Erstellt am: 24. 10. 2015 - 14:40 Uhr
Am Kottbusser Tor
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme
Geschichten aus der deutschen Hauptstadt von Christiane Rösinger
Schlimm war die letzte Woche in Berlin, grau und feucht und geregnet hat es. Meistens um diese Zeit, spätestens im November fällt den BerlinerInnen wieder auf, wie hässlich ihre Stadt sein kann, hässlich und windig und kalt. Und das Deprimierende ist: Man weiß, so wird es jetzt ein halbes Jahr lang bleiben, nur noch kälter.
Andererseits liegt das Hässliche ja auch im Auge des Betrachters. Lange galt zum Beispiel das Kottbusser Tor in Kreuzberg - auch liebevoll Kotti genannt - als das Schlimmste, was Berlin allgemein so zu bieten hat.
Und es war auch krass dort, zum Beispiel rund ums "NKZ", (Neues Kreuzberger Zentrum), der berühmtesten Bausünde aus den 1970er-Jahren, errichtet vom sozialen Wohnungsbau, um den sogenannten "Sozial Schwachen" erschwinglichen Wohnraum zu bieten.
CC BY-SA 3.0, Lienhard Schulz at German Wikipedia
Die Hochhäuser zerbröckelten, kaum waren sie ein paar Jahre alt. Dank einer quasi-kriminellen Wohnbaugesellschaft und Hausverwaltung funktionierte bald auch keine Klingel und kein Aufzug mehr, die Wände schimmelten vor sich hin. Draußen am Platz vor dem U-Bahn-Eingang Kottbusser Tor versammelte sich die Heroinszene, Alkoholiker trafen sich zum Saufen. Schnaps, Ratten, Kotze, vollgeschissene Treppenhäuser, Spritzbesteck und Junkieleichen in den Fluren - das war der Kotti. Alle Geschäfte der düsteren Ladenpassage schlossen nach und nach, die Kriminalität stieg, es gab Mord und Totschlag. Die Bewohner trauten sich nicht mehr aus ihren kaputten Wohnungen.
In den letzten zehn Jahren wurde es dann wegen der günstigen Miete und dem Leerstand unter Studierenden und KünstlerInnen ein wenig schick, in die kaputte Siedlung zu ziehen.
Um das inzwischen in "Forum Kreuzberg" genannte Betonmonster haben sich nach und nach Clubs und Lokale wie der "Monarch", "westgermany", "Paloma Bar", "Festsaal Kreuzberg", " Möbel Olfe" und Südblock eingerichtet, der Kotti ist zur belebten Ausgehgegend geworden. Kleine Werkstätten, Off-Off-Galerien und Co-Working-Spaces folgten und natürlich jede Menge Bars.
Wird der Kotti jemals schick werden? Elend sieht man hier noch genug. An einem normalen Nachmittag kann man immer noch Bettler, eine betrunkene Oma im Rollstuhl, die über ihren Bierflaschen auf dem Schoß einschläft, Scherbenhaufen, krakeelende Alkis, Ratten, Kotze, Junkies und Schlägereien erleben. Aber jetzt stehen nachts eben auch die Hostelhorden am Kotti und suchen die Eingänge zu den Bars und Clubs.
Es ist einfach sehr lebendig am Kotti
Über den unfallträchtigsten Kreisverkehr der Stadt donnert die U1 als Hochbahn, ein schmuddeliger Supermarkt sorgt täglich bis 24 Uhr für Getränkenachschub, davor stehen aggressive Schnorrer, und wenn der Fixbus, ein Hilfsprojekt für Junkies, auf dem Platz hält, kann man sehr schön sehen, was Heroin und Alkohol auf Dauer aus einem Körper machen.
Direkt daneben erstreckt sich ein bunter Wochenmarkt, es gibt ein riesiges, internationales Fast-Food-Angebot, türkische Bäckereien, eine Bibliothek. In der Seitenstraße steht ein tolles altes Kino neben einer berühmten Cocktailbar beim Kreuzberg-Museum, dazu jede Menge Cafés und eine queere Trinkhalle. Mit dieser Lebendigkeit ist der Kotti der Gegenentwurf zum Prenzlauer Berg, zu Gemütlichkeit im Bionade-Biedermeier, Bullerbü-Idylle mit kleinen Biolädchen und Holzspielzeug.
Der Kotti wird immer berühmter, so berühmt, dass sich am Donnerstag sogar eine Ausstellung und ein Theaterstück mit ihm befassten.
Im Haus der Kulturen der Welt ging man unter dem Titel "Wohnungsfrage" der Frage nach, wie sich in Zeiten zunehmender Wohnungsknappheit das Wohnen neu denken lässt. Berliner Initiativen, die sich gegen Verdrängung, Mieterhöhungen und den Verlust öffentlicher Räume engagieren, wurden zu AuftraggeberInnen für internationale Architekturbüros.
Und mit dabei war die die Initiative Kott&Co, die in Zusammenarbeit mit dem Architekten Teddy Cruz und der Wissenschaftlerin Fonna Forman aus San Diego einen modularen Raum entwickelte. Der steht nun im 1:1 Modell in der Ausstellung, ist aber eben kein Wohnraum, sondern eine Werkstatt, ein Protestraum, ein Veranstaltungsraum und alles Mögliche mehr - ein flexibler Raum zur informellen Aneignung: das "distributed gecekondu". Demnächst wird es in dreifacher Ausführung aufgebaut: einmal im HKW, einmal am Kottbusser Tor, Berlin und einmal in Tijuana, Mexiko.
be.bra Verlag
be.bra Verlag
Zeitgleich zur Ausstellungseröffnung lud der kleine be.bra-Verlag zur Buchvorstellung und Lesung ins "westgermany" - einer ehemaligen Arztpraxis am Kotti, deren marodes Innenleben samt kaputter Kabel, zerfressener Verschalungen und aufgeklebter Kacheln malerisch von den Zwischendecken baumelt. Der Club, einst ein spezieller, halb-geheimer Konzertort für die nordamerikanischen Indie-, Noise- und Elektro-Szene, krankte in letzter Zeit ein wenig an seiner Beliebtheit bei amerikanischen Ausgehtouristen und wurde von den Stammgästen eher gemieden. Dort wurde das Theaterstück "Der Kotti - Die Versteigerung von No. 36" von Jörg Albrecht in einer szenischen Lesung aufgeführt.
Auf der Folie von Thomas Pynchons Roman "Die Versteigerung von No. 49" wirft Albrechts Theaterstück die Frage auf, wie die Zukunft des Kotti aussehen kann.
be.bra Verlag
Der Autor und zwei SchauspielerInnen skizzieren in drei kurzen Akten ein recht düsteres Bild auf den Kotti im Jahr 2029. Der Kotti ist tot und alle wollen in trendy Zehlendorf (2015 noch ein grüner Außenbezirk für Professoren und andere Besserverdienende) wohnen… Hipster, Ausverkauf und Gentrifizierung haben dem Kotti den Garaus gemacht, die berühmte Kreuzberger Mischung - Menschen sämtlicher Schichten und Herkunft in einem Haus und das Gewerbe im Hinterhof - wurde durch Spekulation und falsche Mietenpolitik zerstört. In den Dialogen werden auch die Gründungsmythen Kreuzbergs, der Rauch-Haus-Song, Ton Steine Scherben, Hausbesetzer, Instandbesetzer, der 1. Mai usw. abgearbeitet. "Wird der Kotti jemals gentrifiziert werden?", fragte man sich danach auf dem Weg nach draußen durch das zugetaggte, streng riechende Treppenhaus.
Aber wie wurde doch an diesem Abend einer der Chefs vom ""westgermany" zitiert: "Wo Pisse ist, gibt es keine Gentrifizierung". Da kommt selbst im Berliner Nieselregen Hoffnung auf.