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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

2. 11. 2015 - 06:00

Überraschung!

Das Duo Beach House, unser Artist of the Week, hat wenige Wochen nach Veröffentlichung eines neuen Albums ein noch neueres nachgeschoben. Eine kleine Kulturgeschichte der tongewordenen Überraschungseier.

FM4 Artist of the Week
Diese Woche mit Beach House

Erinnert ihr euch noch an das letzte Daft-Punk-Album? An den Wahnsinns-Roll-Out, der sich über mehrere Monate zog? An die YouTube-Clips mit kurzen Songfragmenten, die plötzlich überall im Netz auftauchten? An die riesen Billboard-Plakte über Hollywood, die gebuchten TV-Spots bei SNL, den Geisterauftritt beim Colbert Report und schließlich den gigantomanischen Launch des Albums in einer australischen Stadt, die für kurze Zeit zu Daft-Punk-City mutierte?

Beach House

Shawn Brackbill

Es geht auch anders. Total anders. Ganz ohne Vorankündigung, Presserummel und fette Werbeetats. Der Überraschungsrelease ist das Pendant zum Mega-Roll-Out. Dass Alben wie aus dem Nichts auf unseren Bildschirmen landen - die Überraschung stellt sich zu fast 100 Prozent digital ein - erfreut sich zunehmender Beliebtheit (Drake! Kendrik! Miley!) und hat unterschiedliche Gründe.

Manche tun es aus der Not des Leaks heraus (Björk, Madonna). Andere, weil sie für einen kurzen Moment alle Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen und den Effekt über den Kreis der Musikkonsumenten ausdehnen wollen (Beyoncé, D'Angelo). Manche, weil sie sich an den Busen der Corporations geschmissen haben (U2, Jay-Z) und wieder andere, weil sie deren Milch nicht mehr zuzeln möchten (Death Grips, Angel Haze).



Und nun haben Beach House, unsere Artists of the Week, ihren Fans ein riesen Überraschungsei gelegt. Wenige Wochen nach der regulären Veröffentlichung des fünften Albums "Depression Cherry" hat das Dream-Pop-Duo aus Baltimore ein weiteres Full-Length-Album nachgeschoben. "Thank Your Lucky Stars" ist ohne Ankündigung Ende Oktober erschienen und stellt in dem Release-Wirrwarr unserer Tage eine weitere Novität dar. Für uns Grund genug, zurückzublicken und die spektakulärsten, erfolgreichsten und unnötigsten Überraschungsreleases der letzten Jahre Revue passieren zu lassen.

1. Überaschung mit Ankündigung

Radiohead waren vielleicht nicht die ersten, aber mit Sicherheit die spektakulärsten Überraschungseier des digitalen Musikzeitalters. 2007 veröffentlichten die Briten das Album "In Rainbows". Es ist die Zeit der großen Internet- / Raubkopie- / Musikindustrie-Debatte. Die Songs waren okay, an was man sich aber heute erinnert: Radiohead stellten es ihren Fans frei, wieviel sie für das Album bezahlen wollten (Ich ließ heiße 2 Euro springen, wenn ich mich richtig erinnere). Nicht weniger revolutionär: "In Rainbows" wurde erst zehn Tage vor der Veröffentlichung angekündigt - auch das für damalige Verhältnisse eine kleine Sensation. Der Nachfolger "The King of Limbs" aus 2011 kam mit nur fünf Tagen Vorlaufzeit aus. Weitere Alben mit kurzer Startbahn: "The Next Day" von David Bowie (2013), Die Kaiser Chiefs mit "The Future Is Medieval" oder "mbv" von My Bloody Valentine (drei Tage) und dieser Tage Grimes mit "Art Angels".

2. Überraschung, geboren aus der Not


Der häufigste Grund für einen Hauruck-Release ist der sogenannte Album-Leak. Björks "Vulnicura" hätte ursprünglich im März dieses Jahres erscheinen sollen. Als aber bekannt wurde, dass das Album bereits drei Monate vorher im Internet herumgereicht wurde, zog Björk die Reißleine und veröffentlichte die Platte bereits im Jänner. Weitere Leak-Opfer: Madonna ("Rebel Heart"), Frank Ocean ("Channel Orange") und unzählige andere.

3. Die Mega-Marketing-Kollabo-Überraschung



Wenn der Release am Altar des Kommerzes geopfert wird: U2 und Jay-Z haben es vorgemacht und die Veröffentlichung ihrer jüngsten Alben in den Dienst der Technogiganten Apple und Nokia gestellt. Jay-Z ließ kurz vor der Veröffentlichung von "Magna Carta ... Holy Grail" TV-Spots während der NBA-Finals schalten. Mehr war da nicht mit Ankündigung, aber das reichte. Bei U2 ging die Kooperation mit dem verpflichtenden Download des Albums auf iTunes einher, was noch mehr stank als die Musik von "Songs of Innosence" - von wegen Unschuld. Aber es wirkt: bis heute war ich zu faul, das Album zu löschen.

4. Die tatsächliche Überraschung



Und dann gibt es noch das ganz große Überraschungsei: den Release ohne jegliche Vorankündigung. Die Könige dieser Disziplin sind die Death Grips. Aus purer Lust und Laune und um der Musikindustrie den Stinkefinger zu zeigen, schenken sie immer wieder unangekündigt ihre Musik her. Legendär der Bruch mit ihrem Label Epic Records vor zwei Jahren. Das bestellte Album landete nicht als Mastertape bei der Plattenfirma, sondern als Twitter-Link auf diversen Torrent-Seiten. Uff.

Bei Megastar Beyoncé dürfte die Motivationsgrundlage eine etwas andere gewesen sein. Die überraschende Veröffentlichung ihres fünften Studioalbums zur Weihnachtszeit 2013 stellte sich als riskante, aber letztendlich erfolgreiche Strategie heraus. Die Fachwelt kniete vor der Queen. Die Fans klickten den Buy-Button und sorgten im Haushalt Carter-Knowles für besonders pralle Weihnachtsstrümpfe am Kamin.



Doch Vorsicht, falls ihr das zu Hause nachmachen wollt. Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Overnight-Release sind ein Bekanntheitsgrad, der über den primären Freundeskreis und diverse Onkeln und Tanten hinaus reicht, eine unendlich lange Liste an Social-Media-Kontakten und fähige Aufmerksamkeitsmitarbeiter, die die Wellen über den ganzen Teich treiben können.

Apropos Überraschung: Wayne Coyne, Miley-Bro-No.1, und noch immer Vorstand der Flaming Lips, hat Ende September in seinem Podcast einen vermeintlich neue Suprise-Single von Beach House vorgestellt. Musikseiten wie Spin oder Consequence of Sound lobten das neue Teil, das sich aber wenig später als Hoax herrausstelle. Nicht in jedem Überraschungsei steckt auch tatsächlich ein tolles Spielzeug.

P.S. Zum Trend gibt's natürlich auch schon den Kater.
P.P.S. Und nein, der mysteriöse Countdown auf der Foo-Fighters-Site gilt nicht notwendigerweise einem Überraschungsrelease. Es könnte sich auch um den Tag handeln, an dem Dave Grohl seinen Gips verliert.