Erstellt am: 10. 10. 2015 - 20:47 Uhr
Allein im weiten Rot
Wissensdurst, Einfallsreichtum und Hartnäckigkeit werden in Science-Fiction-Geschichten oft als die Eigenschaften genannt, die den Menschen ausmachen. Ohne sie könnten Errungenschaften wie fortgeschrittene künstliche Intelligenz oder der Vorstoß ins All und die vielen Hindernisse und Rückschläge, die damit einhergehen, nicht in dieser Konsequenz stattfinden. Space doesn't cooperate ist auch einer der Stehsätze im Science-Fiction-Roman "The Martian" von Andy Weir. Gleichzeitig schreibt der Autor aber auch immer wieder fasziniert von der immensen Hilfsbereitschaft, zu der Menschen bei auftretenden Krisen und Notsituationen fähig sind.
20th Century Fox
Der Roman "The Martian" ("Der Marsianer") erzählt eine interplanetare Geschichte von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt, und doch ist der Protagonist Mark Watney viele Monate lang mehr oder weniger komplett auf sich allein gestellt - auch dann, als bereits die ganze Erde von seinem Schicksal weiß. Nach einem Unfall bei einer bemannten Mars-Mission in einer nahen Zukunft wird die Mars-Basis aufgrund eines üblen Sturms evakuiert. Watney schafft es nicht zur Rakete, die die Crew aus der Atmosphäre zu ihrem Raumschiff zurück schießt. Doch die abgefallene Antennenstange, die ihn getroffen hat, war gar nicht tödlich - stattdessen hat sie mit dem eingetrockneten Blut den Raumanzug perfekt verschlossen und dem Astronauten so das Leben gerettet.
Fear my botany skills!
20th Century Fox
Mark Watney ist Botaniker und Mechaniker, was ihn in seiner monatelangen Notsituation zu einer Art Weltraum-MacGyver werden lässt. Er plant sein Überleben, pflanzt Erdäpfel in der Marsbasis, modifiziert und hackt die Mars-Rover, sucht, findet und bearbeitet diverse Gegenstände, die ihm dabei helfen, nicht zu sterben und irgendwann wieder mit der NASA kommunizieren zu können. Watney ist dabei ebenso professionell wie amüsant: Er weiß, dass scheinbar auswegslose Situationen nur mit geistesgegenwärtigem Überlebenskampf und Humor zu bewältigen sind. Seine Tätigkeiten, Experimente und Erlebnisse teilt er mit dem Logbuch, dessen Einträge einen Großteil des Romans ausmachen. Auf der Erde raufen sich derweilen die Entscheidungsträger der NASA die Haare über der Frage, ob und wie Watney gerettet werden kann.
20th Century Fox
Das Buch ist eine Freude für alle Science- und alle Science-Fiction-Begeisterten. Letztere müssen sich ja immer wieder vorwerfen lassen, dass ihre Romane, Serien und Filme oft nicht mehr als mit aufwändiger Technik durchsetzte Märchen sind. "The Martian" hingegen ist (ebenso wie etwa der empfehlenswerte Zukunftsreisenfilm "Primer") möglichst nahe an der Science, mit nur einer Prise Fiction. Die teils sehr ausführlich beschriebenen technischen und chemischen Basteleien von Mark Watney sind fast durchgehend wissenschaftlich bestätigt. Ebenso nahe an der physischen Realität sind die Beschreibungen der Raketen, des Raumschiffs und der gesamten Umgebung - von der Ausstattung der Mars-Basis bis hin zur Beschreibung der einzelnen Mars-Regionen, zwischen denen sich Watney mit seinem gepimpten Rover hin- und herbewegt.
Von Sol zu Sol
Die von Autor Andy Weir gezeichnete Figur des Mark Watney ist einer Hollywood-Verfilmung (Regie: Ridley Scott) von Anfang an sehr entgegen gekommen. Smart, sympathisch, willensstark und charismatisch arbeitet sich Watney von Sol (das Mars-Pendant zu einem Erden-Tag) zu Sol. Matt Damon, der in den letzten Jahren durch Darstellungen in "Elysium" und "Interstellar" in Sachen Sci-Fi bereits eindringlich geschult worden ist, stellt Mark Watney als zwar coolen und professionellen Astronauten dar, geht aber glücklicherweise nicht so weit, einen smart-ass aus ihm zu machen. So schaut Watney/Damon etwa nach einem misslungenen Experiment schon mal ziemlich blöd aus der Wäsche oder vergisst ein anderes Mal beinahe, den Helm wieder aufzusetzen bevor er sich der tödlichen Mars-Atmosphäre aussetzt. Kein Wunder: Weit über ein Jahr völlig alleine auf einem fremden Planeten zu sein, kann einen ziemlich verwirren.
20th Century Fox
Time passes
Fast völlig verloren geht im Film leider das triste Alleinsein und das langsame Vergehen der Zeit. Watney wagt darüber hinaus im Roman einige kühne Aktionen, die immer wieder für Rückschläge sorgen - einige mehr als im Film gezeigt werden. Andererseits führt er auch jede Menge Tests und Sicherheitsvorkehrungen durch, um das immense Risiko, dem er ständig ausgesetzt ist, so gut wie möglich zu minimieren. Wie bemerkenswert schlussendlich die Meilensteine sind, deren Erringen einem beim Lesen nach vielen Seiten des Hoffens manchmal beinahe Tränen in die Augen treiben - das kann im Film durch den flotten Hollywood-Schnitt oft nicht mal angedeutet werden. Der Überlebenskampf von Mark Watney ist zäh und langwierig. Ein bisschen mehr Leiden und ein Hauch mehr Verzweiflung wäre - Astronauten-Professionalität hin oder her - der Dramaturgie des Films nicht schlecht gestanden. Dennoch macht der Film mit und ohne Roman-Kenntnisse Spaß und liefert schöne Bilder.
"The Martian" ist die ideale Belohnung für alle Schüler/innen, die die vielen Mad-Scientist-Experimente von Mark Watney im Physik- und Chemieunterricht durchnehmen und diskutieren haben müssen. Genug gelernt, heute schauen wir einen Film!