Erstellt am: 27. 10. 2015 - 14:27 Uhr
Viennale konfrontiert große Themen #Vlog15 - 3
Viennale auf FM4
Das Vienna International Film Festival vom 22. Oktober bis zum 5. November.
Alle Ausgaben des Viennale-Tagebuchs von Lukas Tagwerker
Und am Mittwoch, den 28. Oktober, gibt es ein Viennale-Special in der FM4 Homebase (19-22 Uhr)
Nanni Moretti ist der Gaukler-Magier des italienischen Kinos.
Mit seinem Film Habemus Papam von 2011 hat Moretti den ersten Papstrücktritt seit über 700 Jahren um zwei Jahre vorweg genommen.
Während den Dreharbeiten starb seine Mutter.
Nanni Moretti
Diese Erfahrung verarbeitet Moretti in seinem neuen Film Mia Madre.
Nanni Moretti
Mia Madre
Die Regisseurin Margherita (gespielt von Margherita Buy) geht durch einen Mehrfronten-Nervenkrieg.
Ihr Lover ist ein sich entziehender Schauspieler, ihre Crew am Set begreift ihr Kunstwollen nicht, ihr Star aus Hollywood bringt von dort unmögliche Allüren und Verschleißerscheinungen mit, ihre Tochter geht emotional auf Distanz, ihr Bruder sagt, dass die Mutter bald sterben wird, ihre Mutter gibt allmählich ihren Geist auf.
Und stirbt.
Margheritas Leidensweg besteht darin, das alles zu realisieren.
Zwischen der Inszenierungsarbeit am Film über eine sterbende Fabrik und der Sorgearbeit um die eigene sterbende Mutter spannt sich auf der Leinwand ein neuroökonomischer Drahtseilakt.
Mia Madre ist feinster Slapstick und großes Theater, das wie nebenbei die brennenden Themen unserer Zeit kommentiert: das Ende der Arbeitsgesellschaft, der Verlust der Realitätssinne, die Suche nach Zusammenhalt.
Viennale
Last Shelter
Ich frage mich: wie würde ein Film aussehen, den die Protagonisten der Wiener Refugee-Bewegung über Gerald Igor Hauzenberger machen würden?
Etwas an diesem handwerklich sensibel gemachten Film lässt mir keine Ruhe.
Vielleicht ist es der Umstand, dass Hauzenberger selber gar keinen Film machen wollte und die Refugee-Bewegung ihn bei einer Begegnung dazu verführt hat: ein Film aus der Notwendigkeit geboren.
Herausgekommen ist eine Chronik, ein Erinnerungsfilm, ein Porträt der beeindruckenden Persönlichkeiten.
Analyse, Hintergründe, Zusammenhänge bleiben ausgespart, dafür gibt es starke Bilder und Nähe zu den Ausnahme-Emotionen, die für die Schutzbefohlenen grausame Normalität sind bzw. (für manche zum Glück) waren.
Wenn die Wut der Protestierenden auf der Straße die Mitarbeiter der pakistanischen Botschaft zum Rückzug in diese Botschaft zwingt, rückt ein größerer Teil der Konfliktdimension ins Bild.
Dass Drohnen, die in Pakistan Unschuldige töten, in Österreich produziert (und verkauft) werden, zeigen andere Filme.
Last Shelter ist allein schon als Zeitdokument absolut sehenswert.
Den vollen hungernden Apell seiner Hauptdarsteller verdoppelt der Film aber zu einem leeren hungernden Abbild dieses Appells.
Viennale
Lampedusa im Winter
Jakob Brossmann hat zwei Winter auf der Insel verbracht, die 130 Kilometer von der tunesischen und 230 Kilometer von der sizilianischen Küste entfernt liegt.
Während Hauzenberger die österreichischen StatistInnen als verständnislose Querulanten einfängt, bringt Brossmann für die "Mehrheitsbevölkerung" Lampedusas ein Verständnis auf, das sie in ihren eigenen Schwierigkeiten und Kämpfen darstellt und den Fokus erweitert.
Lampedusa im Winter panoramisiert Ökonomie, Politik, Medien und Zivilgesellschaft der Insel.
Die Arbeit Einzelner zwischen Schiffsfriedhof und Menschenfriedhof, die Übersetzungsarbeit zwischen den Spuren der Verstorbenen und dem Andenken der Lebenden wird als Grundlage einer dringend notwendigen Perspektive kenntlich.
Der Satz "Ich verstehe Euren Protest, aber ich will ehrlich mit Euch sein." fällt bezeichnender Weise sowohl in Last Shelter als auch in Lampedusa im Winter.
Ehrliches Verstehen steht akut an.