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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

23. 10. 2015 - 12:15

Irgendwas mit Viennale #Vlog15 - 1

3 ¾ Eröffnungsversuche und schmusende Busen.

Viennale auf FM4

Das Vienna International Film Festival vom 22. Oktober bis zum 5. November.

Alle Ausgaben des Viennale-Tagebuchs von Lukas Tagwerker

Und am Mittwoch, den 28. Oktober, gibt es ein Viennale-Special in der FM4 Homebase (19-22 Uhr)

Es ist Stoßzeit auf der Gartenbaukinotreppe.

Durch die Ticketschlangen boxen sich Kamerateams zur Treppe und nach draußen.

Am Ring wiehert ein Autogrammjäger gellend laut vor Lachen fast wie schon durchgeknallt.

(F: Worum geht es hier? A: Lichtspiele.)

Ich putze meine billige Hipsterbrille auf der Gartenbautoilette um die Verfilmung von Patricia Highsmiths Roman „Salz und sein Preis“ (1952) zu sehen, der Eröffnungsfilm der Viennale 2015.

Ich sitze in der dritten Reihe ganz rechts, mein rechtes Ohr ist seit Tagen verstopft, drei und ¾ Eröffnungsreden gehen beim einen Ohr rein.

Der große Kulturstadtrat gibt Sprachunterricht: die Viennale sei europäisch und was heißt Europa?

Eurýs heißt „weit“ und óps ,„Sicht“ -> Europa = Weitsicht.

Ergänzend sei hier angemerkt, was das offene Netzlexikon sagt: es gibt Etymologen, die Europa vom phönizischen erob, „dunkel“, „Abend“ herleiten.

(Während der Viennale werden die Tage um 3 Minuten und 15 Sekunden kürzer, am Tag der Eröffnungsparty gibt es 45 Minuten mehr Sonnenlicht als dann am Ende.)

Der 91jährige Filmtycoon Eric Pleskow schüttelt in seiner Ansprache lauter Scherze aus dem Ärmel und stärkt dem herzlich lachenden Publikum das Immunsystem.

Bei freiem Eintritt wird er übrigens Sonntag Abend mit Armin Thurnher weiter stärken.

Das Opening des pflanzenfressenden Dinosauriers Hurch ufert weit aus: er singt uns vom „schwierigen Jahr“, von der Wahrheit, dass es „so etwas wie Gesellschaft gibt“ und von demokratischen Blickachsen am Heldenplatz (diese Debatte), denen Hurch die „Blickachse zum Himmel“ mit Pointen in die Identitätssegmente der Parteienlandschaft drüberstreut.

Neben mir sitzt ein Herr, der dauernd auf die Uhr schaut.

Aber jetzt kommt noch Sandy Powell auf die Bühne, die Kostümbildnerin des Eröffnungsfilms Carol. Sie hat Patricia Highsmiths Roman zufällig an einem Bahnhofskiosk gefunden.

Highsmith hatte Windpocken als sie die Story in zwei Stunden entwarf.

Die phänomenale Sandy Powell sagt, sie möchte am Samstag auf den Flohmarkt in Wien gehen.

Carol

Viennale

Rooney Mara und Cate Blanchett in Todd Haynes Carol.

Carol

Rooney Mara hat unter David Finchers Regie als Erica Albright Mark Zuckerberg den Laufpass gegeben, bevor er Facebook gegründet hat. Unter Spike Jonzes Regie hat Mara in "Her" Joaquin Phoenix an die künstliche Intelligenz freigesetzt. In der ausgezeichneten Literaturverfilmung "Carol" wirkt Rooney Mara kongenial an Cate Blanchetts Seite als die junge Therese.

Plot und Acting

Kinderwünsche, ausverkaufte Puppen, eine zustellbare Spielzeugeisenbahn und vergessene Handschuhe – so beginnt die Begegnung zwischen Therese und Carol.

Rooney Mara hat als Therese bald eine der stärksten Szenen: als sie von einem Besuch bei ihrer neuen Freundin heimkehrt, überwältigt vom Schmerz über eigene Geborgenheitsverluste, getriggert und enhanced durch Carols Ehemann, dessen ohnmächtigen Wutanfall, und ihren gemeinsamen prächtig-patriarchalen Kleinfamilienknast.

In der unheiligen Familie mutiert jeder zum emotionalen Pfand seiner Nächsten.

Cate Blanchett trägt als Titelfigur Carol die längste Zeit die Maske der beherrschten Mutter über dem Gesicht der begehrenden Frau. Erst in der Szene, in der es bei einer Besprechung mit Scheidungsanwälten zugleich um das Besuchsrecht bei ihrer Tochter und um die Legitimität ihrer Liebe geht, lässt sie das duldsame Lächeln los.

Im Affekt ist sie sachlicher und vernünftiger als die von irrationalen Männern verwaltete Welt es hätte denken können.

Critical Response

Dem Macher von Lampedusa im Winter war Carol als Eröffnungsfilm eine Spur zu weihnachtlich. Er selbst hätte in Lampedusa im Winter das Motiv der Herbergssuche zu umschiffen versucht. Es fände sich dennoch eine Krippe in seinem Film.

Auf der anschließenden Viennale-Promifütterung im Volksgarten sagt eine Filmemacherin über Carol: "It´s a masterpiece of the industry! But it´s not my cup of tea!"

Und dann treffe ich den strangen Autogrammjäger wieder.

Am Parkring vorm Gartenbau hatte er einen Lachkrampf, weil eine Autogrammjägerinnenkollegin ihm erzählt hatte, dass sie einmal als Filmstatistin an einen Baum festgebunden wurde.

Der Autogrammjäger hat Carol noch nicht gesehen.