Erstellt am: 1. 11. 2015 - 09:57 Uhr
Wimmelbild für Stressresistente
Introversion
Der Blick von oben gibt Überblick und schafft Ordnung - auch im Computerspiel. Wenn sich allerdings zu ebener Erde erstaunlich viel bewegt, kann auch aus der Vogelperspektive Stress aufkommen - doch was gibt es Schöneres, als sich auch mit den kleinen Dingen des Lebens ausführlich zu beschäftigen?
Das aktuell erschienene "Prison Architect" macht uns zu Gefängnisplanern und -verwaltern und somit zum Herren über teils hunderte Gefangene und Anstaltspersonal. Spielerisch ist das Ganze auch jetzt noch so brillant und herausfordernd wie bei der Besprechung der damals noch nicht fertigen Early-Access-Version, doch der kommentarlose Blick aufs gesellschaftlich heikle Thema Gefängnis und Todesstrafe hinterlässt bei manchen Spielerinnen und Spielern eventuell einen komischen Beigeschmack.
Gefängnisausbruch
"Early Access" bedeutet, dass Spielerinnen und Spieler schon vor Fertigstellung - meist zu einem vergünstigten Preis - drauflosspielen können. Vorsicht, Baustelle!
Das ist aber kein Grund, aufs Genre zu verzichten. Nicht nur bei den Kultklassikern - von "Dungeon Keeper" über sämtliche "Theme Park"- bzw. "Roller Coaster Tycoon"-Ableger bis hin zu entfernteren Verwandten wie den "Siedlern", "Tropico" oder "Anno" - ist der Mix aus eigenwilligen Pixelpersönlichkeiten und Aufbaustrategie ein Garant für lange Spielabende.
Ein (subjektiver und unvollständiger) Rundgang zu aktuellen und klassischen Aufbaustrategie-Alternativen mit Wimmelbild-Charme - Obacht: zum Großteil noch in Early Access.
Rimworld
Gestrandet auf einem fremden Planeten - das klingt zuerst nach Abenteuer, ist aber vor allem eines: eine große Aufgabe für Logistiker und Organisationstalente. "Rimworld" kopiert frech den Cartoon-Stil von "Prison Architect", spielt sich aber merkbar anders: Obwohl auch hier die Konstruktion von Gebäuden und das Management von Arbeitsabläufen wichtig ist, wachsen uns die wuseligen Kolonisten im Gegensatz zu den grimmigen Knastbrüdern schnell ans Herz - auch weil sie anfangs nur zu dritt und alle mit merkbarer Individualität ausgestattet sind.
Rimworld: Ludeon Studios
Das im Moment noch als nicht ganz fertige Alphaversion erhältliche Spiel will aber nicht nur ein Sandkasten, sondern - wie viele der Wimmelsimulationen - ein wahrer Geschichtengenerator sein. Dass sich dank "emergent gameplay" nämlich aus zufälligen Spielsituationen oft die besten Geschichten ergeben, wird hier von einer eigenen "Geschichtenerzähler-KI" unterstützt.
Maia
Noch eine Kolonie im All, nur diesmal mit besonders schicker Optik und minimalistisch simpler Steuerung: Auch "Maia" ist noch nicht fertig, zu furchtbaren (oder furchtbar unterhaltsamen) Weltraumdesastern reicht es aber schon. Wie im Genre üblich steuern wir auch hier unsere Kolonisten nicht direkt, sondern können ihnen nur ein möglichst gutes Umfeld schaffen, in dem sie im besten Fall dann auch Kleinigkeiten wie Essen oder Sauerstoff vorfinden.
Schwarzer Humor und Science-Fiction-Atmosphäre lassen Großes für die fertige Version erhoffen, aktuell ist wegen der andauernden Entwicklung aber auch beim Spiel selbst im Moment noch Pioniergeist von Vorteil. Wer's wagt, darf sich ein bisschen wie der "Marsianer" fühlen.
Banished
Vom All in den finsteren Wald geht's in "Banished", das so etwas wie ein Konzentrat des Aufbauspielgenres verknüpft mit einer gehörigen Portion Überlebenskampf bietet. Aufgabe des Spielers ist es, mitten in der Wildnis ein Dorf zu errichten und dabei Hunger, Kälte sowie Naturkatastrophen zu trotzen. Wunderschön anzusehen, geradlinig, ausgefeilt, aber zugleich fordernd und motivierend, macht "Banished" alles richtig, was die "Großen" von "SimCity" abwärts falsch gemacht haben.
Banished: Shining Rock
Die Bewohner unseres Dörfchens haben einen Hauch weniger Charakter und Individualität als in den anderen hier vorgestellten Spielen, doch einen Vorteil hat das Aufbaumittelalter: Es ist - als einziges der hier Genannten - bereits fertiggestellt. An die Äxte!
Gnomoria
Auch im Fantasy-Reich will geplant und gebaut werden, und "Gnomoria" macht seine Spielerinnen und Spieler, nomen est omen, zu Planern einer Gnomensiedlung. Die simple Optik trügt: Hinter der Retro-Ästhetik schlummert eine komplexe Weltsimulation, in der Bauen, Planen, Landwirtschaft, Kampfsysteme und eine ganze Menge Charme stecken.
Auch hier gilt: Vorsicht, Baustelle! Ob die ambitionierte Simulation jemals den "Fertig"-Stempel aufgedrückt bekommt, ist aktuell unsicher, doch das macht wenig aus: Schon jetzt ist das Bauen, Staunen und Verwalten ein ziemliches Erlebnis für alle, die eine lebende, wuselnde Welt vor sich haben wollen.
Dwarf Fortress
Das bringt mich zum letzten Spiel dieser kleinen Aufzählung. "Dwarf Fortress" ist nicht nur eines der direkten Vorbilder für "Prison Architect", sondern war überdies Inspiration für Marcus "Notch" Persson bei der Konzeption von "Minecraft", ist im New Yorker Museum of Modern Arts ausgestellt und hat eine eigene Publikation im renommierten US-IT-Verlag O'Reilly. Komplexer, wahnwitziger und detaillierter ist keine Simulation an ihr Thema, hier die Verwaltung wackerer Zwergenkonstrukteure beim Bau immer größenwahnsinniger werdenden Festungen, jemals herangegangen.
Bay 12 Games
Wer sich durch tödlich unhandliches Nutzerinterface, steile Lernkurve und dürre ASCII-Grafik (im Bild oben ist übrigens bereits ein verhübschendes Tileset zu sehen!) kämpft, findet ein Ausnahmespiel, das schon jetzt seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher hat. Sein Schöpfer lebt übrigens von freiwilligen Spenden und rechnet damit, in so circa 20 Jahren mit der Entwicklung völlig fertig zu sein. Ein Spiel für die einsame Insel - und zugleich der große, völlig verrückte König des Wimmelstrategiegenres. Strike the earth!