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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

18. 7. 2015 - 15:12

Ein Roadmovie

Der Berliner Sommervergnügungen sind ja einige: zum See fahren, mit Touristen in Strandbars abhängen, stundenlang nachts vor einer Bar rumhocken. Aber was ist dagegen ein Gruppenausflug raus aus Berlin ins Autokino!?

Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

Geschichten aus der deutschen Hauptstadt von Christiane Rösinger

Der Berliner "Theaterdiscounter", bekannt für seine experimentellen und multimedialen Aufführungen ist nämlich für ein Stück des Performance-Kollektivs "BigNotwendigkeit" ins Berliner Umland gezogen, zum Autokino nach Schönefeld. Dort war am Mittwoch Premiere von "Roadmovie", ein Live-Hörspiel von Esther Becker, ebenfalls bei "BigNotwendigkeit", mit Musik von Jens Friebe und der auch als "Jodelqueen aus Kreuzberg" bekannten Doreen Kutzke, als Schauspielerin, Sängerin und Auto-Harpistin.

Parkplatz beim Autokino in Berlin

David Wagner

Schon die Fahrt nach outer Schönefeld war ein Erlebnis, eine nagelneue Autobahn führt nach Schönefeld Nord. Sie wurde als Zufahrt für den nicht fertig werden wollenden Berliner Großflughafen gebaut und liegt jetzt ein wenig unterfrequentiert und überdimensioniert in der Landschaft. Man verfährt sich zwangsläufig ein bisschen in den großzügig angelegten Baustellen und High-Tech-Tunneln, staunt über erhaben geschwungene Brückenkonstruktionen und steht dann nach einer halbstündigen Fahrt irgendwo am Rande eines kaum erschlossenen Gewerbegebiets in einer weiten, leeren Landschaft - im Nichts. Sofort wird man herzlich begrüßt und angemessen überbetreut. Unsere Reisegruppe ist total begeistert und findet kurz nach der Ankunft, dass sich die Fahrt jetzt schon voll gelohnt habe. Man sieht viele Bekannte und begrüßt sich hier auf dem leeren Feld überschwänglich, wie lang verschollene Freunde, dabei läuft man sich doch in Berlin alle naslang über den Weg.

Menschen bei der Ankunft beim Autokino in Berlin

David Wagner

Schon bei der Ankunft sind alle total begeistert.

Von einem historischen Bauchladen-Fräulein werden Kräuterzigaretten und Feuerzeuge angeboten, vor einem 70er-Jahre-Volvo kann man sich wahlweise im Petticoat oder mit Glitzerjacke fotografieren lassen, es gibt vegetarische Burger mit Erdnusssauce und natürlich Popcorn. Man kann an einem Hoolahoop-Wettbewerb teilnehmen, es gibt eine Tombola und zeigefreudige Jünglinge im knappen Outfit putzen unaufgefordert die Autoscheiben. Diese Retrovergnügen sollen natürlich eine amerikanische 50er Jahre-Atmosphäre schaffen und tatsächlich könnte man die Optik hier draußen sehr amerikanisch -präriemäßig finden.

Autokino in Berlin

David Wagner

Wir, allesamt aus der badischen, fränkischen und rheinischen Provinz, sind überwältigt von diesem leeren provinziellen Ambiente und jeder erzählt, beflügelt von der Weite, begeistert von seinen ersten Kiffer- und Knutscherlebnissen beim Rumfahren auf den ewigen Feldwegen, hinter einem Zelt beim Althreinfest, am Rande von Weizenfeldern und Baggerseen. Auch soziologisch ist es hochinteressant, denn auf der Rückseite der großen aufblasbaren Leinwand wird für die echten Autokinofahrer "Die Minions" gezeigt, dafür sind die Leute aus dem Berliner Umland angefahren. Am Imbiss- und Getränkestand kann man genau unterscheiden, wer zum Autokino und wer zum Theater gekommen ist.

Das Autokino gehört inzwischen ja zu den mythischen Orten, die viele nur noch aus Filmen wie "American Graffiti" oder "Zurück in die Zukunft" kennen. Uns erinnert das Ambiente an Filme des italienischen Neorealismus, an staubige Straßen, Wanderbühnen und Anna Magnani.

Als die Sonne untergeht, wird es noch nostalgischer, jetzt geht es bald los und wir informieren uns darüber, was jetzt eigentlich stattfinden soll: Also stellt man das Radio auf FM 91,5 und setzt sich ins Auto. Zum Glück haben wir einen VW Bus - da sitzt es sich als Gruppe ganz herrlich.

Autokino

David Wagner

Das Stück, ist eher Hörspiel als Autokino, Schauplätze sind der Straßenkreuzer vor der Leinwand, in dem die SchauspielerInnen sitzen und die Bretterbühne, auf der Jens Friebe sitzt und die Live-Musik macht. Von all dem sieht man allerdings nicht besonders viel und auf der Leinwand nur diffuse blasse Lichtspiele. Aber so eine Menschengruppe im Tourbus wird schnell zur verschworenen Gemeinschaft und man hat sich ja immer viel zu erzählen. Als der Ton aus dem Autoradio erklingt, ein Dialog der unsichtbar bleibenden SchauspielerInnen, und sich auf der Leinwand auch nix weiter nix tut, fällt es schwer, sich auf das Stück einzulassen.

Die Protagonistinnen, zwei gestrandete Gestalten treffen sich also irgendwo im Nirgendwo und in ihrem Gespräch über Kaffee und Zigaretten und die Fahrt auf dem Highway zur großen Schlucht werden uramerikanische Mythen behandelt. Dazu spielt Jens Friebe live dezent sehnsuchtsvolle Prärie-Gitarrenriffs.

Unsere Fahrgemeinschaft hat sich in dieser Konstellation lange nicht gesehen, berichtet von Bern und von Basel, von neuen Jobs und alten Bekannten, dann hört man pflichtschuldig wieder ein bisschen zu. Die Männerstimme, die auf Englisch dazwischen redet, macht es noch schwieriger und die Stimmen der Sprecherinnen hören sich ganz ähnlich an.

Jens Friebe im Goldsakko

David Wagner

Dafür hat sich die Anfahrt schon gelohnt: Jens Friebe im Glitzer-Jackett vor leerer Landschaft.

Die namenlose Männerstimme hadert auf uramerikanische Art mit dem eigenen Leben. Hätten wir genauer zugehört, hätten wir gehört, wie die Stimme beklagt, dass man Toaster mit ihrem Gesicht kaufen kann, und dann wären wir vielleicht auf die Idee gekommen, dass Jens Friebe nicht von ungefähr ein glitzerndes Goldjackett (wie Elvis) trägt.
Wir aber reden weiter, essen und trinken ein bisschen und einer beruhigt unser schlechtes Gewissen mit dem Hinweis, es wäre eben ein Theaterbesuch wie zu Shakespeares Zeiten, als das Publikum hauptsächlich zum Essen und Trinken und quatschen ins Theater kam, und die Stücke eher so nebenher liefen.

Dann tut sich auf der Bühne was, ein weiterer Mann im Goldjackett, der nicht Jens Friebe ist, klettert in einen Kühlschrank und wieder heraus. Mehr lässt sich aus der Distanz nicht sagen. Aber dann singen Jens Friebe und Doreen Kutzke zusammen ein wirklich tolles Lied und es sieht so schön verloren nostalgisch und irre aus, wie sie da in diesem Holzverschlag stehen und wir hören andächtig zu. Das bringt uns zum Thema Musiker und Theater und alle sind sich einig: In diesem Fall sind die Songs von Jens Friebe eine große Bereicherung für das Stück. Das führt dann natürlich zu den Theaterprojekten anderer Musiker und wie die zu beurteilen wären und wir kommen vom Einen zum Anderen, vom Hölzchen aufs Stöckchen und plötzlich hupen alle Autos ihren Applaus in die Nacht.

Autokino in Berlin

David Wagner

Ein schönes Lied, ein irres Bild

Es scheint zu Ende zu sein, und eine kleine dunkle Wolke schlechten Gewissens steigt in unserem Bus auf - aber wir beruhigen uns sofort: Das war ja auch wohl gewollt, dass der Zuschauer genug Anknüpfungspunkte findet und zum Stück seine eigenen Pop- und Kinoerinnerungen dazu fügt.

Wir haben halt unser eigenes Roadmovie gemacht.