Erstellt am: 2. 2. 2016 - 19:01 Uhr
Zwillingsmusik der Wälder
Vor knapp einem Jahr ist dem Salzburger Zwillingspaar Giovanna und Mario mit "Polar Night" ein kleiner Geniestreich gelungen. Inmitten eines schon länger anhaltenden Elektropop-Hypes in Österreich kreieren sie mit ihren unglaublich spannenden Videos und eigenwilligen Tracks einen selbstständigen Soundkosmos. Magisch, mysthisch und unheimlich anziehend taucht man in eine Welt voller dunkler Synthie-Flächen, tiefen Basslinien, blubbernden und treibenden Beats, sowie der hypnotischen Stimme von Giovanna.
Das Debüt "Plaat II" setzt die musikalische und atmosphärische Reise fort, die vor mehr als einem Jahr im hohen Norden begonnen hat.
Einsamkeit in der Heimat
Die Stille und die Dunkelheit Norwegens hat das Duo Mynth mit ihrem Song "Nighlight" in die Gegenwart von Alt-Erlaa transponiert. Perfekt erklingen sehnsuchtsvolle und schmerzhaft schöne Harmonien zu eindrücklichen Bildern von im Schneegestöber mit ihrem Leben kämpfenden Existenzen in einer grauen Wohnsiedlung. Auch die glockenhelle Melancholie-Ballade "I'm Good" sowie das berührende "Friends", die auch auf dem Debüt zu finden sind, haben ihren Ursprung in den einsamen Wäldern Skandinaviens. Giovanna und Mario wollten diese Stimmung in den restlichen Songs ihrer Platte fortsetzen und weiterspinnen.
Patrick Muennich
Die schneebedeckten Bäume Norwegens sind den sommerlichen Mischwäldern Salzburgs gewichen. Das Erstaunliche dabei ist, dass Giovanna es auch zu Hause geschafft hat, sich mit den inspirierenden Gefühlen zu verbinden, die durch die Einsamkeit entstehen. Auch wenn ein wärmender Schimmer durch das Blätterdickicht auf Giovannas Gesicht fällt, die Stille und das Alleinsein in der Natur rufen erneut eine geheimnisvolle, dunkle Klangwelt hervor. Die Eröffnungsnummer "Lola" ist ein perfektes Beispiel dafür, wie sich der schwere Schritt auf weichem Waldboden zu einem eindringlichen elektronischen Stampfen wandeln kann. Durch unterkühlte, analoge Soundflächen bricht Giovannas Stimme, die zwischen hilfesuchender Verzweiflung und gefangennehmender Hypnose hin und her wechselt. Mit den Harmonien und den stark an die 1980er erinnernden Sounds hätten Snake Plissken und John Carpenter ihre große Freude gehabt.
Von Miami in den Zauberwald
Was durchaus stärker bei den neuen Songs an die Oberfläche kommt, ist ein gewisser Pop-Appeal, wie eines der Highlights der Platte "Vain" beweist. Zu den engelsgleichen Vocals und den treibenden Beats kann man im Kopf James "Sonny" Crockett in einem weißen Cabrio durch eine palmengesäumte Allee in Miami flitzen sehen. Das großartige "Turbid" indessen besticht durch seine Reduktion und die clever arrangierten Vocal-Schnipsel, die sich durch den Trockeneisnebel jeder Disco schneiden könnten. Demgegenüber überrascht die Single "Urge" mit einer verzerrten Gitarrenlinie und dem eindringlichen Rap des Salzburgers C-Black.
Mynth / Seayou
Wenn es nach Giovanna und Mario geht, dann klingt das "Paradise" nach pulsierendem Analog-Synthesizer, verhalltem Snare-Trommelwirbel, melancholischen Gesangslinien und einem Spannung aufbauenden, schleppenden Rhythmus, der immer wieder in sich zusammenfällt. Und wenn Mynth einmal untertauchen, wie im Fall von "Underworld", dann klingt das nach perlenden Beatblasen, die sich ihren Weg durch Bass-Korallen und schillerndem Meeresgras zur glitzernden Wasseroberfläche bahnen.
Mynth live in Österreich:
- 5.2. Rote Bar, Wien (ausverkauft)
- 2.4. Rockhaus, Salzburg
- 15.4. Weekender, Innsbruck
- 21.4. Kino im Kesselhaus, Krems
- 22.4. Röda, Steyr
- 23.4. Orpheum Graz
- 28.4. Grelle Forelle, Wien
All ihre arrangementtechnischen und songschreiberischen Qualitäten packt das Zwillingspaar in dem trip-hoppigen Song "Woods" aus, soundtechnisch ein Schlüsselstück des Albums "Plaat II". Denn hier entführen uns Mynth in ihr dunkles Zauberwäldchen, in dem man meint, die Fasern uralter Bäume in den Klavierakkorden zu hören. Man riecht das analoge Unterholz und läuft im Drumcomputer-Loop über knackendes Geäst. Geisterhaft umschwirrt uns Giovannas Stimme, die am Ende von einem rauschenden Synthie-Windstoß fortgetragen wird.
Mynth zählen zu den wohl spannensten Elektro-Projekten, die Österreich derzeit zu bieten hat. Mit ihren zugänglichen Songs, ihrer sehr natürlichen Wesensart und ihrer unbändigen Freude zur Musik, die nicht selten in sich aufopfernden Monster-Video-Projekten gipfelt, senden sie uns ein klares Signal: Giovanna und Mario sind noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung, sondern werden mit Experimentierfreude und Forschergeist ihre Talente weiterhin ausloten.