Erstellt am: 13. 7. 2015 - 16:58 Uhr
Durch neue Türen
Im Zuge einer von revierverteidigender Borniertheit befeuerten, losen Bewegung (eher: Anti-Bewegung), einer Idee namens DISCO SUCKS wurden im Juli 1979 bei einer öffentlichen Kundgebung in einem Chicagoer Baseballstadion haufenweise Disco-Platten in die Luft gesprengt. Organisiert hatte diese sogenannte "Disco Demolition Night" der Radio-DJ Steve Dahl, zehntausende Zuseher, weit mehr als das Stadion zu fassen in der Lage war, wollten teilhaben, es kam zu Ausschreitungen.
Diese "schwule", anfeminierte Disco-Musik, die Ende der 70er – nicht zuletzt aufgrund des Erfolgs des Films "Saturday Night Fever" aus dem Jahr 1977 – hochpopulär war – so etwas konnte man als gestandener Rock-Typ aber gar nicht haben. "Folter für Travolta" war im deutschen Sprachraum unter Punks ein beliebter Slogan.
Kevin Parker, Tame Impala
Lange ist's her, wenn man im Kalender nachschaut. Derlei ideologische Grabenkämpfe – wenngleich heute weit zahmer, Musik stiftet nicht mehr in diesem Maße breitenwirksam Lebensmodelle – sind entgegen erfreulicher Tendenzen auch in der Gegenwart nicht komplett von Gestern. Das neue, dritte Album des Projekts Tame Impala handelt jetzt vom Abschiednehmen und Distanzhalten, aber eben auch vom Weiterkommen, vom Wandel, vom Gleiten und schließlich von einer neuen Fusion, dem Verschmelzen zu neuen Existenzen, Ideen, Entwürfen.
Bislang hat sich der aus Perth, Australien stammende Multiinstrumentalist und alleinige Mastermind Kevin Parker mit Tame Impala erfolgreich an der elastischen Weiterformung von gut vernebeltem Sixties-Rock Richtung zuckrigen Pops versucht. Musik aus Schall, Hall und Rauch, mit dem neuen Album baut er nun endgültig an der großen kosmischen Entgrenzungsmusik. Keine Angst: Gitarren- Jüngerinnen und Disco-Tänzer werden Geschwister vor dem Altar der Psychedelik.
Am Mischpult schichtet Parker opulente Universen aus süßlichster Sülze an. Aus dem Himmel abgehorchte Chor-Überlagerungen, Orgel-Brandungen, hundertfacher digitaler Glöckchen-Klingklang, ein ewiges An- und Abschwellen der herrlichsten Melodein. "Currents" nennt sich die neue Platte und spielt so schon im Titel auf Strom und Strömung, das Fließen, den Transfer von Energie an.
Kevin Parker hat eine Platte aufgenommen - alles alleine eingespielt, abgewogen, produziert, gemixt und ausjustiert - in der jetzt nicht plötzlich bloß Gitarrenrock mit elektronischen Tupfern gewürzt wird. Ein Brian Wilson, Phil Spector, Van Dyke Parks und Trevor Horn im Körper eines zotteligen Hippie-Typen entwickelt hier eine dampfförmige Gesamtmusik, in der mühelos alles ineinander aufgeht. Song und Sound, Form, Funktion, Melodie, Studiozauberei, Roboterstimmen, Quatschgeräusche, kurze Noise-Eruptionen, Spirtitualität, LOVE. Tanzen und Ausklinken.
Caroline
Man kann auf "Currents" verspukte, spinnerte Frühfolk-Psychedelik, ganz ähnlich wie etwa auf dem ersten Album von Pink Floyd oder von der Incredible String Band heraushören. Drogen-Mystik wie bei den frühen Doors. Die von vielen Fans verhassten Annäherungen an die Glitzerkugel und den Beat, wie sie KISS mit ihrem Album "Dynasty" oder die alten Progger vom Electric Light Orchestra mit der Platte "Discovey" versucht haben. "Discovery" – so heißt bekanntlich auch ein Album von Daft Punk, die mit ihrer letzten Platte "Random Access Memory" und deren Verquickung von Dancefloor und organischem Handwerk ebenfalls großer Ideenspender für "Currents" gewesen sein dürften.
"Currents" ist aber eben kein zuckendes, überladenes, vor Geschichtsbeflissenheit auseinanderfallendes Mosaik geworden, viel mehr ein homogenes, weiches Wogen. Selbst wenn man sich hier dann also beispielsweise auch an den kokaingeschwängerten, pastellfarbenen und aus schönstem Schmalz entwickelten Soft und Yacht Rock von guten Menschen wie Christopher Cross oder Michael McDonald erinnert fühlen darf, bleibt stets klar, dass hier ein Künstler auf der Höhe seiner zärtlichen Kraft eine ganz eigene Welt erträumt hat.
I Am the Cosmos
Der Song zum Sonntag: Tame Impala - "Let It Happen" (15.3.2015)
Alte Ideen verwischen zu unerhörten Mysterien. Dazu singt Kevin Parker von solch irdischen Dingen wie der Liebe und ihrem Zerbrechen, dem Schreiben der letzten langweiligen Kapitel einer abdimmenden Beziehung und dem Öffnen neuer Fenster. Alles wird anders, auch man selbst, wenn auch vielleicht bloß ein bisschen. Es kommt eine neue Seltsamkeit, mit wunderliche Düften und Farben quillt sie in unser Leben.