Erstellt am: 8. 6. 2015 - 12:26 Uhr
Die Alte Frau und die Verbrechen des Vaterlands
Wien fungiert gerne als Schauplatz von Krimis und Familienhistorien der gutbürgerlichen, meist jüdischen Gesellschaft; besonders im amerikanischen Sprachraum ist Wien dafür bekannt und beliebt. Auch für seine Rolle als Wiege der Moderne wird Wien romantisiert - in einem Interview 2007 verglich Kunstsammler, Milliardär und Betreiber der Neuen Galerie in Manhattan Ronald Lauder das Wien der Jahrhundertwende mit dem New York City von heute. Vielleicht meinte Lauder diese Aussage nicht ganz so schief wie sie klingt, aber bitte.
Tatsächlich geht es in The Woman in Gold um verschiedene Perspektiven und Ebenen: der Blick von Heute auf Gestern, von Los Angeles nach Wien, von den Mächtigen zu den Entmachteten und wieder zurück. Hier noch ein kurzer Disclaimer: ja, The Woman in Gold ist ein trivialer Film. Er ist Kitsch; eine andere Art Kitsch freilich, als die Gemälde von Klimt selbst - diese befinden sich in jener Kategorie, die zum Sontag’schen "good camp" gehören. The Woman in Gold funktioniert nach der Dramaturgie jener Filme, in denen Kinder sich mit interessanten, unerwartet herzigen Tieren anfreunden und viele Abenteuer bewältigen - Flipper, z.B., oder Free Willy.
Weinstein Company
Genugtuung in vielerlei Hinsicht
Aber man muss einem Film auch die Wahl seines Sujets anrechnen, und dieses ist bei The Woman in Gold eigentlich sehr spannend; so spricht er doch über die Sorte Österreicher, die mit Scham auf die Nazi-Vergangenheit des Landes und seine braunen Spuren blicken - diese Art von reumütigem Österreicher wird im Film von Daniel Brühl dargestellt, in der Rolle des Aufdeckerjournalisten Hubertus Czernin. Interessant ist der Film aber mindestens auch für Österreicher, die vielleicht zu jener Zeit in die Schule gegangen sind, als eine Handarbeitslehrerin namens Elisabeth Gehrer (gespielt von Olivia Silhavy) Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur war. Es ist eine seltene Genugtuung, wenn man die Feindbilder der Jugend als Schurken in einem Hollywoodfilm zu sehen bekommt.
Neue Galerie
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Wien in der Herbstzeit der österreichisch-ungarischen Monarchie vielleicht einer der interessantesten Orte der Welt war, beauftragte der jüdische Kunstmäzen Ferdinand Bloch-Bauer den Maler Gustav Klimt mit der Fertigung eines Porträts seiner 25-jährigen Ehefrau, der schillernden Salonlöwin Adele Bloch-Bauer.
Klimt tat dies mehrmals über die Jahre hinweg, aber es ist dieses Gemälde Adele Bloch-Bauer I, mit seinem vagen, erotischen Schimmer, seinem archaischen byzantinischen Goldmantel und den vielen kleinen zweideutigen Symbolen, die an Brüste und Vulvae erinnern, das sich so ikonisch in das Bildgedächtnis des Jahrhunderts eingebrannt hat.
Dann gibt es die urige ältere Dame im Los Angeles zum Ende des 20. Jahrhunderts, Maria Altmann (Helen Mirren), die die unerwartete Heldin einer David vs. Goliath-Geschichte wird. Dass Maria eine Zentraleuropäerin ist, erkennt man an ihrem Akzent und an ihrer Schwäche für Mehlspeisen. Mirrens Maria Altmann ähnelt einer Handvoll oft sehr kultivierter älterer Herrschaften, die meist in New York City oder Los Angeles ansässig sind: als Jugendliche aus Wien geflohene Menschen jüdischer Abstammung. Die meisten von ihnen reisen nur mehr in der Erinnerung oder via Schulprojekte à la Letter to the Stars zurück in die ursprüngliche Heimat, die sie verstoßen hatte. Bei Maria Altmann, geborene Bloch, deren gesamte Familie von den Nazis ermordet und deren gesamter Besitz geraubt wurde, ist die Situation die Folgende: sie ist die Nichte von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer und, viele Details eines Testament-Wirr-Warrs zusammengefasst, rechtmäßige Erbin der Adele.
Weinstein Company
Mithilfe des jungen Anwalts Randy Schoenberg (Ryan Reynolds als Enkel von Arnold Schönberg) nimmt Maria Altmann es mit dem Staat Österreich auf, um für das geraubte Gemälde Entschädigung zu erhalten. Wie das ganze ausgegangen ist, haben wohl die meisten von uns eh mitgekriegt. Heute hängt Adele in Ronald Lauders Neue Galerie in Manhattan, wo nebenan im Café Sabarsky ein authentisches Wienerschnitzel um dreißig Dollar zu erwerben ist und eine Klimaanlage den erbärmlichen Ersatz für Zigarettenrauch bietet.
Weinstein Company
Der Film schildert Marias Odyssee nach juristischer Genugtuung als eine Identitätssuche und Vergangenheitsbewältigung, samt Rückblenden, in denen es sich um die jüngere Maria in Wien dreht. Diese Szenen werden einem alten Hollywooddekret gemäß mit entsättigten Farben gezeigt, denn die Vergangenheit war zwar nicht schwarz-weiß, aber gewiss auch nicht in Farbe. Was den Film zu einer witzigen Schatzsuche macht, ist die Besetzung: da spielt Tatiana Orphan Black Maslany die (deutsch-sprechende!) jüngere Maria, Charles Tywin Lannister Dance einen furchterregenden Rechtsanwalt, Elizabeth McGovern eine Richterin, Jonathan Pryce einen Richter, und Tom Schilling - was sonst - einen Nazi. Am unfreiwillig humorvollsten ist aber der todernste Moritz Bleibtreu in der Cameo-Rolle als Klimt.
Porträtgeschichten
Die Filmgeschichte bedient sich gerne des Bildmotivs von Porträts (Caravaggio, 1986, Girl with a Pearl Earring, 2003, Goya’s Ghosts, 2006...); in mehreren Film Noir und Geisterfilmen ist das Porträt einer Dame das Schlüsselelement (Rebecca, 1940, Laura, 1944, The Uninvited, 1944, Vertigo, 1958).
Wenn die aufregende Soft-Krimihandlung von The Woman in Gold besonders virulent wird, fühlt man sich leicht zurückversetzt in den seltsam missratenen Wienfilm Bad Timing (1980) von Nicolas Roeg, in dem Art Garfunkel in Wien einer sexuellen Obsession nachjagt; ständig erscheint da als düsterer Vorbote Klimts Der Kuss.
Criterion
The Woman in Gold lädt Klimts Adele mit dem unermesslichen Wert der Vergangenheit und Erinnerung auf; die Seele des unbelebten Objekts soll für die Komplexität von Nostalgie, Familienerinnerung und Verlust herhalten. Als aber Ronald Lauder Adele um 135 Millionen Dollar erwarb, war sie für kurze Zeit das teuerst-verkaufte Gemälde aller Zeiten; heute ist Adele aber weder Kunst noch historisches Symbol - wie Van Goghs Sonnenblumen sehen wir sie als Marke und vor allem als unvorstellbaren Haufen Geld; kein noch so rührender Film könnte etwas daran ändern.
Die Frau in Gold läuft seit 4. Juni österreichweit im Kino