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Burstup

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15. 1. 2016 - 06:00

15 Jahre Wikipedia

Am 15. Jänner 2001 ging die englischsprachige Version der Internet-Enzyklopädie online. Seitdem schrieben Freiwillige auf der ganzen Welt über 37 Millionen Einträge in 291 Sprachen.

Ihr Gründer Jimmy Wales betrieb auch schon vor Wikipedia ein Internet-Lexikon: die „Nupedia“. Sie hatte allerdings ein siebenstufiges Peer-Review-Verfahren und war deshalb vor allem eines: langsam. Nach eineinhalb Jahren standen in der Nupedia erst 20 Artikel.

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Also gründete Jimmy Wales die Wikipedia. Wiki heißt in der Sprache der Ureinwohner von Hawaii soviel wie „schnell“. Wiki ist aber auch Software - genauer gesagt ein Hypertext-System für Websites, deren Inhalte von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch online direkt im Webbrowser geändert werden können. Websites, die Wiki nutzen, gibt es schon seit Mitte der neunziger Jahre. Zweifellos ist die 2001 gestartete Wikipedia aber das bekannteste Wiki-Nachschlagewerk.

Wisdom of the Crowd als Prinzip der Wissensansammlung und -korrektur: Die Zweifel daran waren laut, und auch heute argumentieren Kritiker, dass Wikipedia-Artikeln nicht vertraut werden könne, weil sie von Freiwilligen geschrieben und redigiert würden. Trotzdem geht aus Studien zur Verlässlichkeit von Wikipedia immer wieder hervor, dass die Texte erstaunlich präzise sind. Der Grund dafür liegt darin, dass die Wikipedia-Gemeinschaft Regeln und Prozesse entwickelt hat, wie Unwahrheiten aus dem Online-Lexikon entfernt werden können.

Eine der offiziellen Regeln heißt: "Der Grenzwert für die Aufnahme einer Information in Wikipedia ist nicht die Wahrheit, sondern die Nachprüfbarkeit." Wikipedia hat quasi, wie Simson L. Garfinkel in Technology Review schreibt, ein eigenes erkenntnistheoretisches Modell entwickelt, das im Idealfall dazu führt, dass Autoren mit gegensätzlichen Positionen vernünftig diskutieren, eine gemeinsame Position finden und unaufgeregt ihre unterschiedliche Haltung dokumentieren.

Studien zeigen auch, dass 11 Prozent aller Wikipedia-Artikel schon einmal getrollt - also absichtlich mit unsinnigen Informationen gefüttert - wurden. Nachprüfbarkeit bedeutet auf Wikipedia den Hinweis zu einer professionellen Quelle zu geben. Informationen, die ohne eine solche Referenz in Wikipedia landen, erhalten einen "Citation needed"-Sticker (also: Zitat notwendig). Für die verlässlichsten Quellen hält Wikipedia „wissenschaftliche Zeitschriften, die auf Peer-Review setzen“ und „Bücher aus der Universitätspresse“, gefolgt von „Lehrbüchern auf Universitätsniveau“, dann „wissenschaftliche Zeitschriften ohne Peer-Review“ und am Schluss der Liste stehen "Mainstream-Medien" wie Zeitungen.

Was auch immer man davon halten mag: In der Praxis haben sich diese Grundregeln als faktischer Standard für Wahrheit im Internet etabliert, weil Wikipedia die am meisten gelesene Online-Referenz der Welt ist.

Raimund Liebert

Foto: Christoph Weiss, FM4

Raimund Liebert von Wikimedia Österreich

Raimund Liebert ist selbst freiwilliger Autor von Wikipedia-Einträgen. Er ist aber auch einer der drei Angestellten von Wikimedia Österreich, wo er als Community Manager arbeitet. Ich habe ihn im FM4-Studio interviewt:

Was macht ein Community Manager von Wikimedia Österreich?

Ich bin eigentlich der Dienstleister für die Community. Wikipedia ist zu dem geworden, was sie heute ist, weil viele einzelne ehrenamtliche Freiwillige etwas dazu beigetragen haben. Und ich versuche, die Menschen dabei zu unterstützen. Wir haben zum Beispiel technisches Equipment wie Kameras, Bücher und vieles mehr.

Wikipedia kommt nach wie vor ganz ohne Werbung aus, was laut ihrem Gründer Jimmy Wales auch so bleiben soll. Die Website finanziert sich allein durch Spenden. Setzt ihr seitens Wikimedia Österreich Aktivitäten, damit die Spendengelder auch hierzulande fließen?

Nein. Die Spenden, die für Wikipedia geleistet werden, gehen nach Amerika - dort ist der Sitz der Stiftung, die Wikipedia betreibt. Wir erhalten das Geld von dort.

Wie haben sich die Überprüfungskriterien in den letzten Jahren verändert?

Es wird immer strenger darauf geachtet, was an der Wikipedia geändert wird, weil so viele Menschen darauf zugreifen. Das wichtigste ist immer, einen externen Beleg anzugeben, woher eine Information stammt - und dieser externe Beleg muss auch eine gewisse Qualität haben. Es kann also nicht einfach irgendein Social-Media-Eintrag sein, sondern es sollte eher in Richtung Wissenschaftlichkeit oder seriöse Medien gehen. Deswegen haben es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft schwer bei uns, wenn sie ihre eigenen Theorien, die oft stimmen, bei uns unterbringen wollen. Sie müssen diese zuerst woanders veröffentlichen.

Aufgrund der zunehmend strengen Regeln gibt es aber die Kritik, dass oft ein sehr harscher Ton in der Wikipedia herrsche und dass das alles zu streng sei. Wie siehst du das?

Es kommt darauf an, in welchem Bereich man aktiv ist. Wenn es um sehr umstrittene aktuelle Themen geht, zum Beispiel die Flüchtlingskrise, dann geht es oft sehr harsch zu - das muss man wirklich sagen. Das ist vielleicht abschreckend für Leute, die gerade neu dazustoßen wollen. Viele aktive User suchen sich aber eigene Nischengebiete, wo sie etwas schreiben - dort sind sie dann die internen Experten und erhalten sehr viel Anerkennung für ihre Beiträge, ohne harschen Umgangston.

Du hast das Flüchtlingsthema erwähnt als Thema, das Kontroversen erzeugt und Emotionen hochkochen lässt. Hast du andere Beispiele für Bereiche, wo besonders oft die Fetzen fliegen?

Scientology war einmal ein sehr kontroverses Thema. Was oft auch schwierig ist sind die sogenannten Relevanzkriterien. Diese hat sich die Community selbst gegeben, nicht alles ist also eines eigenen Artikels würdig. Wenn etwas aufgrund dieser Relevanzkriterien gelöscht wird, dann führt das immer wieder zu Konflikten.

Wikis gibt es schon viel länger als Wikipedia. Die Wiki-Software stammt aus Mitte der neunziger Jahre. Manchmal wird Kritik laut, dass diese Software eigentlich veraltet ist. Was sagst du dazu?

Für uns ist wichtig, dass die Community gut damit zurechtkommen kann. Natürlich wirkt die Website altmodisch für jemanden, der etwas nachschlagen will. Aber würden wir die Software ändern, müssten sich unsere Freiwilligen radikal umstellen. Deshalb solte man da - aus Autorensicht - sehr aufpassen, nicht jedem neuesten Trend hinterzujagen, wie eine Website "zeitgemäß" auszusehen hat.

Sinkt oder steigt die Zahl der Autoren bei Wikipedia?

Kommt darauf an, wo man hinschaut. In Österreich steigt sie. Aber global sinkt sie. Seit 2007, da war die Hochblüte bei der Zahl der Autoren, geht die Zahl der Freiwilligen kontinuierlich zurück. Auch in Deutschland. Ich weiß nicht, was wir in Österreich anders oder besser machen. Es gibt aber nicht nur die eine Wikipedia, es gibt 290 bis 300 verschiedene Sprachversionen. Damit erreicht man wieder ganz neue Communities, etwa im globalen Süden.

Weniger als ein Fünftel der Freiwilligen bei Wikipedia sind Frauen. Welche Möglichkeiten siehst du, diesen Anteil zu heben?

Vor allem einmal zu sagen: Frauen, bitte macht mit. Wir brauchen euch. Helft mit, freies Wissen zu verbessern und zugänglich zu machen. Es gibt auch einzelne Projekte, die recht gut funktionieren, zum Beispiel "Women Edit". Eines der größten ist in Berlin. Dort treffen sich nur Frauen, um gemeinsam an Wikipedia-Artikeln zu arbeiten.

Studien zeigen auch, dass ca. 11 Prozent der Wikipedia-Artikel schon einmal getrollt, also absichtlich mit Fehlinformationen versehen wurden. Wie geht ihr damit um? Gelten einfach die Kriterien, die es ohnehin gibt, oder gibt es auch noch andere Methoden, mit Trollen umzugehen?

Als Community Manager kann ich da nichts machen, weil sich die Community autonom organisiert. Der Betreiber der Wikipedia kann nicht einfach reinfahren und irgendwelche Maßnahmen setzen. Man muss sich ansehen, was unterm Strich übrigbleibt, wenn man sagt, es gibt ein Projekt, bei dem alle mitmachen können - dann gibt es natürlich auch Trolle. Aber es gibt viel, viel, viel mehr Menschen, die sinnvoll freies Wissen verbreiten. Unterm Strich sieht man, dass es sich sehr auszahlt, das Projekt offen zu halten.

15. Geburtstag der Wikipedia - wie begehst ihn du, wie begeht ihn Wikimedia Österreich?

Am Nachmittag sind wir im Wiener Museumsquartier von 12 bis 17 Uhr, und am Abend gibt es Geburtstagsfeiern in Wien, in Dornbirn, in Graz und in Linz!