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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

21. 2. 2016 - 18:30

Investorenschutz wieder auf dem TTIP-Tapet

Am Montag wird der im Oktober vorgestellte, von den USA bisher nicht kommentierte EU-Vorschlag für ein permanentes TTIP-Schiedsgericht den USA offiziell präsentiert.

Am Montag treten die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP in ihre "intensive Phase", denn in dieser zwölften Runde wird der europäische Vorschlag für eine Schiedsgerichtsreform erstmals diskutiert. Der Vorschlag ist zwar bereits seit Oktober bekannt, doch die USA haben sich bis jetzt nicht offiziell dazu geäußert. Damit ist der strittigste Punkt, der wegen massiver Proteste 2014 ausgesetzt wurde, wieder auf dem Verhandlungstisch. Auch die bisher ausgesparten Kapitel zum Chemie- bzw. Agrarsektor kommen erstmals aufs Tapet.

Ebenfalls am Montag wird Cecilia Malmström in Wien erwartet, die erste Station der EU-Handelskommissarin ist eine Diskussionsveranstaltung mit TTIP-Kritikern in der Arbeiterkammer am Montag vormittag. Max Schrems, dessen erfolgreiche Klage gegen die "Safe Harbour"-Regelung auch die rechtliche Basis für die TTIP-Datentransfers gekippt hatte, tritt am Montag an der New Yorker Columbia University auf. Thema ist der "digitale Graben" zwischen Europa und den USA in Sachen Datenschutz.

EU-Handeskommissarin Cecilia Malmström beui einer Diskussion mit Kritikern in Belgien

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EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bei einer Veranstaltung des gewerkschaftsnahen Transatlantic Consumer Dialogue in der vergangenen Woche in Brüssel. Auch in Wien wird die nimmermüde Kommissarin ausschließlich auf Kritiker treffen.

Schiedsgerichte, europäisch

In Europa traf der Vorschlag der Kommission, das bisherige Prozedere der Schiedsgerichte in den berüchtigten Investorenschutzabkommen (ISDS) durch ein "Investment Court System" (ICS) zu ersetzen, auf große Skepsis. Zwar soll das vielkritisierte Ad-Hoc-Prozedere dieser Verfahren durch einen definierten Mechanismus ersetzt und ein fixes Gremium von Schiedsrichtern, die über richterliche Erfahrung verfügen, eingesetzt werden. Bisher konnten sich klagewillige Konzerne selbst Schiedsrichter suchen, die dann mit den Vertretern der beklagten Staaten hinter verschlossenen Türen verhandelten. Anders als die bisherigen ISDS-Verfahren sollen kommende ICS-Verhandlungen bis zu einem gewissen Grad öffentlich sein und auch eine Berufungsmöglichkeit ist erstmals vorgesehen.

Im Jänner wurde in den USA die mit 15 Milliarden Dollar höchstdotierte Klage in der Geschichte der Investorenschutzabkommen überhaupt eingereicht. Geklagt hatte der Pipeline-Betreiber TransCanada, nachdem das heftig umstrittene Keystone-XL-Projekt im November eingestellt worden war.

Mit einem ordentlichen Gericht sind die ICS dennoch nicht zu vergleichen, das hatte auch der deutsche Richterbund Anfang Februar klargestellt. Es gebe weder Bedarf noch eine rechtliche Basis für ein solches Gericht, die Annahme, dass es im deutschen Rechtssystem keinen ausreichenden Rechtsschutz gebe, entbehre jeder Grundlage, hieß es in der Resolution des deutschen Richterbunds. Diese Schiedsgerichtsverfahren wurden während der 60er Jahre eіngeführt, um Investitionen aus der westlichen Welt in Entwicklungsländern mit wenig vertrauenswürdigen Rechtssystemen abzusichern. In den TTIP-Verhandlungen stehen einander hingegen zwei hochentwickelte Rechtssysteme gegenüber.

Max Schrems an der Columbia University

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Agrar, Chemie, Grenzwerte

Gegen Österreich läuft seit Juli 2015 eine mit 200 Millionen Dollar dotierte Klage der maltesischen Briefkastenfirma B.V. Belegging-Maatschappij Far East vor dem ICSID-Schiedsgericht wegen angeblicher Wertschädigung der Meinl Bank, deren Eigentümer die Firma ist.

Mit den Kapiteln "Agrar" und "Chemie" werden in dieser "Intensivphase" - wie sie die EU-Kommission bezeichnet hat - die inhaltlich kontroversiellsten Abschnitte des gesamten TTIP-Vorhabens angegriffen. In diesen beiden Sektoren, die aus gutem Grund bis jetzt ausgespart geblieben waren, prallen zwei so konträre Vorgangsweisen und Methoden aufeinander, dass Kompromisse eigentlich ausgeschlossen sind. Das europäische Vorsorgeprinzip im Umgang mit Nahrungsmitteln und Chemie wird von der US-Seite als Handelshemmnis und protektionistische Maßnahme betrachtet, die europäische Ablehnung von Wachstumshormonen und genetisch veränderten Pflanzen wird in den USA wiederum als "unwissenschaftlich" angesehen. Gerade in der aktuellen Debatte um ein Verbot des Pestizids Glyphosat fiel dieses "Argument" zuletzt wieder vermehrt.

Auszug aus dem Resümee der EU-Kommission zur 11. Runde der TTIP-Verhandlungen

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Auszug aus dem Resümee der EU-Kommission zur 11. Runde der TTIP-Verhandlungen, auch Pestizide kamen bereits zur Sprache. Fortschritte gibt es bis jetzt offenbar nur bei Qualitätsstandards für Olivenöl und Fruchtsaftkonzentrate.

Dazu sind die Grenzwerte für praktisch alle potenziell gefährlichen bis giftigen Substanzen in den USA um einen Faktor von 10 bis 500 höher angesetzt als in Europa. Der "Brute Force"-Desinfektion von Hühnern mit einer Chlorlösung in den USA, die eben zu vermehrten Chlorrückständen führt, steht das europäische Vorsorgeprinzip gegenüber, das die Entstehung gefährlicher Bakterien wie Salmonellen bereits bei der Aufzucht der Hühner durch Veterinärkontrollen verhindert. Ganz Ähnliches gilt für den Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion, für Herkunftsbezeichnungen von Lebensmitteln oder Hinweise auf Inhaltstoffe auf der Verpackung.

Wahlkampf, Schweigen, TPP

Auch nach der Wiederaufnahme des im Frühjahr 2014 ausgesetzten TTIP-Kapitels zum Investorenschutz ist keine schnelle Reaktion der US-Seite zu erwarten. Im Vorfeld wurden diesbezügliche Erwartungen erst durch einen Sprecher des Weißen Hauses wie auch von Stimmen aus der Kommission danach gedämpft. Unter Beobachtern gehen die Meinungen auseinander, ob dies nun auf Verhandlungstaktik zurückzuführen ist, oder ob es tatsächlich die Probleme der US-Seite wegen der laufenden Vorwahlen zur US-Präsidentschaft sind. Mit einiger Sicherheit darf eine Mischung aus diesen beiden Motiven angenommen werden, denn das parallel verhandelte und inzwischen bereits abgeschlossene Freihandelsabkommen TPP stößt in den USA auf heftigen Widerstand.

Werbuing der EU-Kommision für Bierexporte durch TTIP

EU-Kommission

Wohl etwas wichtiger als der Nischenmarkt exportwilliger Kleinstbrauereien sind besseren Chance für die Großproduzenten aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden auf dem Biermarkt in den USA.

Keiner der aussichtsreichen Kandidaten beider Großparteien tritt explizit für die Freihandelsabkommen ein, auch Hillary Clinton, die das inzwischen ausverhandelte, aber von den USA noch nicht unterzeichnete Abkommen zur transpazifischen Partnerschaft anfangs noch als "Goldstandard" bezeichnet hatte, hat sich sukzessive so weit wie möglich davon distanziert. Anders als das zwischen Europa und den USA ausgehandelte TTIP umfasst TPP ein buntes Sammelsurium völlig unterschiedlicher Volkswirtschaften, hochentwickelte Staaten wie die USA, Japan oder Australien stehen da Volkswirtschaften wie Vietnam, Kolumbien oder Malaysia gegenüber. Unter den Wählern in den USA grassiert deshalb die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, weil nun erneut Produktionstandorte ausgelagert werden können, wie es nach Abschluss des Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (1995) nach Mexiko geschehen war.

Missing Link "Privacy Shield

Ein Nachfolgeabkommen für "Safe Harbour" hätte bereits am 31. Jänner vorliegen müssen, Anfang Februar konnte die EU-Kommission allerdings nur ein Logo und den neuen Namen "Privacy Shield" präsentieren.

Es ist also davon auszugehen, dass die USA primär das bereits ausverhandelte TPP unter Dach und Fach bringen wollen, zudem steht eine neues Abkommen mit Europa aus, das den in allen diesen Abkommen festgeschriebenen "freien Fluss der Daten" regeln soll. Durch den Entscheid des europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall der Klage von Max Schrems gegen den "Safe-Harbour"-Prozess kam die gesamte Grundlage für Transfers von personenbezogenen Daten aus Europa in die USA abhanden, die Nachfolgeregelung "Privacy Shield" wird gerade erst im Detail ausverhandelt. Ob "Privacy Shield" tatsächlich genügend Rechtssicherheit für EU-Bürger bieten wird, um nicht erneut vom EuGH verworfen zu werden, steht angesichts dessen derzeit in den Sternen.

Wie etwa aus geleakten Passagen des TISA-Abkommens eindeutig hervorgeht, sollen US-Konzerne von allen europäischen Datenschutzauflagen freigestellt werden, sobald sie EU-Daten in den USA verarbeiten.

Wie es in Wien weitergeht

Nach der zu erwartenden Kontroverse mit den Kritikern in der AK, sind Treffen Malmströms mit Vertretern von Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft vorgesehen, sowie Aussprachen mit den Klubobleuten und Nationalratspräsidentin Doris Bures, das teilte letztere am Freitag in einer Aussendung mit. Der von den Grünen aufgestellten Forderung, einen Leseraum im Nationalrat einzurichten, wurde hingegen eine Absage erteilt. Die US-Seite genehmige nur die Einsichtnahme durch Nationalratsabgeordnete im Wirtschaftsministerium, hieß es zur Begründung.

Siehe auch:
"Befürchtung berechtigt"
Freihandelsabkommen TTIP: Bevor US- und EU-Vertreter ihre Verhandlungen weiterführen, erneuern NGOs ihre Kritik. Wie steht es um die Konzernklagerechte und was hat die Troika mit TTIP zu tun? (Johanna Jaufer)

Die Einsichtsmöglichkeit selbst eine Farce, zumal die Abgeordneten nur Block und Bleistift mitführen dürfen, dann stehen zwei Stunden Zeit für mehrere hundert Seiten Text zur Verfügung, öffentliche Äußerungen der gewählten Volksvertreter über den Inhalt der Verhandlungen sind bei Strafandrohung verboten. Noch nicht entschieden wurde hingegen über ein weiteres Ersuchen aus Österreich, die Beiziehung von Übersetzern zu gestatten.