Erstellt am: 25. 10. 2015 - 13:24 Uhr
Irgendwas mit Viennale #Vlog15 - 2
Viennale auf FM4
Das Vienna International Film Festival vom 22. Oktober bis zum 5. November.
Alle Ausgaben des Viennale-Tagebuchs von Lukas Tagwerker
Und am Mittwoch, den 28. Oktober, gibt es ein Viennale-Special in der FM4 Homebase (19-22 Uhr)
Dieser Wiener Kinosaal ist ein Geheimtempel.
Am fünften Tag nach dem Silvesterfest 1997 führt mich mein damals bester Freund in den Tempel.
Zwei Schulkolleginnen sind mitgekommen, wir waren 15jährige teils konfirmierte BE-Aufpasser, der Film: Surviving Picasso.
Nach meinem ersten Kinofilm mit "Überlänge" knutscht mein bester Freund mit der einen Klassenkollegin. Die Erwartungshaltung der anderen Kollegin lasse ich unangesprochen im Raum, zwei Wochen später steht in meinem Notizkalender: mit C. getanzt, gehe mit ihr.
Museum of Innocence
Unschuld der Erinnerung
Intimitäten, Erinnerungen, Räume und öffentliche Repräsentation - der Film "Innocence of Memories" von Grant Gee, den ich vorletzte Reihe Mitte im musenhaften Kinotempel des Künstlerhauses sehe, schiebt mich durch ein nächtliches Traum-Istanbul, das menschenleer ist.
Straße um Straße, Gasse um Gasse, Brücke um Brücke, die Nacht ist lang, die sprechenden Stimmen verdichten Vorkommnisse und kommentieren deren reale sowie künstlerische Interpretation. Orhan Pamuks Fußnoten, seine Quellen sprechen gegen ihre - durch die Fülle der Recherchen notwendige - ungenaue Repräsentation.
Kollege Ali Cem Deniz hat sich den Film auch angesehen und meint:
"Zunächst mal fand ich den Film, das Buch und das Museum auch sehr berührend, weil ich selbst ziemlich starke emotionale Beziehungen zu Gegenständen aufbaue.
Im türkischen Kontext ist das besonders interessant, weil ja die Gesellschaft eine wirklich problematische Beziehung mit der eigenen Vergangenheit hat. Einerseits wurde da von staatlicher Seite immer wieder versucht, das Gedächtnis zu löschen und mit neuen Narrativen Zusammenhalt zu schaffen.
Andererseits gibt es trotzdem ein starkes emotionales Interesse zur (osmanischen) Geschichte. In der Türkei sind deshalb populärhistorische Bücher Dauerbestseller.
Was Istanbul betrifft: diese Stadt ist halt ein zweischneidiges Schwert. Beinahe die gesamte kulturelle Produktion des Landes konzentriert sich auf Istanbul. Deshalb meinte ich, dass es auf mich manchmal banal gewirkt hat. Orhan Pamuk ist der international berühmteste "Istanbul-Romancier", aber in der türkischen Literaturgeschichte gibt es einfach zig AutorInnen, die den gleichen "Titel" tragen.
Diese extreme Monopolisierung ist auch ein Grund dafür, dass die meisten anderen Städte (ich komme auch aus so einer Stadt) einander ähneln, wie der Taxifahrer richtig bemerkt. manchmal fühle ich mich einfach übersättigt von Istanbul-Geschichten.
Wobei ich glaube, dass Pamuk ein bisschen mit diesen Klischees spielt. Nicht umsonst will die weibliche Protagonistin Füzun Schauspielerin werden."
Viennale
Outrage
Ich sitze schon wieder im Künstlerhauskino.
Vorletzte Reihe Mitte.
Outrage, von 1950, ist Teil des genial programmierten Ida Lupino Viennale-Specials und beginnt witzig-spritzig.
Der Verlobte der Büroangestellten fürchtet sich davor, ihrem Vater, dem Geometrie-Professor vorgestellt zu werden, vor dessen Geometrie-Prüfungen am zukünftigen Schwiegersohn.
Die Szene, in der er dann tatsächlich im Elternhaus der Braut auf seine Geometrie-Kenntnisse abgeklopft wird, lässt meine Erwartungen an Outrage in Richtung Screwball Comedy hopsen: der Zukünftige lehnt an der Fauteuille-Lehne und fingert fieberhaft vor Nervosität das wollene Futter durch eine Öffnung aus der Lehne, während die zukünftige Schwiegermutter und die Braut gemeinsam am Spinnstuhl spinnen.
Dann kommt eine Wendung.
Ourtage wird zum Horrorthriller. Zum Psychothriller. Zum Melodram.
Und zur Parabel über Traumabewältigung.
Ich habe noch nie so etwas gesehen.
Ob es an meiner psychischen Labilität oder an Lupinos perfekter Mittelbeherrschung liegt?
Erst tropft es aus meinem rechten Auge, dann tropft es aus meinem linken Auge, dann fließen beide Augen vor erlöster Bitterkeit, süßer Rührung.
Am Ende rascheln die Taschentücher rundherum im Tempel.
Jennifer Allen schreibt über Trauma in der Kunst:
"Per Definition widersteht Trauma der Repräsentation durch das traumatisierte Subjekt, sonst wäre es keine traumatische Erfahrung.
In der klinischen Literatur taucht Trauma als sture Auslöschung auf: ein dermaßen schreckliches Ereignis, dass es aus dem Bewusstsein verbannt wird und doch auf eine Weise persistiert wie eine Schallplatte, die immer wieder über die selbe Rille springt, die immer gleiche Erinnerung, die doch nicht vollständig abgerufen werden kann."
Der 26.10., von der Viennale weitblickend als Internationalfeiertag ausgerufen, wird aktuellen Traumabewältigungserfordernissen gerecht: Heimatverlust, Fremdheit und die Bewahrung der Menschlichkeit stehen am Programm.
Fiebernde Erwartungen und kontroversielle Vorgefühle vor Brossmanns Lampedusa im Winter und Hauzenbergers Last Shelter.
Viennale