Erstellt am: 17. 8. 2015 - 18:07 Uhr
Die "Totenfrau"
Im mörderischen Kuriositätenkabinett: Weiße Kaninchen, ein leerstehendes Luxushotel und eine Bestatterin namens Blum. "Totenhaus" ist der neue Thriller von Bernhard Aichner.
Berhard Aichner
Der Roman "Die Totenfrau" des Tiroler Krimautors Bernhard Aichner war einer der Überraschungserfolge der letzten Jahre. Der Roman um die Bestatterin Blum, die aus Rache zur Mörderin wird, verkauft sich wie geschnitten Brot und erfährt dieser Tage mit "Totenhaus" seine Fortsetzung. Die Innsbrucker Thanatologin und Ritualforscherin Dr. Christine Pernlochner-Kügler soll dem Autor dabei als Vorbild für seine Hauptigur gedient haben. Grund genug für ein Gespräch mit der Bestatterin über Tod, Abschied und überschätzte Schminke (falls sich jemand über den vertrauten Ton im Interview wundert: die Interviewte ist mit dem Autor dieser Zeilen seit Studienzeiten bekannt und hat sich für einen anderen Weg entschieden, nicht Lehrerin zu werden)
Niemand weiß, wie offiziell das alles ist - bist du jetzt die „Bestatterin Blum“?
Christine Pernlochner- Kügler: Ich bin die Bestatterin bei der der Autor Bernhard Aichner ein halbes Jahr zu Recherchezwecken gearbeitet hat. Damals hat der noch an seiner "Max Proll" Krimiserie geschrieben und wollte sich näher mit dem Tod beschäftigen, Tote Menschen sehen und angreifen dürfen. Während der Arbeit bei mir hatte er dann die Idee, dass seine nächste Heldin eine Bestatterin wird.
Die Bestatterin Blum ist nicht sehr gerne Bestatterin – geht das auch auf dich zurück?
Nein, ich bin freiwillig zu diesem Geschäft gekommen, aber auch zufällig. Frau Blum ist ja von ihrem Vater schon als Kind in das Geschäft hineingezwungen worden und hat einige traumatische Erfahrungen gemacht, sie hat dann den Laden von ihrem Vater übernommen.
Anscheinend musste sie in ihrer Jugend die Münder der Toten zunähen – gibt es viele Situationen wo man so doch ungewöhnliche Dinge tun muss?
Der Mundverschluss, die so genannte Kieferligatur, ist eine sehr normale thanatopraktische Technik am Verstorbenen, nichts Ungewöhnliches. Es gibt aber sehr wohl ungewöhnliche Tätigkeiten am Verstorbenen, bei denen man über eigene Grenzen geht, wenn der Verstorbene einen Zustand aufweist, der besondere Maßnahmen erfordert. Verstorbenenversorgung ist für Bestatter ja ganz was normales. Schwierig wird es, wenn die Verwesung sehr weit fortgeschritten ist, wenn man mit extremen Gerüchen zu tun hat, mit starken Veränderungen des Körpers, oder auch mit Ausscheidungen, wenn der Darm noch voll ist und alles rauskommt und du musst irgendwo hin mit dem Zeug.
Sind das hauptsächlich kosmetische Dinge, um die Toten offen aufbahren zu können?
Herkömmliche Kosmetik wird kaum eingesetzt. Wir haben zwar Kurse absolviert, in denen man lernt, Tote zu schminken, aber die Schminke macht es meist nicht besser, die Situation wird dadurch nur grotesker. Um einen Verstorbenen so vorzubereiten, dass man sich gut von ihm verabschieden kann, dass ein friedliches Bild entsteht, bedarf es einer Mischung aus erweiterter Körperpflege und Wundversorgung – Überschminken tun wir eigentlich nicht.
Die meisten Leute – ich ja auch - hatten mit diesem Beruf zum ersten Mal Kontakt über die amerikanische Serie „Six feet Under“. Die meiste Leute dürften auch angenommen haben, dass sich Bernhard Aichner bei ihr als Inspirationsquelle bedient hat. Das offene Verabschieden von den Toten, das man da sieht, das offene Aufbahren, das Verabschieden in einem Ambiente, das an das Leben erinnert – all das ist bei uns noch relativ jung oder?
Eigentlich ist das bei uns das Althergebrachte. Früher ist man zuhause verstorben und hat die Toten noch ein bis drei Tage im Sarg oder im Totenbett aufgebahrt. Nach den zwei Weltkriegen ist das in Vergessenheit geraten, ich glaube das hat mit einem Kriegstrauma zu tun. Nach den beiden Weltkriegen hatten die Leute so viele Tote in der Familie, dass sie aus Schutzgründen keine mehr sehen wollten. Ab den 50er-Jahren wurde das Sterben immer mehr institutionalisiert, ausgelagert in die Krankenhäuser und Altenheime, der Umgang mit den Toten war kein gewohnter mehr. Wir gehören zu einer Generation, die das Abschiednehmen nicht gelernt hat. Wir haben das in den letzten 10 Jahren wiederbelebt, weil wir festgestellt haben, dass sowohl im Bestattungsbereich als auch in der Krisenintervention und der Notfallpsychologie dem Abschiednehmen eine zentrale Bedeutung zukommt. Bevor ich mit der Trauerarbeit beginnen kann, muss ich zuerst realisieren was passiert ist. Und wenn ich den Deckel auf dem Sarg habe und den Toten verstecke, wird der Trauerprozess von Anfang an blockiert und wird dadurch erschwert.
Die Thanatologie ist auch eine psychologische Praxis, nicht nur eine medizinische oder Handwerkliche. In wie weit ist dieser Teil deiner Arbeit in die Bücher eingeflossen?
Er hat sich vor allem für die Technik interessiert. Die Charaktere in den Bücher sind psychologisch gut beschrieben, mit mir hat er aber hauptsächlich über die technische Seite gesprochen. Alles was im ersten Band an Versorgungstechnik besprochen wird, ist sehr gut beschrieben und wurde auch von mir korrekturgelesen.
Man kennt Dexter und Hannibal Lecter, man kennt Forensiker und Ärzte als Mörder – in wie weit wäre der Thanatologe ein guter Mörder? Was könntest du da besser als ich?
Nun, ich habe einen versperrbaren Raum, da kann man viel Sauerei machen und die einfach wegputzen, ich habe Werkzeug und ich weiß eher als du wo ich ansetzen müsste wenn ich einen Körper zerlegen müsste. Das hab ich zwar noch nie getan, aber ich habe eine weniger laienhafte Vorstellung davon als jemand, der vielleicht zuerst einen Arm oder ein Bein entfernen würde. Aber ich hab es nicht probiert und ich werde es auch nicht tun.
Für diesen Beruf braucht man wahrscheinlich eine hohe Ekelschwelle und eine gehörige Portion Galgenhumor. Sind Thanatologen Zyniker?
Wenn sie Zyniker sind, ist es schon zu spät, da sind sie schon in der Nähe des Burnouts. Aber wie allen Berufsgruppen, die mit Grenzwertigem zu Tun haben, wie Sanitätern, Polizisten, Krankenpflegern, Ärzten,... ist uns Bestattern auch ein ziemlich schwarzer Humor eigen - der ist wichtig, damit du das was du täglich erlebst aushalten kannst. Mit diesem Humor wird die Belastung und die ganzen negativen Emotionen ausbalanciert.
Man hört immer mehr von ungewöhnlichen Begräbnissen, die Leute lassen sich zu Diamanten pressen oder in den Weltraum schießen. Wieviel ist dir davon untergekommen?
Das ist eigentlich unbedeutend. Ich hatte in 10 Jahren einen Diamantauftrag. Was aber zunimmt, sind nicht- kirchliche, individuell gestaltete Trauerfeiern, wo mit weltlichen Ritualen gearbeitet wird. Die machen mittlerweile fast die Hälfte aus.
Indianisch? Buddhistisch? Atheistisch? Agnostisch?
Agnostisch, Atheistisch … Für mich ist immer wichtig, dass der Verstorbene bei dem, was man früher "Leichenschmaus" genannt hat, dabei sein darf. Wir haben im Institut dafür geeignete Räumlichkeiten, wo der Sarg offen bleiben kann und man sitzt zusammen bei Essen und Trinken und dann geht man mit dem Weinglas zwischen Buffet und Sarg hin und her. Das ist am Anfang sehr traurig, es löst sich aber in eine Art „helle Trauer“ auf.
Darf man eigentlich die Asche in alle Winde verstreuen, wie das viele Leute wollen?
Nein. Aber sie tun es trotzdem – wenn Leute letzte Wünsche erfüllen sollen, finden sie Wege, an die Asche zu kommen.
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