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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

1. 10. 2015 - 18:48

FM4 Extraleben: Post-Indiegames

Das Indiegame ist tot, lang lebe das Indiegame. Warum die alten Parameter nicht mehr gültig sind, darüber diskutieren Conny Lee, Rainer Sigl und Robert Glashüttner.

FM4 Extraleben: Post-Indiegames

    Was sind Indiegames?

    FM4 Extraleben: Post-Indiegames

    Conny Lee, Rainer Sigl und Robert Glashüttner sprechen über den Wandel alternativer Computerspiele.

    Am Donnerstag, 1. Oktober, von 21 bis 22 Uhr, danach für 7 Tage on Demand.

    An dieser Frage arbeiten sich Spielkulturenthusiast/innen, Industrievertreter/innen und Journalist/innen nun schon seit einigen Jahren ab. Die Lehre, die man daraus hauptsächlich ziehen hat können, war, dass es ziemlich kompliziert ist. "Indie" kommt bekanntermaßen von "independent", und das bezieht sich in erster Linie auf Unabhängigkeit bei der Gestaltung eines Werks in Bezug auf Geldgeber und kreative Freiheit. Der Begriff "Indie" und Indiegames haben darüber hinaus noch einige Aspekte mehr zu bieten als diesen.

    Aber Aspekte hin oder her: In den letzten zehn Jahren hat sich die Landschaft der digitalen Spiele maßgeblich verändert. Deshalb rufen wir im Spielekränzchen FM4 Extraleben hiermit das Post-Indie-Games-Zeitalter aus. Denn alle Merkmale, anhand derer man ein Spiel bisher als Indiegame definiert hat, sind mittlerweile obsolet.

    Eine Gruppe an Spieler/innen drückt wild auf bunte Computerspielknöpfe.

    Robert Glashüttner, ORF/FM4

    Finanzielle und inhaltliche Unabhängigkeit

    Beginnen wir mal mit dem bekanntesten und naheliegenden Argument, dass ein Indiegame deshalb so bezeichnet wird, weil es eben unabhängig von Geldgebern ist und damit frei von Leuten, die ein Recht haben, inhaltlich dreinzureden. Früher war es ja in den allermeisten Fällen so, dass eine Spielentwicklerfirma sich einen Publisher, also einen Verlag, gesucht hat, der dann Geldgeber war, aber dann eben meist auch kreatives Einspruchsrecht hatte. Dieses Modell gibt es zwar immer noch, ist jedoch im Vergleich zu etwa den frühen 2000er Jahren markant zurückgegangen. In einigen Fällen, vor allem im Mobile-Games-Bereich, läuft es für die Entwickler sogar ziemlich ernüchternd ab. Der "Publisher" fungiert dabei in vielen Fällen nur noch als Kommunikationsagent, der PR und Marketing übernimmt und mit den diversen Plattformen (Steam, GOG, usw.) spricht. Geldvorschüsse gibt's keine, stattdessen zahlt man für das Service.

    Der neue Publisher, wie man den Begriff klassischerweise versteht, heißt heute Crowdfunding. Die neue Abhängigkeit in Sachen inhaltlicher Interventionen kommt direkt von den Konsument/innen via Donations, Steam-Reviews, Foren-Diskussionen auf Reddit und Co. Spielentwickler, die früher in größeren Teams gearbeitet haben, wurden in vielen Fällen nach und nach abgebaut und damit quasi in den Indiebereich gezwungen. Indie ist Mainstream geworden. Das bedeutet, dass es mehr denn je tolle, teils experimentelle Spiele gibt, die Entwickler/inner aber dabei oft ein großes Risiko tragen.

    Game Designer Edmund McMillen liegt auf einer Couch und legt seine rechte Hand auf seine Stirn.

    Blinkworks

    Spielumfang sowie Team- und Budgetgröße

    Man könnte meinen, dass unabhängig entwickelte Computerspiele meist nicht so einen großen Umfang haben wie "große" kommerzielle Spiele ("Grand Theft Auto", "Assassin's Creed" usw.) und deshalb so gut wie immer von Einzelpersonen oder kleinen Teams gestaltet werden. Aber dann gibt es wiederum Riesenprojekte wie das Weltraumspiel "Star Citizen", das unglaubliche 88 Millionen US-Dollar via Crowdfunding lukriert hat. Kleinere und unkonventionelle Games wiederum kommen nicht immer von talentierten Hobbyentwicklern, sondern werden oft gezielt von Games-Konzernen entwickelt und lanciert – in jüngster Zeit etwa Titel wie "Fallout Shelter" (Bethesda), "Grow Home" oder "Valiant Hearts" (beide Ubisoft). Mobile Games werden mitunter auch mit Budgets von über einer Million US-Dollar bedacht, etwa das hocherfolgreiche "Monument Valley", das Verkaufsrekorde gesprengt und in der Serie "House of Cards" sogar vom US-Präsidenten gespielt wird.

    Gamedesigner Ken Wong präsentiert seine Inspirationen für das Spiel "Monument Valley": Ein Werk von MC Escher und das Spiel "Windosil".

    Robert Glashüttner

    Ästhetik und Originalität

    Indiegames sind anders als Mainstream-Spiele. Sie sind einfallsreicher, experimenteller und sehen auch anders, meistens cooler aus. Das ist die sehr gefühlige Wahrnehmung eines typischen Indie-Spiels, die auch wir hier im Extraleben unterbewusst oft teilen. Diese Unterscheidung ist natürlich sehr vage, aber trifft dennoch einen Kern von dem, was "indie" üblicherweise bedeutet: anders als die Masse, ungewöhnlich – Underground, wenn man so will. Viele Jahre hat das auch gestimmt: Denken wir nur daran, dass moderne Spiele, die nicht auf technische Brillanz und Eyecandy getrimmt sind, eine Weile lang ein ziemliches Novum waren.

    Mittlerweile sind aber Retro-Ästhetik wie Pixelgrafik oder auch ungewöhnliche Artwork-Stile längst etwas, das von großen Konzernen übernommen worden ist – und damit das genaue Gegenteil von Indie. Entsprechend der Regeln der Postmoderne wird auch im Bereich Games alles reflektiert, umgeformt, integriert und auf den Kopf gestellt. Eigentlich ist es ja verwunderlich, dass Indiegames so lange - rund zehn Jahre lang - als valider Videospiel-Underground funktioniert haben, ohne allzu offensichtlich von der Industrie übernommen worden zu sein. Heute ist "Indie" ein Marketingbegriff, der eine bestimmte Sparte des Gesamtportfolios eines Herstellers bzw. Anbieters beschreibt.

    Eine junge Frau spielt an einem gelb/schwarzen Automaten, an dem "Achtung Arcade" geschrieben steht.

    Robert Glashüttner

    Was kommt nach Indie?

    Wir sind uns einig: Noch nie gab es so gute Spiele wie heute. Das liegt daran, dass das technische Hochrüsten immer irrelevanter wird, das Medium wächst und vielseitiger wird und kreativer Ausdruck und gute Spielideen sich wechselseitig beflügeln. Es gibt dabei keine klaren Parameter mehr, durch die man ein sogenanntes Indiegame von einem Nicht-Indiegame unterscheiden könnte. Der Markt ist breiter geworden und in ihm finden eine Reihe unterschiedlicher Sparten und Größenordnungen Platz, ebenso wie verschiedene Darstellungsformen und Finanzierungsmodelle.

    Aber was könnte Post-Indie nun sein, wenn wir das alte Label ablegen? Ist es nicht auch wichtig, Szenen und Gemeinschaften zu benennen und ihre Dynamiken sichtbar zu machen? Spiele bestimmter Machart einzuordnen und zu bezeichnen, um auf diese Weise ihre Besonderheiten herauszuarbeiten? Schubladen sind nicht automatisch schlecht. Ideen für neue Begriffe und Bezeichnungen gibt es einige, und die meisten von ihnen sind treffsicherer, als es das alte "Indie"-Label in der zeitgenössischen Computerspielwelt ist.

    Doch egal, ob man sie jetzt Alt-Games, Off-Games, Autor/innenspiele oder Arthouse-Games nennt: Sie sind gekommen, um zu bleiben. Wichtiger als je zuvor wird künftig die Unterscheidung sein, ob man ein Computerspiel kommerziell anlegt (also in irgendeiner Form verkaufen möchte) oder es als reine künstlicher Ausdrucksform sieht und gestaltet - ohne Rücksicht und Bezugnahme auf einen wie auch immer gearteten Markt.