Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Chiptunes, Dead Media und das 22. Jahrhundert"

Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

5. 6. 2015 - 13:57

Chiptunes, Dead Media und das 22. Jahrhundert

Der Science-Fiction Schriftsteller Bruce Sterling gilt als Mitbegründer des Cyberpunk-Genres. Im Gespräch plädiert er für einen achtsameren Umgang mit den Inhalten der Vergangenheit und für langfristiges Nachdenken über die Zukunft.

Bruce Sterling ist nicht nur als Autor von Romanen und Kurzgeschichten bekannt, sondern auch als Journalist und Aktivist. Er ist einer der Gründer der Electronic Frontier Foundation, einer der führenden Köpfe des Bright Green Environmentalism und er schrieb zahlreiche Artikel über Cyberkriminalität, über Hackerkultur und über elektronische Musik.

Bruce Sterling

CC BY 2.0 von Robert Scobel flickr.com/people/35034363287@N01

Wenn er nicht gerade schreibt oder sich für eine von Dutzenden Reden pro Jahr vorbereitet, wie diese Woche in Wien auf der net:25 dann hört Bruce Sterling Musik. Er liebe Soundcloud, sagt er, ein Social Network mit Millionen von Künstlern und Songs.

Ich erzähle Sterling, dass ich manchmal Chiptunes produziere, also Musik die mit den Soundchips von Homecomputern und Spielkonsolen aus den achtziger Jahren gemacht wird und frage ihn, der ebenfalls in dieser Ära mit seinen Cyberpunk-Romanen populär geworden ist, was er von diesem Musikgenre hält. Er liebe Chiptunes, sagt Sterling, "weil die Beschränkungen der Hardware eine interessante Wirkung haben." Sein liebster Stil in der 8-Bit-Musikszene sei Chiptune-Reggae: "Because Reggae is really non-computational." Um das Gefühl von Reggae und Dub auf einem alten Soundchip zu erzeugen, müsse man als Musiker ein richtiger Hacker sein.

Der zweite Grund für seine Liebe zu Chiptunes aber führt uns im Gespräch zum Thema Nachhaltigkeit. Der SciFi-Autor Bruce Sterling ist nämlich auch Vater der Viridian-Design-Bewegung, einer Spielart des Bright Green Environmentalism, die sich mit den sozialen und ökologischen Folgen der digitalen Revolution beschäftigt. Das Chiptunes-Genre diene auch gut dazu, den "hypnotischen Bullshit" zu durchbrechen, mit dem Leute dir ständig das neue, verbesserte Ding verkaufen wollen. "Natürlich gibt es das Neue und Verbesserte", sagt Sterling, "aber es bedeutet immer auch, dass du die etablierte Basis zerstörst. Wir haben riesige Mengen an Computerleistung verloren. Wo ist all die Musik, die auf AOL.com gespeichert war?" All die menschliche Energie sei verpufft, als die Server eingezogen wurden. Sterling deutet auf das Aufnahmegerät, das ich halte: "Viele der Geräte, die wir jetzt benutzen, werden in wenigen Jahren auf einer Deponie in China oder Afrika liegen." Es sei so, als würden wir auf schmelzenden Eisbergen leben.

Aus diesem Grund habe er auch das Dead Media Project ins Leben gerufen, eine Datenbank verschwundener digitaler Kunst, toter Links, alter Multimedia-CD-ROMs. Denn indem man tote Medien katalogisiere und aufzeige, wieviel schon verschwunden sei, wirke man der Trance entgegen, in der die Menschheit sich befinde: Eine Trance, in der Moore’s Law und die ständige Zunahme von Geschwindigkeit und Speicherkapazität das wichtigste Kriterium seien. Stattdessen sollte sich die Menschheit öfter fragen: "Was ist mit all den Inhalten geschehen, die wir bereits gespeichert hatten? Wo ist unser Archiv?"

Bruce Sterling kritisiert aber auch einen Mangel an Diskurs über die Zukunft - und macht das an einem Begriff fest, der seiner Meinung gar nicht diskutiert werde: dem 22. Jahrhundert. Sein Freund Wiliam Gibson habe vor kurzem gesagt: "Im 20. Jahrhundert haben die Menschen ständig vom 21. Jahrhundert gesprochen - es werde ein neues Jahrtausend anbrechen und die Dinge würden sich sehr verändern. Aber nun sind wir bereits fünfzehn Jahre lang im 21. Jahrhundert und niemand spricht über das zweiundzwanzigste." Wenn man eine Google-Anfrage nach Diskussionen über das 22. Jahrhundert eingäbe, so Sterling, dann erscheine gar nichts. "Die Tatsache, dass es keinerlei öffentlichen Diskurs über das nächste Jahrhundert gäbe, ist ein Zeichen für das zu kurzfristiges Denken der Menschheit."