Erstellt am: 16. 9. 2015 - 14:36 Uhr
"Landraub - Die globale Jagd nach Ackerland"
#WirHabenEsSatt
Warum die Agrarindustrie nicht satt macht und die Welt auf Kleinbauern nicht verzichten kann.
Schuldenkrise. Flüchtlingskrise. Griechenlandkrise. Gerade die letzte Monate haben gezeigt: Die Europäische Union hat viele Probleme. Eines davon ist den meisten Europäern kaum bewusst: Europa ist zu klein geworden. Zu klein jedenfalls für unseren Lebensstil. Der Kontinent hat schlicht zu wenig Ackerland, weshalb wir im großen Stil zukaufen müssen: Sogenannten Biosprit (Bioethanol) für unsere Traktoren, Zucker & Palmöl für unsere Lebensmittelindustrie, Soja für unsere Fleischproduktion… Gehandelt werden aber nicht nur die benötigten Agrarrohstoffe, sondern auch das fruchtbare Land selbst, auf denen diese angebaut werden.
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Zwischen 2001 und 2010 haben rund 230 Millionen Hektar Ackerland (eine Fläche, so groß wie Westeuropa) in Entwicklungsländern den Besitzer gewechselt. Zum Vergleich: Ganz Europa verfügt über etwa 170 Millionen Hektar Ackerland.
„Parallel zur wachsenden globalen Ungleichheit an Vermögen, Einkommen und Bildung steigt auch die Ungleichheit an Verfügbarkeit von landwirtschaftlicher Fläche … Fast 60% der Lebensmittel & Agrarprodukte, die wir Europäer derzeit konsumieren, wachsen nicht in Europa, sondern in den ärmeren Ländern, wo ohnehin schon Knappheit herrscht.“ (Kurt Langbein: Die globale Jagd nach Ackerland)
Die Preise für Ackerland in Rumänien sind in 10 Jahren um 1817% gestiegen. Seit 1990 haben ausländische Investoren dort 700.000 Hektar Ackerfläche gekauft. In Rumänien gehen 50% der EU-Agrarförderungen an 1% der Betriebe. 70% bekommen gar keine Förderung.
Laut Weltbank sind weltweit bis zu 30% des Ackerlandes vom sogenannten „Landgrabbing“ betroffen. Fair ist dieser Handel mit fruchtbaren Böden nicht. Er wird ausgetragen auf Kosten der Ärmsten dieser Welt & auf Kosten zukünftiger Generationen, wie der Dokumentarfilm „Landraub“ zeigt, der am Freitag in Österreichs Kinos anläuft. Der Dokumentarfilmer und Soziologe Kurt Langbein hat sich dafür aufgemacht, dem doch sehr abstrakten Begriff „Landgrabbing“ ganz konkrete Landschaften und Menschen gegenüberzustellen. Sein Film „Landraub“ nimmt den Zuschauer mit auf eine bizarre Reise rund um den Globus: Rumänien, Äthiopien, Malaysien, Indonesien, Kambodscha, Sierra Leone.
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Exemplarisch spricht Langbein mit einigen der hunderttausenden Bauern, die bereits von ihrem Ackerland vertrieben, und ihrer Lebensgrundlage beraubt worden sind. Zu Wort kommen aber auch (Agrar-)Investoren, die ebendieses Land kaufen oder pachten – auch im Auftrag und mit der finanziellen Unterstützung der EU, also in unserem Namen. Der Film „Landraub“ zeigt die kaum fassbaren Ausmaße, die das zerstörerische Treiben des globalen Ackerland- und Agrarrohstoff-Handels angenommen hat.
Interview mit Kurt Langbein
Seit das EU-Programm „everything but arms“ Zuckerimporte aus Kambodscha fördert, wurden Bauern von 150.000 Hektar Land vertrieben. Die Regierung Kambodschas hat 65% des Ackerlandes an Investoren verpachtet. Insgesamt haben 600.000 KambodschanerInnen ihre Lebensgrundlage verloren.
Andreas Schindler: Herr Langbein, in einem der Interviews, das Sie in Südostasien geführt haben, sagt ein junger Bauer „...früher mussten wir nichts kaufen außer Öl und Salz.“ Heute arbeiten die Vertriebenen als PlantagenarbeiterInnen für 2 bis 2,5 Dollar am Tag. Hat die, im Westen so viel gepriesene, Industrialisierung der Landwirtschaft die Menschen dort verarmen lassen? Wie haben die Bauern und Bäuerinnen davor gelebt?
Kurt Langbain: Dort wo sie noch ihr eigenes Land bestellen führen die Bäuerinnen und Bauern ein karges, bescheidenes Leben, aber durchaus ein Leben mit Perspektive. Und würde man denen – und auch das zeigen wir im Film – helfen, ihre (ackerbaulichen) Methoden zu verbessern, dann könnten sie auch längerfristig eine Perspektive haben. Das Bild, das uns von der Agrarindustrie immer vermittelt wird, dass diese industrielle Landwirtschaft Zukunft und Brot sichert, ist ja mehrfach ein Zerrbild: Zum einen ist es ökologisch ganz widersinnig – die Agrarindustrie verbraucht weit mehr Energie, als sie erwirtschaftet – zum anderen ist es so, dass nur eine ganz kleine Minderheit der Menschen, die früher auf dieser Fläche ihr Auskommen gefunden haben, jetzt als Tagelöhner – und anders kann man das nicht nennen – ein ganz kleines Einkommen findet. Zwanzig bis sechzig Dollar im Monat. Das kann nie und nimmer reichen um eine Familie zu ernähren. Den Leuten geht es auch entsprechend schlecht. Kurz: Es ist unter allen Umständen ein Zerrbild, dass uns da vermittelt wurde und ich hoffe, mit dem Film können wir das ein wenig geradeziehen.
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Die Regierung Äthiopiens bietet Agrarinvestoren 3,6 Millionen Hektar Ackerland für eine Pacht von 5 Euro pro Jahr und Hektar an und in Madagaskar hat die Regierung versucht 1,3 Millionen Hektar Ackerland an den koreanischen Konzern Daewoo zu verkaufen, was zu Unruhen und schließlich zum Sturz der Regierung geführt hat.
Kurt Langbein: … Ich muss ehrlicherweise sagen, auch mir war das Ausmaß und die Intensität (der Problematik) nicht bewusst bevor ich mit den Arbeiten begonnen habe: dass heute noch 70 Prozent der (global erwirtschafteten) Nahrungsmittel von Bauern und gewerblichen Fischern hergestellt werden; dass die Agrarindustrie tatsächlich so energetisch-, ökologisch- und sozial unverträglich ist. Das ist etwas, das erst ins Bewusstsein dringen muss: Wir stehen vor einer Weichenstellung.
Gehen wir den Weg der Großindustrialisierung der Landwirtschaft weiter, dann werden wir die Welt nicht von Hunger retten, sondern hunderte Millionen Bauern ihrer Perspektive berauben. Es werden echte Flüchtlingswellen entstehen, die das, was uns heute so beschäftigt, nur als kleiner Vorgeschmack vorkommen lassen werden.
Das komplette FM4 Interview mit Kurt Langbein:
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Der Film „Landraub - Die globale Jagd nach Ackerland“ startet übermorgen, Freitag in österreichischen Kinos. Das begleitende Buch von Kurt Langbein ist bereits im Ecowin-Verlag erschienen.
Am Freitag, 18.9., um 16.00 gibt es die Möglichkeit, im Rahmen der WearFair-Messe mit Kurt Langbein und anderen ExpertInnen zu diskutieren. Ab 16.00Uhr in der Linzer Tabakfabrik.