Erstellt am: 1. 8. 2015 - 16:01 Uhr
Urlaub in Schweden
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme
Geschichten aus der deutschen Hauptstadt von Christiane Rösinger
Nach Schweden ist es von Berlin aus nämlich gar nicht so weit: Man fährt nach Rostock, nimmt die Fähre ins dänische Gedser, braust dann 150 Kilometer bis Kopenhagen und dann auf der Öresundbrücke übers Meer nach Südschweden, Småland.
Christiane Rösinger
Dort ist es, wie erwartet, wunderschön - weiße Strände, glasklare riesige Seen und überall die roten Holzhäuschen. Aber nichts ist vollkommen und ein Campingurlaub bei Regen, Hagel und 15 Grad eine Herausforderung. Die Lösung des Problems heißt "stuga", man kann sich gottlob kleine Hütten auf den Campingplätzen mieten. Und wenn es dem kulturinteressierten Autofahrer zu kalt für Wasseraktivitäten ist, kann er ja überall rumfahren und alles besichtigen.
Christiane Rösinger
Schließlich gibt es auf der Halbinsel Falsterbo das Wikingerdorf Foteviken samt Wikingerwohnzimmern,Wikingerküchen, Wikingergärten, Wikingerwerkstätten, Wikingerholztürmen und Wikingerdarstellern. Ganz in der Nähe liegt die berühmte Kleinstadt Ystadt, in der Kommissar Wallander ermittelt und sich dabei filmen lässt. Von dort aus geht es weiter zu Ales Stenar, der größten Schiffssetzung Schwedens, eine Art schwedisches Stonehenge.
Christiane Rösinger
Reisen bildet und man lernt nie aus
Eine Schiffssetzung ist eine bootsförmige Steinsetzung aus Findlingen, die primär im Ostseeraum Skandinaviens vorkommt und Brand- oder Urnengräber markiert. Die Steine symbolisieren das Schiff, das die Toten ins Totenreich bringen soll.
Christiane Rösinger
Die alten Städte Karlskrona und Kalmar wollen besichtigt werden, und fast wären noch die älteste Holzkirche Schwedens und der erste und älteste Ikea der Welt, heute ein Ikea-Museum, dran gewesen, da riss der Himmel auf und die Sonne kam heraus. Da muss man im schwedischen Sommer sofort reagieren und raus an den Strand oder an den See, wo die unerschrockenen Schweden und Schwedinnen im Wasser planschen und schwimmen, während wir in mehrere Pullover und Jacken gehüllt am Strand spazieren.Vielleicht gibt es doch ein Wikinger-Gen?
Wenn Fünfjährige mit von der Travel Party sind, muss man in Südschweden natürlich auch nach Vimmerby, dem Geburtsort Astrid Lindgrens und zu "Astrid Lindgrens Värld", eher ein Theaterdorf als ein Themenpark.
Christiane Rösinger
Die Pippi Langstrumpf-Begeisterung nimmt ja mit den Jahrzehnten ab. Galt Pippi in den Achtzigern noch als feministisches Mädchenideal, so ist sie doch heute bei Licht betrachtet eine arge Spaßtyrannin, eigentlich sind Annika und Tommy viel sympathischer. In Pippis Welt ist natürlich die Villa Kunterbunt, im Original "Villa Villakulla" aufgebaut, es wird eine langatmige Zirkusepisode gespielt, und - ja, klar - Pippi kann natürlich alles besser und ist viel stärker als die Artisten.
Christiane Rösinger
Interessanter ist da doch "Karlsson auf dem Dach", der wahre Anarchist unter den Lindgren-Figuren: verfressen, verlogen, verstohlen, ohne jede Moral und trotzdem liebenswert. Am Beliebtesten ist in Schweden zweifellos "Michel aus Lönneberga", der hier Emil heißt und nur vom deutschen Übersetzer wegen Verwechslungsgefahr mit Kästners "Emil und die Detektive" in Michel umbenannt wurde. Das Amphitheater um Michels Welt fasst 400 Plätze, auf der Bühne ist der ganze Katthult Hof aufgebaut, sämtliches Personal samt Alfred, Lina, Krösa-Maja und dem Arzt aus Mariannelund spielt bei dem beschwingten Stück zwischen Bauerntheater und Musical mit. Es wird viel gesungen und getanzt, Klein-Ida an der Fahnenstange hochgezogen und Emil aus der Suppenschüssel befreit.
Christiane Rösinger
Alles Aufführungen finden in schwedischer Sprache statt, aber wer sich im Lindgrenschen Werk auskennt, kommt mühelos mit, die Dramaturgie ist ja einfach gehalten. Das Besondere an den Aufführungen ist, dass die SchauspielerInnen ins Publikum kommen und das Publikum nach dem Stück auf die Bühne kann. Die SchauspielerInnen beantworten die Fragen der Zuschauer, singen und tanzen dann auch unvermittelt wieder.
Christiane Rösinger
Theatertechnisch am ausgefeiltesten geht es bei "Ronja Räubertochter" zu. Da tut sich inmitten der Mattisburg der Höllenschlund auf, da schauen kleine Trolle aus den Erdlöchern, da wird die Schneemaschine angeworfen und die bösen Wilddruden krächzen aus ihren Nestern.
Christiane Rösinger
Man muss zugeben: "Astrid Lindgrens Värld" ist wirklich ein ganz gelungener Freizeitpark, ein bisschen wie Disneyworld, aber weniger kommerziell und sponsorenverseucht.
Astrid Lindgren hat den Park noch selbst eingeweiht, obwohl sie zuerst nicht wollte, dass mit ihrem Namen verdient wird. Sie verzichtete auf Tantiemen und stimmte letztendlich zähneknirschend zu: "Macht's ja so, wie ich es mir vorstelle: Sonst komme ich und spuke".
Und es ist wirklich alles sehr gut gemacht, außer den Kinderbuchwelten gibt es viele Spielmöglichkeiten vom simplen, aber sehr beliebten "Vom-Heuboden-Springen" zum weitläufigen "Nicht den Boden berühren-Parcour". Und natürlich ist alles superkinderfreundlich, es gibt sogar Kinderwageneinweiser auf den großen Buggy-Parkplätzen vor den Freiluftbühne, und in den Waschräumen sind Eltern/Kind-Doppeltoiletten Standard..
Christiane Rösinger
Die kleinen Straßen mit den freundlichen kleinen Lädchen erinnern die BerlinerInnen doch zunehmend an den Prenzlauer Berg, jenen Berliner Stadtteil, dessen BewohnerInnen man nachsagt, sie wollten ein Bullerbü aus dem einstigen Arbeiterbezirk machen.
Dabei haben die Lindgren-Bücher wenig mit dem Bionade-Biedermeier des Prenzlauer Bergs zu tun. Bei Lindgren gibt es keine Helikopter-Eltern, die ihre Kinder nicht aus den Augen lassen und sie vom Yogakurs zu Frühenglisch und Malkurs hetzen.
Christiane Rösinger
Die Kinder aus Bullerbü zum Beispiel müssen täglich alleine den weiten Schulweg ins Nachbardorf laufen - vom Prenzlauer Berg holt der "Teddy-Express", ein Kinder-Fahrdienst, den Nachwuchs der Besserverdienenden von zu Hause ab und bringt sie zu den Privatschulen. Die echten Bullerbü-Kinder mussten beim Rübenverziehen helfen - Kinderarbeit! Und Michel wurde in den Schuppen gesperrt, wo das verzweifelte Kind Männchen schnitzen musste! Im Prenzlauer-Berg-Bullerbü würde man den streiche-verliebten Michel mit einer Ritalingabe bändigen, die renitente Pippi hätte man zu Pflegeeltern gegeben und ein Lillebror, der ständig von seinem fliegenden Freund Karlsson mit dem Propeller erzählt, wäre längst in Therapie.
Unter solchen Gedanken vergeht die Zeit wie im Flug. Nach sechs Stunden in der "Astrid Lindgrens Värld" hat man zwar erst die Hälfte gesehen, aber die Erwachsenen sind mehr als erschöpft und es ist dann auch genug mit dem Kleinfamilienidyll, den Babys und Kinderwägen, der Farbe Rosa und den weißblonden Kinderscharen.
Christiane Rösinger
So kommt nach sechs Tagen Småland ein bisschen Heimweh nach dem dreckigen Berlin auf. Kaum ist man nach Malmö, über die Brücke, durch Dänemark auf die Fähre und von Rostock nach Berlin gefahren, liegt der Kurzurlaub schon in der Erinnerung - aber schön war es doch!