Lage in Oesterreich war. Die österreichische Forschungs-, Wissenschafts- und Universitätspolitik war seit Jahren darauf ausgerichtet, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler systematisch zu verheizen.

Alle Studienkolleg_innen, die eine zeitlich befristete Stelle an einem Institut bekommen hatten, hatten danach ihre Uni wieder verlassen müssen. Man dürfe aus arbeitsrechtlichen Gründen keine Kettenverträge zulassen, hatte es von Seiten der Personalabteilung geheißen, und unbefristete Anstellungen wuerden keine mehr vergeben.

Warum sollte er also nach Wien zurückkehren und das Angebot aus Ohio ablehnen? Am Ende der drei Jahre an Hannah Wolmuts Institut würde er doch wieder nur vor derselben Situation stehen, in der er sich jetzt befand. Auch wenn der Gedanke, einmal aus dem permanenten Publikationszwang herauszukommen und mit anderen gemeinsam möglicherweise auch kollektiv zu forschen, jedenfalls aber in ständigem Austausch zu stehen, wirklich attraktiv war, auch wenn es das war, wovon er immer geträumt hatte, vielleicht würden sich drei Jahre der Mitarbeit in diesem Freien Institut am Ende auch schlicht als Lücke in seinem CV herausstellen.

Solcherart zweifelnd beschloss er, sich vorerst nicht zu entscheiden, sondern stattdessen ein wenig zu schlafen."

Freiheit - wozu?

Schreibende sitzen am tisch

kollektiv roman

Das Gedankenexperiment "Womit würdest du dich beschäftigen, was würdest du tun, wenn du dir keine Sorgen ums Geld machen müsstest?" erinnert an das soziale Experiment Mein Grundeinkommen. Den ProtagonistInnen im Roman, deren Bewusstsein dem "omnipräsenten Bilanzierungsgeist" ihrer Kopfarbeit verhaftet bleibt, fällt es schwer im utopisch "Freien Institut" anzukommen. Die Erwartunsghaltungen sind verworren.

Wie politisch wäre die "freie Forschung"? Wie frei eine Praxis in einer Döblinger Villa, im Bonzenbezirk? Wie denkend dem durchökonomisierten geisteswissenschaftlichen Bankrott entkommen? Neue gemeinsame Ziele?

Reflektionen über eigene Privilegien-Abgabe, Leiden am Konkurrenzbetrieb, sexuelle Ausschweifungen - bei der Vielzahl an Stimmen und Figuren fehlt dem Roman der Kern einer Handlung. Dafür wird in dem Experiment eine kollektive Sehnsucht deutlich: der Ausbruch aus den Ego-Trips, aus den viel zu engen Ich-Gehäusen, die überfordern und doch funktional sind in einer egomanischen Gesellschaft.

Der Roman endet bevor Hannahs "Freies Institut" inauguriert wird. Eine Haushälterin, ein Koch, ein Gärtner sollen den eingeladenen WissenschaftlerInnen gleichgestellt, die Hausarbeit und die 3.000 Euro monatlich pro Nase gleichmäßig aufgeteilt werden.

Ist der Roman "wollen schon" eine Vorübung für den Entwurf nicht nur eines "Freien Instituts", sondern einer freien Welt? Und wie könnte die aussehen?

"Die gewährte Moeglichkeit, all die Leeren mit all dem zekauten Brei zu füllen, unterwegs ohne je anzukommen, das Kauen selbst ist die Freiheit, nicht das Gesättigtwerden. Das Unterwegssein, das Ein- und Aussteigen, das Wechseln der Rollen im Auto, die Geschwindigkeit markiert das Freisein, nicht die systematische Verfolgung eines Ziels."