Erstellt am: 27. 11. 2015 - 14:16 Uhr
"Ich habe mich nicht als Aktivist verstanden"
Stadtkino Filmverleih
Vor drei Jahren haben Flüchtlinge aus Pakistan und Afghanistan die Votivkirche in Wien besetzt. Ebenfalls vor drei Jahren war das Flüchtlingslager in Traiskirchen überbelegt und die Regierung hat sich mit den Bundesländern über die Verteilung von Asylwerbern gestritten. Wie wir wissen, dauert dieser Streit an, diesen Sommer ist die Lage in Traiskirchen eskaliert.
"Last Shelter" beginnt in Traiskirchen mit einem Protestmarsch im Jahr 2012 und endet ebendort im Herbst 2015. Ein Dokumentarfilm über Menschen, die die Ideale der katholischen Kirche und die österreichische Demokratie herausfordern.
Anna Katharina Laggner: Du wolltest nie einen Film über Flüchtlinge machen, hast es dann aber doch getan, nachdem du eine Nacht aus Solidarität in der Votivkirche übernachtet hast. Was waren deine größten Bedenken vor Drehbeginn?
Drei Jahre "Refugee Protest Camp"
Vor drei Jahren marschierten Flüchtlinge aus Traiskirchen nach Wien, errichteten ein Zeltlager in einem Park, besetzten die Votivkirche und traten für einige Zeit in Hungerstreik. Was wurde aus der Protestbewegung?
Gerald Igor Hauzenberger: Mein größtes Bedenken war, dass man dem Thema Flucht und Migration in einem Film, der nur eineinhalb Stunden dauert, sehr schwer gerecht werden kann. Das Asylsystem ist eine sehr komplexe Materie und um das aufzurollen und den Menschen näher zu bringen, etwa welche Gründe da sein müssen, dass man subsidiären Schutz bekommt, wie eine Staatendokumentation funktioniert und so weiter, ist so komplex, dass ich mir gedacht habe, das passt in einen Film nicht hinein. Ich war mir ungewiss, wie man einen Film machen kann, in dem man wenig erklärt, aber sehr viel über die Menschen, also die Geflüchteten erzählt.
Wie war dann ursprünglich der Plan, wie lange du den Protest begleiten willst?
Grundsätzlich wollte ich keinen Film über den Refugee Protest im allgemeinen machen, sondern habe mir einzelne Protagonisten gesucht, die signifikant sind für das, was in der Kirche passiert. Am Anfang hab ich mir gedacht, das Ganze dauert etwa drei Monate, die werden in der Kirche sein, dort wird die Polizei früher oder später kommen, die Kirche wird geräumt werden und dann wird man fast alle nach Pakistan abschieben. Ich hab mich also darauf eingestellt, dass es einen zweiten Teil des Filmes gibt, der dann woanders in Europa spielt oder eben in Pakistan. Letztendlich sind es drei Jahre geworden, weil - wie Österreich in vielem - das dann sehr inkonsequent war. Man wollte die Leute nicht abschieben, obwohl sie negative Bescheide hatten, auf der anderen Seite hat man ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, stärker integriert zu werden, also schneller einen subsidiären Schutz zu bekommen.
Stadtkino Wien
"Last Shelter" ist eigentlich ein Film über das Warten, der auch eine Art Zermürbungstaktik darstellt. Am Beginn des Films stellen die Refugees einen Forderungskatalog auf, z.B. Arbeitserlaubnis, ein Ende der Abschiebepraxis, Verbesserung der Wohnsituation, für den sie kämpfen, für den sie in Hungerstreik treten, mit der Caritas diskutieren. Du bist rein physisch auf ihrer Seite, mit der Kamera. Wie war deine innere Haltung?
Am Anfang, als ich die jungen Männer das erste Mal im Votivpark erlebt habe, hab ich mir gedacht, toll, sie fordern das, was viele NGOs auch einfordern müssten. Auf der anderen Seite waren ihre Forderungen so überzogen, dass ich wusste, das geht sich nicht aus. Es war klar, die Abschaffung des Dublin-Systems damals schon einzufordern, wäre unmöglich gewesen. Heute, drei Jahre später sehen wir, dass es auf eine andere absurde Art und Weise ausgesetzt wird.
Also es war für mich anfänglich eine ambivalente Haltung. Als sie mir dann aber in der Kirche gesagt haben, sie gehen in Hungerstreik, denn sie haben nichts mehr zu verlieren und sie würden lieber hier in der Kirche sterben als zurück in ihre kriegsführenden Länder zu gehen, war für mich schnell klar, dass ich bei ihnen bleiben mag und dass ich, weil sie mich auch darum gebeten haben, ihre Geschichten aufzeichne mit der Kamera.
Da ging es dann weniger um deine Meinung, als um eine menschliche Haltung.
Genau. Ich habe mich nicht als Aktivist verstanden. Ich habe ihnen gesagt, dass es für mich das Wichtigste ist, einen Dialog zu führen. Dass es sich um keine Komplizenschaft handelt, bei der ich hinter ihnen stehe und ihre Botschaft wie in einem sehr stark ideologisch gefärbten Film transportiere. Sondern dass es mir wichtig ist, einen politischen Dokumentarfilm zu machen, und das heißt auch alle Widersprüche aufzuzeigen. Und da waren sie einverstanden und haben gesagt, ja, mach mal.
Stichwort politischer Dokumentarfilm. Du hast deinen letzten Film über den Tierschützerprozess in Wiener Neustadt gemacht, nun "Last Shelter" über den Refugee Protest. Verstehst du dich als politischen Künstler?
Ich werde von anderen häufig so bezeichnet und deswegen habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, was das in der heutigen Zeit überhaupt bedeuten könnte. Godard hat einmal so schön gesagt, es geht nicht darum, politische Filme zu machen, sondern Filme politisch zu machen. Es geht also darum, eine Gestaltungsweise zu finden, es ist wichtig, die Themen einer Zeit zu suchen, die in der Gesellschaft virulent sind und zu schauen, ob sich Gesellschaften nach vorne, in eine freiere Gesellschaft oder in eine eher repressive Gesellschaft entwickeln. Dieser Mechanismus hat mich immer sehr interessiert, deswegen durchaus politisch, aber nicht ideologisch, das heißt, nicht einfach für jemanden einen Film machen, für eine ganz kleine Gruppe und deren Sprachrohr sein. Was mir wichtig ist, ist auch die Vermittlerposition für ein größeres Publikum einzunehmen, das heißt, einige tausend BesucherInnen im Kino und einige hunderttausend im Fernsehen, die den Film auch sehen sollen.
Stadtkino Filmverleih
Du hast gerade gesagt, du möchtest kein Sprachrohr sein für die, mit denen du dich in deinen Filmen beschäftigst. Das heißt, es besteht die Gefahr und darüber musst du dir Gedanken machen, dass man dich instrumentalisiert. Da geht es nicht nur um die Akteure vor der Kamera, sondern gerade bei der Votivkirche gab es verschiedene linke Gruppierungen, die bestimmte Interessen verfolgt haben. Das heißt, du musstest dir Gedanken machen, dass deine Unabhängigkeit als Künstler bewahrt bleibt.
Das war das Schwierigste überhaupt. Von den Flüchtlingen mochte ich ihren Gestus einer Selbstbestimmtheit, dass sie sagen, wir wollen für uns sprechen. Da ist man als Regisseur schon in einer anderen Position, weil man ihren Weg hin zu einer Mündigkeit zeigt. Dieser Weg wurde eigentlich von den Geflüchteten nie in Frage gestellt. Aber es gab sehr viele Supporter, Linksanarchisten und so weiter, die gesagt haben, es geht nicht, dass ein weißer Mann überhaupt etwas über diese Menschen macht, oder sie haben mir die Kamera mit den Händen zugehalten, es war ziemlich ruppig. Das war etwas, das ich vorher noch nie erlebt habe, dass mir jemand sagt, du bist der Falsche, du solltest das nicht machen, es sollte jemand aus der Bewegung machen.
Es gibt auch noch den Aspekt, dass die schwarze Community den Protest im Oktober vorher eingeleitet hatte. Sie haben sich dann auch nicht repräsentiert gefühlt, weil ich gesagt habe, ich kann nicht einen Film über die ganze Bewegung machen, sondern nur über einen Teil. Und da hat´s geheißen, aber warum, das musst du doch für die Bewegung tun! Und ich hab gesagt, ich glaub, dass das nicht gut ist, denn ein Film, der zu viele AkteurInnen hat und nur versucht, ausgeglichen eine Bewegung darzustellen, ist zwar für die Bewegung wichtig, aber einem größeren Publikum muss man die Intensität zeigen, wie einzelne Personen, mit denen man emotional eine Verbindung aufbauen kann, durch diese drei Jahre in ihrem Asylprozess gegangen sind, wie schwierig es war, welche Konflikte es da gab, aber auch wie sie selber daran gescheitert oder gewachsen sind.
Ich wollte wirklich aufzeigen, was heißt das, wenn sich junge Menschen selber auflehnen, um zu sehen, welche Freiräume sie in einer Demokratie für den Protest haben.
Last Shelter
Vorführungen in Anwesenheit von Gerald Igor Hauzenberger:
27.11., 30.11., 2.12., 7.12., 15.12. : Wien Stadtkino
- 28.11.: St. Pölten Megaplexx
- 3.12.: Wels Programmkino
- 4.12.: Linz Moviemento
- 6.12.: Innsbruck Leo Kino
- 9.12.: Krems Kesselhaus