Erstellt am: 21. 8. 2015 - 02:56 Uhr
Mittlerer Folk, Hurensöhne, Hitverweigerung
FM4 Frequency 2015
Sonntag
Samstag
Freitag:
- Jugendlicher Indierock, Frittenbude, The Offspring
- In aller Kürze
- Ich tu Festival: "Out of Space" mit dem Zeltplatz-Chor
- Fotos von und vor den Bühnen
Donnerstag:
- Mittlerer Folk, Hurensöhne, Hitverweigerung
- In aller Kürze
- Das Zeltplatz-Mixtape
- Fotos von und vor den Bühnen
Alle Stories zum Frequency 2015
Radiotipp
Die langen Nächte des FM4 Frequency: Von Montag auf Dienstag und Dienstag auf Mittwoch senden wir Konzerte und Interviews vom FM4 Frequency: mit Alt-J, Interpol, Frittenbude, Wombats, William Fitzsimmons und mehr.
Das FM4 Frequency 2015 beginnt schwierig: Der Nachmittag und der frühe Abend am Donnerstag sind wie so oft mit allerlei Lückenbüßermusik befüllt, die halt eben da ist. Mal solide, mal egal, mal lieblich. Mal wie aus der Fußgängerzone auf die Bühne geholt, mal wie aus dem Pub-Bandcontest rekrutiert. Ausgedünnter Stoner Rock, Singer/Songwriter mit und ohne elektrische Gitarre, ein unvermeidlicher fideler Celtic Rock, Gefühle.
Ganz gut macht sich da die Band Mighty Oaks. Wenn sich eine Band Mighty Oaks nennt, dann kann man sich das schon ein bisschen ausmalen, wie das klingt. Naturverbundener Folkrock mit Rauschebart und den prächtigen Melodien, um das nächste Staffel-Finale von "The Walking Dead" zu untermalen. Der deutsche Liedermacher mit dem dänischen Namen Jesper Munk hingegen zeigt in seinem altersgegerbten, leidenden Bluesrock ein doch recht mitteleuropäisches und umkleidekabinenhaftes Bluesverständnis. Authentisch gespürte Musik. Authentische Quatschmusik.
Franz Reiterer / FM4
Franz Reiterer / FM4
Das Feld der schönen Flüstermusik bespielt danach der immer gerne gebuchte José Gonzalez mit Band deutlich souveräner – er lässt in den weihevollen Kuschelliedern zum Augenzumachen immer wieder auch Platz für Humor und Schwung, inklusive smoothem Percussion-Geklapper, Fingerschnippen und einer leisen balearischen Note. Und er hat eben gute Lieder und nicht bloß eine Ästhetik im Katalog nachgeschlagen. Auch wenn es nicht immer seine eigenen Lieder sind.
Überraschen kann komischerweise das junge Quartett The Districts: Wenn auch nicht durch ihre Musik. Immerhin kann die blutjunge Band aus Pennsylvania die Weekender Stage genannte Halle am frühen Nachmittag gut halb füllen, eine Seltenheit, und auch das Publikum in relative Verzückung versetzen. Verzückt scheint ebenfalls der Sänger, der an seiner Gitarre jungspundig wilde Verrenkungen vollführt.
Franz Reiterer / FM4
Die Musik ist normal: Bluespunk, Folkrock, Garagenpunk aus dem Whiskeyfass - kann man sich im Regal zwischen Black Keys und Arctic Monkeys vorstellen. Rock’n’Roll, wie er immer wieder von neuen jungen Menschen neu gefunden wird und nicht gar so viel will. Auf der Hauptbühne spielen ebenfalls am Nachmittag selbstverständlich Bad Religion. Altgediente Punk-Institution mit vielen, vielen Hits, die Punk als Brauchtumspflege versteht. Scheck abholen.
Christian Stipkovits / FM4
Es gibt aber auch moderne Musik, die mit aktuellen Dingen zu tun hat. Die irisch-italienische Sängerin Francesca Belmonte hat viele Jahre mit Nebelkönig Tricky zusammengearbeitet, kürzlich ist ihr gut verspuktes Solo-Debüt "Anima" erschienen. Durch Sirup fließende Geisterelektronik, eiernde Breakbeats in Slow Motion, Rauschschwaden. Lieder aus außerweltlichem Soul und Gospel und eisgeschocktem R’n’B.
Belmonte gibt ihre Musik live weit weniger elektronisch als auf Platte, vielmehr wie von einer lynchesken Barbluesband erträumt - und sich selbst nachtclubhaft mysteriös, leise. Feine Musik, die eher giftige Atmosphäre für die Meditationsstube oder die unterschiedlichsten Aktivitäten im Bett spendet, denn versucht ein Festival-Festival zu rocken. Der Raum müsste mit rotem Samt ausgekleidet sein.
Franz Reiterer / FM4
Es wird hipp, nicht so viele bemerken es. Die australische Musikerin Courtney Barnett hat dieses Jahr mit ihrem ersten regulären Album mit dem richtigen Titel "Sometimes I sit and think, and sometimes I just sit" eine Platte des Jahres veröffentlicht. Eine Platte, die übellauniges und oft schon auch von der Welt angeödetes, dabei immer auch gewitztes Singer/Songwritertum mit Elektrizität und Elan auflädt und landauf, landab in Blogs und Magazinen beste Kritiken zugedacht bekommen hat. Aber wer soll das wieder wissen, außer denjenigen Personen, die sich vielleicht ein bisschen für Musik interessieren?
Patrick Wally / FM4
Courtney Barnett darf in der kleinen Halle der Weekender Stage auftreten, während draußen auf der großen Bühne die quängeligen, englischen Artpopper von Alt-J spielen, nahezu zeitgleich mit der tollen Erfolgsmaschine K.I.Z. auf der Green Stage. Courtney Barnett gehört aber natürlich vielleicht auch in die Halle, in die Dunkelheit, ins Miefige. Von den 90ern infizierte, geil verbogene Krachmusik, Postgrunge und Bierdosenlieder über dieses komische Leben. Gut auch, dass sich Barnett nicht allzu schematisch lieb an das Publikum anbiedert: "Any Questions?" – solche Sachen sagt sie beispielsweise. Der Rock’n’Roll braucht ein bisschen fehl am Platz tuende und dabei natürlich ohnehin herzensgute Menschen und keine gefügigen Rock’n’Roll-Darsteller.
Patrick Wally / FM4
Alt-J live
FM4 präsentiert: Am 25. November 2015 in der Wiener Stadthalle
Die interessante Band Alt-J hingegen liest sich auf dem Rezeptzettel interessanter, als es die Musik dann hergibt. Nervöser, schief aus der Gitarre gekratzter Indierock, der sich am Postpunk der späten 1970er und frühen 1980er genauso abarbeitet, wie an windschiefem Folk, gewürzt mit ein paar Tupfern Kraut und Psychedelia, von der Elektronik informiert.
Melodien, die auf Eiern tanzen, abrupte Tempowechsel, anstrengend gemeinte Wendungen. Eine Kollision von nur stückweise begriffenen Talking Heads, Animal Collective und Radiohead, etwas bemüht und streberhaft, insgesamt aber eh ganz lieb und immerhin der Versuch, die alte Blase "Indie" ein wenig in die Zukunft zu denken.
Franz Reiterer / FM4
Dass HipHop die Queen ist, kann man erwartungsgemäß bei K.I.Z. sehen. Das aktuelle Album des geil rüpeligen Berliner Quartetts ist kürzlich von Null auf eins in die deutschen Albumcharts eingestiegen, in Österreich hat es für Platz 4 gereicht. "Hurra die Welt geht unter" heißt die Platte – auf so einen Slogan kann man sich einigen. K.I.Z. verbinden Low und High Humor, legen die Rutsche von der stumpfen Prollparty ins Feuilleton, überaffirmieren die guten Rap-Geschichten von Gewalt, Koks und Ficken in Absurde. Pralles Leben, Unsinn und um die Ecke gedachte Selbstbespiegelung, smarte Texte und in sich selbst eingebaute doppelte Böden und Falltüren. So geht die Party.
Die vier Herren inszenieren sich aktuell im soldatischen Outfit als neue HipHop-Macht, als Miliz, die gleichzeitig Public Enemy zitiert und mit im Bühnenhintergrund errichteten Statuen von sich selbst auf den Idolkult von Diktaturen anspielt. Deutschrap muss sterben, damit wir leben können. Der alte Hit "Hurensohn" wird - schon Tradition bei Auftritten von K.I.Z. - im zweiten Teil des Songs zur Melodie von "We are the World" mit kaum jugendfreiem Text zur Hymne der Verschwesterung umgedeutet. "Und jetzt Champagner für alle! – die es sich leisten können". So soll es sein.
Franz Reiterer / FM4
Patrick Wally / FM4
Ebenso souverän triumphiert die rauhe Stimme mit den weichen Themen: Casper ist am Freitag der Headliner auf der Green Stage, verdient, wenn auch wie gehabt mit Liedern von schwankender Qualität und partiell gar juveniler Tagebuchpoesie. Schwer böse sein kann man diesem Heizstab von einem Performer in der Live-Darbietung nur kurz. Drüben läuten derweil auf der Space Stage nach dem etwas schlichten World Beat-, Dancehallverwurstungs- und Ravefanfaren-Krawall von Diplos Major Lazer - Drop, Boom, Tschack - die Chemical Brothers das Ende des Hauptprogramms ein.
Franz Reiterer / FM4
Die Chemical Brothers sind die Chemical Brothers, man meint es zu meinen. Die pralle Hitdusche gibt es aber nicht. Es gibt nämlich also noch Unerwartetes im Headlinerslot von Großfestivals, z.B. ein Set, das auf die leicht wiedererkennbaren Knaller und auf Vocals weitgehend verzichtet, und vielmehr wie ein Clubset angelegt ist. Der alte Geist von Rave, als Menschen noch zu anonymen Tracks von anonymen Produzenten in weiten Feldern die Identität verloren haben.
Acid-Zwitschern, Pfeifen, Superdistortion. Nicht immer zündet das, wenn man auf Hits wartet. Ein Set, das fast schon wie als Statement gegen den ständigen Sensationskarneval von gegenwärtiger Stadion-Elektronik angelegt scheint. Nach langem Teasen und Runterkommen gibt es dann am Ende schließlich "Galvanize" und die "Block Rockin‘ Beats". So ist die Erlösung schöner. Geht doch, die Chemical Brothers sind im Moment gerade nicht The Prodigy, zum Glück.