Erstellt am: 21. 2. 2016 - 18:20 Uhr
"Befürchtung berechtigt"
Für TTIP-Befürworter geht es um wechselseitigen besseren Marktzugang für EU- und US-Unternehmen, gemeinsame Handels- und Regulierungsregeln. Davon versprechen sie sich (und der Öffentlichkeit) auch Arbeitsplätze. Das sieht Pia Eberhardt von der lobbykritischen NGO "Corporate Europe Observatory" bedeutend anders.
CEO
Was wird TTIP eurer Einschätzung zufolge bringen und was bedeutet das für EU-BürgerInnen?
Wir sehen TTIP als Abkommen, das mehrere Gefahren birgt: Einerseits, dass Schutzstandards und Regulierungen, für die Menschen hier in Europa, aber auch in den USA, viele Jahre gekämpft haben - von Lebensmittelstandards bis zu Finanzmarktregulierungen - geschleift werden, was darüberhinaus langfristig negative Auswirkungen auf die Demokratie haben könnte: Weil es neue Instrumente für Unternehmen bereithält, mit denen sie dann Regulierungen, die ihnen nicht passen, bekämpfen, verzögern oder verwässern können.
Ein Stück weit wurde, was die geplanten Klagsmöglichkeiten zum Investitionsschutz betrifft, zurückgerudert. Bei den geplanten Konzernklagerechten soll es statt dem ISDS-System jetzt einen sogenannten "Investitionsgerichtshof" geben - ihr habt dazu mit anderen NGOs gemeinsam eine Studie veröffentlicht. Wie sollen die "reformierten" Bestimmungen zum Klagsrecht ausgestaltet sein?
- TTIP und Datenschutz
TTIP setzt den freien, transatlantischen Fluss der Daten voraus und die betreffende "Safe Harbour"-Vereinbarung wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Herbst aufhoben. Was bedeutet das konkret?
Der EU-Vorschlag zum Investitionsschutz ist tatsächlich brandgefährlich. Er wird zehntausende US-Investoren, die in Europa aktiv sind, ermächtigen, gegen die EU und ihre Mitgliedsstaaten zu klagen. Er wird auch ermöglichen, gegen Maßnahmen zum Schutz des öffentlichen Interesses zu klagen, ob das ein Umweltgesetz ist oder eine gesundheitspolitische Maßnahme. Er wird hohe Schadensersatzforderungen ermöglichen, für die letztendlich die SteuerzahlerInnen aufkommen werden. Das hat damit zu tun, dass sich der Vorschlag kaum von den Investorenrechten unterscheidet, die schon bestehende Verträge bereithalten. Wir wissen von etwa 700 Klagen, die auf Basis dieser Verträge schon passiert sind. Die Investorenrechte werden letztendlich durch die EU nicht verändert. Sie verbessert ein bisschen das Verfahren, in dem diese Klagen entschieden werden. Die Klagen selbst aber werden weiter möglich sein und sind genauso eine Gefahr für Steuerzahler, die Demokratie und Politik im öffentlichen Interesse, wie bestehende Verträge auch schon.
EU TTIP Team
Die US-Botschafterin in Österreich hat sich kürzlich im ORF zu Wort gemeldet. Sie sagte u.a., dass etwa der Anteil amerikanischer Produkte am österreichischen Agrarmarkt ohnehin verschwindend klein (0,3%) sei. Umgekehrt exportiere Österreich landwirtschaftliche Waren im Wert von 796 Millionen Dollar in die USA...
Für den Bereich der Landwirtschaft gibt es ja mittlerweile sehr viele Stimmen in Europa. Ob das die irische Landwirte-Vereinigung ist oder Landwirte in Bayern, die haben durchaus Sorgen: Weil ja genau das Ziel von TTIP im Agrarbereich ist, die Konkurrenz zwischen beiden Seiten (EU&USA) zu verschärfen - mehr Marktzugang zu schaffen. Für die EU wird das bedeuten, dass Landwirte hier in Europa mit den Landwirten in den USA konkurrieren müssen. Dort sind Produktionskosten nun einmal niedriger. Wegen niedrigerer Landpreise, teilweise weniger strenger Regulierungen (mehr erlaubte Pestizide etc.) etc. Ich glaube, die Befürchtung ist berechtigt - dass der Konkurrenzdruck der Landwirtschaft hier schaden wird - vor allem kleineren Betrieben, die nicht mithalten werden können. Ich finde aber immer auch wichtig darauf hinzuweisen, dass es auch in den USA Gruppen gibt, die sich gegen das US-amerikanische Landwirtschaftsmodell wehren und dagegen, es noch weiter in die Welt zu exportieren. Sie kämpfen etwa für eine striktere Kennzeichnung von Gentechnik in den USA. Auch sie haben Sorge, dass all diese Dinge mit TTIP eben nicht mehr möglich sind. TTIP ist also wirklich kein Abkommen, in dem es um "USA gegen EU" oder umgekehrt geht, sondern ein Abkommen, wo die Konfliktlinie letztendlich zwischen großen Konzernen, Kapital und anderen gesellschaftlichen Interessen liegt - ob das ein Interesse für eine ökologische Landwirtschaft oder ordentliche Politik zur Bekämpfung des Klimawandels ist. Deshalb wehren sich auch in den USA Menschen gegen TTIP.
Arbeitsplätze und TTIP
Kannst du den Eindruck mancher TTIP-KritikerInnen nachvollziehen, mit der immer wieder sehr heftig im Rahmen von Aktionen und Protesten geäußerten Kritik bei den Entscheidungsträgern letztlich doch nur auf taube Ohren zu stoßen ?
Ein Stück weit ist dieser Frust ja auch begründet. Weil es eben trotz der öffentlichen Debatte und Massenproteste bisher kein Umlenken gibt, wenn es um die tatsächliche Verhandlungsagenda der Kommission geht. Da kann man sich natürlich fragen: "Was sollen wir denn noch tun?" Ich finde wichtig im Kopf zu behalten: 1. Manche Dinge brauchen einfach ein bisschen Zeit. 2. In der EU haben wir es mit einem politischen System zu tun, in dem es auch nicht leicht ist, ein Projekt einmal zu stoppen, das schon einmal auf den Weg gebracht ist, weil sich die Mitgliedsstaaten immer hinter der Kommission, die Kommission hinter den Mitgliedsstaaten, das Parlament hinter beiden verstecken kann - und man kann die Verantwortlichkeiten hin- und herschieben. Trotzdem würde ich sagen: natürlich zeigen Protest und Widerstand einen Effekt - vor allem den, dass es für die VerhandlerInnen nicht möglich sein wird, bestimmte politische Kompromisse zu schließen, die sie aber schließen müssen, wenn sie diesen Vertrag abschließen wollen. Etwa zu Fragen der Gentechnikkennzeichnung - das wird der EU-Kommission nicht unbemerkt möglich sein. Das trägt schon heute dazu bei, dass die Verhandlungen schwieriger werden, sich verzögern. Dass wir vielleicht, wenn wir Glück haben, sie soweit erschweren, dass wir diesen Vertrag auch in zehn Jahren noch nicht fertig verhandelt haben werden. Das ist dann für so eine Widerstandsbewegung schwierig - weil man nie genau weiß: Wann ist der Moment, in dem wir auch feiern können. Aber es ist durchaus ein realistisches Szenario.
Hey @EU_TTIP_team, I have a question for you. Can you help me?
— Eoin Campbell (@eoincampbell16) 22. Dezember 2015
Ich habe mich auf Social Media auf die Suche nach Kommunikation zwischen Bürgerinnen und "offiziellen" TTIP-"Vertretern" gemacht. Und einen relativ beeindruckenden Thread auf Twitter gefunden (siehe oben). Wundert dich so etwas noch? Dass es etwa keine Antwort auf die Frage gibt, wieso es für die BürgerInnen keinen Zugang zu Verhandlungspapieren gibt...
Die Kommission ist da natürlich in Erklärungsnöten: Sie behauptet einerseits, das wären die transparentesten jemals geführten Verhandlungen, tatsächlich fehlt aber die wichtigste Information, nämlich der Entwurf des Verhandlungstextes, im Internet. Den kann man nicht finden und den - das hat sie auch schon gesagt - wird die Kommission nicht veröffentlichen, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. Deshalb ist es natürlich bequem, auf Fragen danach gar nicht erst zu antworten - weil das eine ein bisschen unangenehme Antwort ist. Zur (im Thread diskutierten) Frage des privilegierten Zugangs: Es ist ganz klar, wenn man sich anschaut, mit wem sich die Europäische Kommission hinter verschlossenen Türen trifft, um TTIP zu diskutieren. Das sind bis heute überwiegend große Unternehmen und ihre Lobbygruppen. Und eben nicht Gewerkschaften, Umweltverbände oder Verbraucherschutzorganisationen. Es gibt auch andere Bereiche, die zeigen, dass die Kommission überwiegend deren Interessen vertritt. Sie hatten bei diesem besonders umstrittenen System der Konzernklagerechte eine öffentliche Konsultation, die die Kommission selbst durchgeführt hat. 150.000 Menschen haben sich daran beteiligt - so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte der öffentlichen Konsultationen. 97% haben gesagt, wir wollen das nicht. Die Kommission hat damit reagiert, zu sagen, "herzlichen Dank für eure Meinung, wir werden die Konzernklagerechte trotzdem verhandeln. Aber wir machen das jetzt ein bisschen aufgehübscht in reformierter Weise." Ich glaube die Beispiele sind relativ klar: Dieses Abkommen wird von der Kommission im Interesse der exportorientierten europäischen Wirtschaft verhandelt.
CEO
Wenn wir die letzten Jahre und Monate über verfolgt haben, wie es Staaten ergeht, die unter einer großen Schuldenlast leiden und in den Augen der EU-Institutionen sparen sollen: Da hat sich Kritik oft gegen das vorherrschende Wirtschaftsmodell gerichtet, das sich stark auf den Export stützt. Wenn wir uns ansehen wie diese Institutionen - auch rechtlich - gelagert sind, dann hat diese Kritik ja auch immer davon gehandelt, dass viele Regelwerke außerhalb des Europarechts "geparkt" sind - dort, wo etwa das EU-Parlament keine Kontrollmöglichkeiten hat. Habt ihr als CEO dazu auch eine Position? Im Rahmen von Handelserleichterungen geht es ja automatisch um den Arbeitsmarkt - und ArbeitnehmerInnenrechte waren im Zuge der Sparauflagen gegenüber "Schuldnerstaaten" auch ein großes Thema.
Siehe auch:
Investorenschutz wieder auf dem TTIP-Tapet
Am Montag wird der im Oktober vorgestellte, von den USA bisher nicht kommentierte EU-Vorschlag für ein permanentes TTIP-Schiedsgericht den USA offiziell präsentiert. (Erich Möchel)
Wir arbeiten tatsächlich auch zur Krisenpolitik der EU, den Restrukturierungen, den Austeritätsprogrammen, die EU-Staaten auferlegt wurden eine sehr kritische Haltung und sehen sehr viele Verbindungen zu TTIP. Denn das, was die EU in den letzten Jahren im Inneren vollzogen hat, das Schleifen der Rechte von ArbeitnehmerInnen und eine radikale Sparpolitik, findet letztendlich in der Handelspolitik den Ausdruck nach außen und wird ganz ähnliche Effekte haben. Auf allen Ebenen zieht die EU letztendlich den Gürtel für Spielräume in Richtung Umverteilung, höhere Löhne, höheren Umweltschutz enger - und beschränkt letztendlich die politischen Gestaltungsräume, die Parlamente haben. Da sind TTIP und das was wir im Kontext der Krise der EU gesehen haben, zwei Seiten der gleichen Medaille.