Erstellt am: 23. 6. 2015 - 11:21 Uhr
Restitution eines Liebermann-Gemäldes
Martin Brokko
"Herr Toren, welcher Subwaystop ist Ihnen denn der nächste?"
Dumme Frage. Hat er - vor langer Zeit erblindet - doch schon seit 27 Jahren nicht mehr die U-Bahn genommen.
Die achtzigste Straße östlich des Central Parks: locker eine der besten Adressen, die diese Insel so hat. Drei Uhr nachmittags. Französisches Generalkonsulat gleich an der Ecke. Viele Kindermädchen, die von Schulen abholen und Chauffeure, die an Bordsteinkanten warten. In mattschwarzen Schiffen mit Namen wie "Chevy Suburban" und "Cadillac Escalade". Mit Basisausstattung für 50.000 Dollar.
David Torens Büro im 23. Stock hat - oha! - einen Wahnsinns-Ausblick über den Central Park Richtung Süden. Er weiß das, ohne ihn sehen zu können. Wohnt schon seit Jahrzehnten hier; hat ihn, wie so vieles eingespeichert.
Herr Toren kann sein Emailpostfach auswendig. Er ruft im Kopf ab, wer ihm wann was schreibt. Und das bei den bestimmt vierzig Nachrichten, die er jeden Tag empfängt.
Ich bin hier, um seinen Emailverkehr in den Mac auf dem Schreibtisch zu tippen. Deutsch und Englisch. Mindestens vier Stunden die Woche. Schnell schreiben, es gibt keine Wiederholung. Ungefähr der Style, indem Dostojewski seiner Petersburger Sekretärin Romane diktiert. David Toren ist neunzig Jahre alt.
Jetzt will er wissen, was ich, der junge Österreicher, der hier seine Emails tippt, denn so mache.
Er reminisziert über Wien. Perfektes, gebildet-akzentuiertes Deutsch. Kennt Wien. Die Österreicher seien viel antisemitischer als die Deutschen. Ihn irritiert das Hrdlcicka-Denkmal des knienden, schrubbenden Juden am Albertinaplatz. Früher vertritt er als Patentanwalt Siemens Austria und andere Großunternehmen in der Alpenrepublik. Sogar mit dem Waffenproduzenten Gaston Glock traf er sich einmal. In dessen Fabrik in Atlanta. Aber nur einmal.
Wenn Herr Toren sagt, er könne die Maria Altmann-Verfilmung "Woman in Gold" nicht sehen, wisse aber alles darüber, glaubt man ihm das.
Maria Altmann in the Making
Er sucht schon seit Jahren. Beauftragt Provenienzforscher in Deutschland und Russland, geht unmittelbar nach dem Fund des Liebermann-Gemäldes 2013 an den High Supreme Court in Washington D.C. Sagt: die Deutschen brauchen sonst zu lange.
Es geht ihm ums Prinzip.
Die Alte Frau und die Verbrechen des Vaterlands
Was einem beim Schauen des Films "Die Frau in Gold" so durch den Sinn geht.
David Toren wird die "Zwei Reiter am Strand" nie sehen können. Hat er schon. Als Jugendlicher an der Breslauer Wand seines Großonkels. Der reiche Großonkel David Friedmann. Ziegelfabrikant und Kunstsammler. 1938 konfiszieren die Nazis seinen gesamten Besitz. Irgendwann hängt "Zwei Reiter am Strand" in Cornelius Gurlitts Wohnung in Schwabing. Gurlitt mag die "Zwei Reiter am Strand" sehr. Es ist eines seiner Liebsten. Einmal will Cornelius Gurlitt es absetzen, schafft es aber nicht und verkauft stattdessen ein anderes Bild.
Beim Rausgehen soll ich das Gemälde im Wohnzimmer angreifen. Auf Torens ausdrückliche Bitte hin. Es ist eine 3D-Nachbilung eines befreundeten Künstlers der "Zwei Reiter am Strand".
Der Liebermann war erst der Anfang, meint Toren. Da wären noch einige andere Gemälde in Europa. Jetzt müsse er sich entschuldigen. Um fünf habe er eine Telefonkonferenz mit London.
Am 19. Juni kann man "Zwei Reiter am Strand" zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren sehen - und kaufen. In London. Bei Southeby‘s.