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Andreas Schindler

Geschichten vom Ende des Ölzeitalters. Wurm- und Mikrobenlobbyismus, permakulturelle Gedankenwut.

10. 2. 2016 - 16:14

The People vs. Glyphosat

Glyphosat ist der weltweit meist verwendete Pestizid-Wirkstoff. Es ist "wahrscheinlich (nicht) krebserregend". Die Agrarindustrielobby kämpft gegen Krebsforscher. Kurz vor der letzten Runde wirkt sie leicht angeschlagen und zeigt ihre unsportliche Seite.

Im breit gefächerten Gift-Arsenal der extrem lukrativen Agrochemieindustrie nimmt Glyphosat eine Sonderstellung ein. Der Marktführer Monsanto machte 2014 einen Jahresumsatz von 15,86 Milliarden US-Dollar. Etwa ein Drittel davon mit dem Verkauf seines wichtigsten Produkts: Roundup (Wirkstoff: Glyphosat).

Seit seiner Einführung/Zulassung im Jahre 1974 wurden kaum vorstellbare 8,6 Millionen Tonnen Glyphosat eingesetzt. Drei Viertel davon alleine in den letzten zehn Jahren (was vor allem mit der Einführung von Soja-, Mais- und Baumwollsorten zu tun hat, die mittels Gentechnik resistent gegen den Unkrautvernichter gemacht wurden).

Allein im österreichischem Pflanzenschutzmittelregister findet man 34 verschiedene zugelassene Produkte, die auf Glyphosat aufbauen. In Europa werden derzeit mehr als 300 verschiedene Glyphosat-haltige Herbizide von über 40 Herstellern vertrieben.

Als verlässliche Cash-Cow ist Glyphosat eine wirtschaftliche Säule der Agrochemie. Es wird vor allem, aber nicht nur, auf Äckern ausgebracht. In Europa benutzen es Bauern hauptsächlich, um eine bestehende Pflanzendecke verlässlich "wegzuräumen", ehe die eigentliche Feldfrucht gesät wird. Verwendet wird Glyphosat aber auch im Obstbau, in Hausgärten, auf Gehwegen und Kinderspielplätzen. ÖBB und ASFINAG benutzen es, um ihre Infrastruktur zu pflegen. Kurz: Der farb- und geruchlose Stoff findet sich wirklich überall und kann (in geringen Dosen) auch im Urin von Menschen und Tieren nachgewiesen werden.

RoundUp

CC-BY-2.0 / Mike Mozart / flickr.com/jeepersmedia

Unkraut vergeht doch.

Glyphosat ist ein Breitbandherbizid. Es wird über die grünen Teile der Pflanze (Blätter und oberirdische Sprossteile) aufgenommen und mit dem Saftstrom innerhalb der gesamten Pflanze verteilt. Deshalb spricht man von einem "systemischen" Pflanzenschutzmittel, oder auch "Totalherbizid". 32 Ackerunkräuter sind bereits resistent gegen den Wirkstoff.

Besprüht man eine (unerwünschte) Pflanze mit dem Totalherbizid Glyphosat, stirbt sie. "Die Substanz wirkt effektiv gegen fast alle Unkrautarten und entfernt die behandelte Pflanze von der Wurzel bis zum Blattwerk", heißt es im Beipackzettel und weiter: "Glyphosat blockiert die Produktion bestimmter Aminosäuren, die für das Wachstum von Pflanzen essentiell sind. Da dieser Stoffwechselweg nur in Pflanzen, Pilzen und Bakterien vorkommt, ist der Wirkstoff Glyphosat für Menschen und Tiere kaum toxisch. Dies haben zahlreiche wissenschaftliche Studien bestätigt." Vor allem solche, die die Unternehmen selbst finanziert haben.

Was aber, wenn das omnipräsente, weltweit meist verkaufte Herbizid Menschen doch krank macht?

Der Paukenschlag ertönte im Frühling letzten Jahres: "Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend für den Menschen", verkündet die WHO und beruft sich auf Befunde der Internationalen Agentur für Krebsforschung IARC.

Das wichtigste Ackergift der industriellen Landwirtschaft, die ohne chemische Keulen schlicht nicht existieren könnte, ist also – so weltweit führende KrebsforscherInnen – "wahrscheinlich krebserregend". Der Wirkstoff Glyphosat fiele demzufolge in die "Kategorie 2a". Und was dort landet, darf laut geltenden EU-Regularien grundsätzlich nicht mehr als Pestizid eingesetzt werden.

Auch wenn kaum ein Massenmedium eingehender darüber berichtet hat: Dieser Befund ist womöglich von weichenstellender Dimension. Ein Verbot von Glyphosat hätte gewaltige Auswirkungen auf die derzeitige landwirtschaftliche Praxis. Das WHO-Urteil muss die Industrie schwer getroffen, ja geschockt haben. Jahrzehntelang konnte man die Angriffe der sehr breit aufgestellten Glyphosat/Roundup Gegnerschaft abwehren. Und dann das. Was tun?

Da trifft es sich, dass die EU selbst gerade ein Verfahren zur sogenannten "Neubewertung" von Glyphosat am Laufen hatte (eine Prozedur, die alle zehn Jahre wiederholt werden muss). Wesentliche Grundlage für diese Entscheidung ist die Risikobewertung der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Die wiederum überantwortete die Neubewertung dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung BfR (weil Deutschland – ein Land mit starker Agrochemie-Branche – in der EU als Berichterstatter für die Prüfung von Glyphosat fungiert).

Ein paar Monate vergingen und siehe da: Das BfR und in der Folge die EFSA widersprechen dem IARC und machen aus "wahrscheinlich krebserregend" ein "wahrscheinlich nicht krebserregend". Begründung: Die Krebsforscher hätten unzulässige Studien verwendet. Man selbst habe neueres Forschungsmaterial. Nichts rechtfertige ein Verbot von Glyphosat. Niemand schien sonderlich überrascht, als die EFSA Mitte November verkündete, dass sie Glyphosat weiterhin zur Zulassung empfehle. Warum nicht? Weil Glyphosat "too big to fail" ist? Vielleicht.

Warnschild: Pestizide

CC_BY-2.0 / jetsandzeppelins / flickr.com/jz909

Rachel Carson, die mit ihrem Buch "Silent Spring" das berühmt-berüchtigte Pestizid DDT zur öffentlichen Diskussion stellte (und damit tatsächlich dessen Ende einleitete), drückte es ebendort so aus: "It is also an era dominated by industry, in which the right to make a dollar at whatever cost is seldom challenged."

54 Jahre später ist diese Ära längst noch nicht zu Ende. Wie sonst ist es zu erklären, dass man ausgerechnet dem renommierten (wenn auch wenig transparenten) IARC (ergo der WHO) weniger Vertrauen schenkt, als einer Organisation wie der EFSA, deren Industrienähe für anhaltende Kritik sorgt?

Schätzungsweise 20.000 Lobbyisten nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent davon arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände.

Wie in vielen (über-)staatlichen Organisationen haben sich etliche MitarbeiterInnen der Behörde ihre Expertise in der Lebensmittel- und Agrarindustrie erarbeitet. "Es bestehen deswegen starke Zweifel, ob die EFSA nur für das Allgemeinwohl handelt", schreibt dazu Lobbycontrol. "Ihr wird – belegbar – vorgeworfen, dass sie die Interessen der Industrie, insbesondere die der Gentechnik-Industrie, zu stark berücksichtigt." Ein hartes Urteil, sicher, aber ein nachvollziehbares. In Brüssel ist die Kultur des (mitunter mehrmaligen) Seitenwechsels zwischen Unternehmen und Behörden/Politik, auch "Drehtürpolitik" genannt, weit verbreitet.

Ein Beispiel: 2010 deckte der französische Europaabgeordnete José Bové auf, dass die Ungarin Diána Bánáti gleichzeitig (sic) im Verwaltungsrat der EFSA und im Vorstand des Lobbyverbandes "International Life Sciences Institute ILSI" saß. Frau Bánáti arbeitete dort also für Nestle, Dupont, Procter & Gamble, Syngenta... Finanziert wird ILSI unter anderem von McDonalds, Danone & Coca Cola.

Als ihre Doppelgleisigkeit aufflog, trat Bánáti von ihrer Position im Lobbyverband zurück. Ihre Karriere im EFSA nahm dadurch keinen Schaden: Sie wurde kurz darauf Vorsitzende des EFSA Verwaltungsrates. 2012 wechselte sie ohne Umwege wieder zu ILSI, wo sie heute Geschäftsführerin ("Executive & Scientific Director") ist.

Die EFSA beruft sich also auf das BfR (das ebenfalls wegen "gravierender Interessenkonflikte" und Nähe zu ILSI in der Kritik steht) und kritisiert offen die WHO. Laut ihren Studien gehe keine Gefahr für den Menschen aus.

An dieser Stelle muss man vielleicht festhalten, dass die IARC Studie keinerlei Studien von Glyphosat-Produzenten berücksichtigt hat. BfR/EFSA taten das sehr wohl.

Wissenschaftlich unakzeptabel

Es kommt zum Eklat. Am 27. November 2015 schicken 100 absolut namhafte Wissenschaftler einen offenen Brief an den EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis. Darin verteidigen sie die Arbeit des IACR und erheben schwere Vorwürfe gegen das BfR und die darauf aufbauende Bewertung der EFSA. Diese sei in Teilen "wissenschaftlich unakzeptabel". Die Ergebnisse seien "durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt".

Dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP zu Folge erleiden jedes Jahr rund drei Millionen ArbeiterInnnen im Landwirtschaftssektor schwere Pestizid Vergiftungen. 98% der Insektizide und 95% der Herbizide treffen „Nicht-Ziel-Organismen“. Pestizide belasten Grundwasser, Böden, Luft und sind einer der Hauptfaktoren für den Verlust an Biodiversität.

Selbst bei wohlmeinender Annahme, dass das BfR und die EFSA trotz ihrer nachweisbaren Nähe zur Industrie absolut korrekt (d.h. möglichst unvoreingenommen) gearbeitet haben: Kann man einer skandalgeschulten Öffentlichkeit im 21.Jahrhundert glaubwürdig vermitteln, dass Konzern-Studien als Bewertungsgrundlage für ein "wahrscheinlich krebserregendes" Produkt taugen? Um das Banale auszusprechen: Es ist unwahrscheinlich, dass Monsanto sein wichtigstes, weil milliardenschweres Produkt als das bezeichnet, was es laut WHO ist: "wahrscheinlich krebserregend".

Nicht erst seit "Dieselgate" wissen wir, dass es nicht im Sinne des Gemeinwohls sein kann, wenn Unternehmen erst als Gesetzgebungs-Ghostwriter agieren und dann auch noch die Sicherheit und Zulässigkeit ihrer Produkte selbst "überprüfen" dürfen.

Was kommt nach Glyphosat?

Selbst die Kritiker von Glyphosat sehen Gefahren, die ein Verbot des Totalherbizides mit sich brächte. Die Befürchtung: Viele Landwirte würden in diesem Fall das Totalherbizid Glyphosat gegen einen vielleicht noch riskanteren Ackergift-"Cocktail" eintauschen. Ironischerweise wird dieses Szenario auch von der Agrochemielobby selbst gerne vorgebracht.

Bis Juni muss eine Entscheidung gefallen sein. Wessen Rat wird die EU-Kommission Folge leisten? Im Sinne des Vorsorgeprinzips müsste sie den Krebsforschern vertrauen. Denn ist es (im Zweifelsfall) nicht besser auf der sicheren Seite zu irren?

#WirHabenEsSatt - Warum die Agrarindustrie nicht satt macht und die Welt auf Kleinbauern nicht verzichten kann.

Ein Ende der Glyphosat-Landwirtschaft in Europa könnte die Kommission auch als wichtigen Schritt in Richtung einer gänzlich pestizidfreien Landwirtschaft in Europa verkaufen. Die sichersten Pestizide sind gewiss die, die gar nicht erst eingesetzt werden. Der Ökolandbau kommt ohne sie aus und "kann dennoch mit den Erträgen der konventionellen Landwirtschaft durchaus mithalten.". Das ist das Fazit einer im Fachmagazin "Nature Plants" erschienenen Metaanalyse (hier als .pdf), für die Forscher der Washington State University Studien der letzten 40 Jahre ausgewertet haben. Wieder so ein Befund, mit dem die Agrarindustrie wenig Freude haben wird.