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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

17. 8. 2015 - 18:06

Im mörderischen Kuriositätenkabinett

Weiße Kaninchen, ein leerstehendes Luxushotel und eine Bestatterin namens Blum. "Totenhaus" ist der neue Thriller von Bernhard Aichner.

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Bernhard Aichner trägt ein T-Shirt mit einem Totenkopf-Motiv, eine Lederjacke und steht in einer Buchhandlung

Fotowerk Aichner

Es klingt wie eine Horrormeldung auf einer Chronik-Seite: Frau entdeckt Zwillingsschwester als Exponat einer "Körper-Kunst"-Ausstellung. Ausgestopft ist der vermeintliche, erwachsene Zwilling, drapiert auf einem ebenso präparierten Zebra, teils mit implantiertem Tierfell und offenem, pink angemalten Herzen. Das ist einmal ein drastisches Bild und zumindest an drastischen Bildern mangelt es dem neuen Buch Bernhard Aichners nicht.

"Totenhaus" ist der Folgeband des ersten Thrillers des Tiroler Autors und Fotografen Aichner mit der Hauptfigur Blum, die sich durch ihren Beruf auszeichnet. Eine Bestatterin, die Menschen auch unfreiwillig unter die Erde bringt, wie Neueinsteigerinnen in die Welt der Blum erfahren. Dabei ist Frau Blum auch diesmal zu Beginn wieder selbst das Opfer. In Rückblicken rollt Aichner die Geschichte auf.

Alles etwas grotesk

Das "Körper-Kunst"-Exponat "Frau mit Zebra" ist ein unerträglicher Anblick. Blum ist gezwungen, sich auf Spurensuche in das vergangene Leben der zur Schau gestellten Toten zu machen. Die Mutter zweier Mädchen, die Witwe eines Polizisten, die adoptierte Tochter eines Bestatters verlässt ihr Haus und ihr bisheriges Leben auf einem Motorrad.

Das Cover zu "Totenhaus" trägt nur den Schriftzug

Random House

"Totenhaus" von Bernhard Aichner ist bei btb erschienen

Ab diesem Zeitpunkt driftet die Handlung in eine Welt der Neureichen mit roten und schwarzen Porsches, die - weil zu gut gesichert - nicht als Fluchtauto dienen können, und zu einem Familienanwesen, das mit einem ehemaligen Hotel nicht nur Blum an den Schauplatz des Films "Shining" erinnert.

Dorthin geführt hat Blum der "Körper-Kunst"-Macher Leo Kuhn. Diese "Körper-Kunst" hat wohl ihr reales Pendant in den "Körperwelten"-Ausstellungen. Das liefert Stoff für seitenlange Überlegungen, ob man Tote derart exponieren sollte, und schiebt die Suspense ebenso auf wie die redundanten Abhandlungen zu Blums Handlungen. Die Normalität des Alltags dieser Frauenfigur will ausgebreitet werden, um die Fallhöhe zu vergrößern. Eingestreut werden die Puzzleteile des Thrillers. Als LeserIn muss man sich in Geduld üben oder ganze Seiten mehr scannen denn Satz-für-Satz lesen, will man die Spannung aufbauen, die man sich von einem Thriller erwartet.

Trauriger Racheengel

Als Racheengel Fremder und ihres eigenen Mannes wird Blum von der Vergangenheit eingeholt, als Gräber geöffnet werden. In dem bluttriefenden Schlamassel wirkt Blum wie eine unguided missile. Wäre da nicht noch auch die seltsam schreckliche Familie der unbekannten Zwillingsschwester, die ausgerechnet Blum Zuflucht und Schutz vor Verfolgung anbietet. Der Halbbruder der präparierten Zebra-Frau knallt schneeweiße lebende Kaninchen gegen Leinwände, immerhin hat er Kunst studiert und sich mit seinem Kommilitonen Kuhn Gedanken über Vergänglichkeit gemacht.

"Blutbad im Versorgungsraum"

Die "Totenfrau"
Ein Interview mit dem Vorbild von Bernhard Aichners Hauptfigur über die Praxis der Thanatologie.

Die Berufsbilder BestatterIn und Pathologe leben in der Unterhaltungsindustrie hoch, nicht erst seit "Six Feet Under" und seit Charlotte Roche Bestatter dokumentarisch begleitete. In "Totenhaus" ist der Beruf nicht die erste Wahl Blums, sondern fremdbestimmt durch ihre Adoption. "Blums Mutter, die zugesehen hatte, wie da ein zehnjähriges Mädchen Münder zugenäht, die Nadel durch Fettgewebe gestochen hatte, anstatt mit Freundinnen im Garten zu spielen." Die Beschreibungen der Arbeit bilden die starken Passagen in diesem Roman. Bernhard Aichner hat dafür offenbar recht ausgiebig recherchiert, und so bleibt das Setting am Ende fesselnder als der Thriller selbst.