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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

28. 5. 2015 - 16:54

Extraleben: Virtual Reality

Lange Zeit wurden die Erwartungen nicht erfüllt, doch moderne Virtual-Reality-Brillen schaffen Erstaunliches. Im FM4 Computerspielkränzchen sprachen wir über das hohe Potenzial der neuen virtuellen Realität.

Alles rings um einen vergessen und in eine andere Welt eintauchen: Das ist das Versprechen von eigentlich jeder Kunstform und so natürlich auch von Computerspielen. Dabei richten wir unseren Blick nicht auf ein Buch oder auf eine Bühne sondern auf einen wie auch immer gearteten Bildschirm. Der hat sich zwar über Jahrzehnte hinweg bewährt und weiter entwickelt, doch ein komplettes Eintauchen ist mit regulären Bildschirmen nicht möglich.

Mit einer Brille, die alles rundherum abdeckt, geht das aber. Virtual Reality (VR) heißt schon seit den 80er Jahren (in der Sci-Fi-Literatur noch viel länger) die große Hoffnung an ein komplett neues Abtauchen in neue, digitale Welten. Jetzt ist die Zeit offenbar gekommen, wo sich das Versprechen erfüllt, deshalb widmet sich das Computerspielkränzchen FM4 Extraleben in der aktuellen Ausgabe der virtuellen Realität. Conny Lee, Christoph Burstup Weiss und ich besprechen unterschiedliche Aspekte, Chancen und Hürden vom Holodeck, das bald Wirklichkeit wird.

Ein junger Mann mit Virtual-Reality-Brille und Joystick.

flickr.com, User neontommy

Ein langer Weg

FM4 Extraleben: Virtual Reality

Conny Lee, Christoph Burstup Weiss und Robert Glashüttner sprachen über die neue Welle der virtuellen Realität. Am Donnerstag, 28. Mai, von 21 bis 22 Uhr.

Viele Jahre lang waren die Erwartungen an Virtual Reality sehr hoch, die Technik konnte mit den Wünschen der von Literatur und Filmen geschulten Konsument/innen aber nicht mithalten. Bestes Beispiel: Das Virtual-Reality-Café in Wien, das bereits Mitte der 90er Jahre Menschen Helme auf den Kopf gesetzt hat und sie in einer neuen Welt erwachen ließ. Trotz der großen Motivation waren die Ergebnisse eher mäßig.

Als sich die Enttäuschungen manifestiert haben, wurde es eine Weile lang still um VR-Technik. Doch dann trat vor ein paar Jahren ein junger MIT-Student auf den Plan, der nahezu besessen war von der Idee der virtuellen Realität. Er hatte sich eine Sammlung verschiedenster VR-Headsets zurechtgelegt, die alle eines gemeinsam hatten: Sie funktionierten nur äußerst unbefriedigend - vor allem, weil die Latenz - also die Verzögerung zwischen Kopfbewegungen und Bilddarstellung - zu hoch war. Palmer Luckey begann zu experimentieren und erkannte, dass es die Bildschirme und Sensoren aus Smartphones und Tablets waren, mit deren Hilfe die VR-Revolution endlich gelingen konnte.

©OculusVR

Der erste Prototyp des Oculus Rift bestand aus einer Skibrille, dem Screen eines Samsung Galaxy Tab und den Lagesensoren eines Smartphones. Was dabei entstanden ist, gilt als der Startschuss des zeitgenössischen Virtual-Reality-Hypes. Mittlerweile wurde Oculus Rift von Facebook gekauft, aber bevor das passiert ist, sind schon einige spannende Dinge passiert. So wie viele andere VR-Fans hat auch Burstup Rift von Beginn an auf Kickstarter unterstützt und experimentiert nun schon seit einigen Monaten mit den Vorabgeräten und zeigt sie möglichst vielen Freunden, Kollegen und Bekannten. Seine Berichte auf fm4.ORF.at über das erste und das zweite Entwicklerkit haben erste Einblicke in die neue Welt der VR geboten.

Die Konkurrenz schläft freilich nicht: Nach Oculus Rift gibt es mittlerweile einige ähnliche Modelle, etwa Project Morpheus, Vive oder das von Google entwickelte Low-Tech-Modell Cardboard, das nur aus Karton, einem Magnetschalter, 3-D-Linsen und dem eigenen Smartphone besteht, das man in die Konstruktion steckt.

Sitzen oder bewegen?

Wenn man zum ersten Mal eine moderne VR-Brille aufsetzt, dann ist das am Anfang ein ziemlich verblüffendes Erlebnis – vor allem, wegen der 360-Grad-Bewegung, die man mit dem eigenen Körper macht und die dann ebenso in der virtuellen Realität stattfindet. Doch trotz dieser bahnbrechenden neuen visuellen Ebene, steuern wir unser Alter Ego weiterhin mit gängigen Eingabegeräten wie Tastatur oder Game-Controller durch die Gegend. Das muss aber nicht sein, denn immer mehr Wissenschafter und Firmen forschen auch nach Technologien, die ein komplettes virtuelles Eintauchen ermöglichen – das beginnt dann mit der VR-Brille und setzt sich am ganzen Körper fort. Beispiele dafür sind der bahnbrechend wirkende Virtual-Reality-Park "The Void", der im kommenden Jahr in den USA an den Start gehen soll, oder das in Österreich entwickelte Speziallaufband Virtualizer des Startups Cyberith (FM4 hat berichtet).

Bemerkenswerte Möglichkeiten abseits von Spielen

Weil Rift und Co. so viel Potenzial haben, sind sowohl Hobby- als auch Profientwickler beseelt davon, mit diesem neuen Tool herumzuspielen. Es gibt bereits unzählige Demos und Experimente: Ausflüge ins Weltall, virtuelle Museen, Rollercoaster, Zauberwelten, wo sich ständig was ändert, wenn man kurz wegsieht oder Horror-Spielchen, wo Spinnen auf den virtuellen Händen herumkrabbeln und man nicht die Nerven verlieren sollte.

Die Rift-Entwicklerszene ist von einer leidenschaftlichen Indie-Community geprägt, die ständig sehenswerte, kostenfreie Demos und digitale Kunstwerke online stellt.

Auch der therapeutische Nutzen ist - wenn man kluge Software entwickelt - sehr hoch. Seit im Jahr 2013 die ersten Entwicklerversionen des Oculus Rift an Interessierte verschickt wurden, haben nicht nur Gamedesigner, Filmemacher und Medienkünstler damit experimentiert - auch Ärzte und Therapeuten arbeiten intensiv mit der Technologie. Eines der faszinierendsten Projekte: Oculus Rift kann Menschen mit Sehbehinderungen wie Amblyopie oder Strabismus (Schielen) helfen, ihre bisher als unheilbar geltende Störung nachhaltig zu verbessern. Versuchspersonen, die mit dem von Augenärzten und einem Patienten gemeinsam entwickelten Programm arbeiten, können z.B. das erste mal in ihrem Leben stereoskopische 3-D-Bilder sehen - nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der physischen Welt.

Vielversprechend sind VR-Headsets aber auch im Bereich der Schmerztherapie: Phantomschmerzen etwa werden seit den 70er Jahren mit der sogenannten Mirror Box therapiert - einem einfachen Holzkasten plus Spiegel, mit dessen Hilfe der betroffene Patient seinem Gehirn vortäuschen kann, dass ein Bewegungsreiz eines amputierten Körperteils vorliegt. Diese sehr effektive Anwendung lässt sich mit Hilfe eines Avatars in virtueller Realität noch besser umsetzen.

Auch beim Journalismus und dem schwierigen Thema Zivilcourage sind dank VR neue Dynamiken und Konzepte am Werk, etwa bei Projekten der Firma Emblematic Group, die mit Medien aus aller Welt zusammenarbeitet.

Virtual Reality Games

Doch vorrangig sprechen wir im Extraleben über Computerspiele. Wie sieht es also nun mit VR-Games aus? Was ist dabei neu und besser? Welche Spielgattungen funktionieren gut? Ist der 360-Grad-Effekt wirklich so ein wichtiges Feature bei Virtual-Reality-Spielen oder sind es andere Sachen? Allgemein kann man sagen, dass das intensive Eintauchen sowohl Chancen als auch Gefahren birgt, denn bei besonders heftigen Erlebnissen kann die komplette Immersion auch traumatische Reaktionen nach sich ziehen. In erster Linie sind VR-Spiele aber faszinierend, die folgenden Kurzvorstellungen sind naturgemäß nur ein Ausschnitt aus zahlreichen Spieleprojekten:

  • In "Keep Talking and Nobody Explodes" wird die kommunikative Brücke zwischen der Person mit VR-Helm und der Welt draußen geschlagen. Nur in der virtuellen Realität sieht man eine Bombe, die es zu entschärfen gilt. Aber wie sie genau gebaut ist, welche Knöpfe, Schalter und Hebeln man drücken, ziehen und bedienen kann, muss erst an die anderen kommuniziert werden, die wiederum anhand einer etwas kryptischen Anleitung die richtigen Antworten herausfinden und an die VR-Person zurückreichen müssen.
  • Ebenso wie "Keep Talking" ist auch "Deep" beim tollen Indie-Games-Festival Amaze diesen April in Berlin gezeigt worden (FM4 hat berichtet). "Deep" ist eine Art Zen-Game: Mit Hilfe eines speziellen Gürtels wird das Atmen der tragenden Person als Eingabegerät dafür genutzt, eine Unterwasserwelt zu erkunden. Ein entspannendes Meditationsgame und ein schöner Kontrast zu den diversen Horror-Experimenten!
  • "Technolust" begann - wie viele VR-Games der letzten zwei Jahre - als Experiment, das per Crowdfunding von Besitzer/innen eines Oculus-Entwickler-Kits finanziert wurde. In diesem Fall hat es deshalb so gut funktioniert, weil das Spiel ein Cyberpunk-Epos vom Schlage eines "Deus Ex" zu werden scheint - aber eben tatsächlich zum Erleben mitten in einer futuristischen 360°-Umgebung.

"Keep Talking and Nobody Explodes"

  • "Elite: Dangerous" ist das erste Spiel mit Millionenbudget, das unter Berücksichtigung des Oculus Rift entwickelt wurde. Verantwortlich dafür ist David Braben, jener Mann, der in den achtziger Jahren mit "Elite" das Genre der Weltraumsimulationen erfunden hat. "Elite: Dangerous" simuliert die 400 Milliarden Sonnensysteme unserer Galaxie, der Milchstraße. Das kann, je nachdem, wie man es spielt, eine langsame Entdeckungsreise ins Unbekannte sein, oder eine actionreiche Dogfight-Orgie zwischen mehreren Spielern. Das Gefühl, im Cockpit eines Raumschiffs durch die unendlichen Weiten zu fliegen, war dank Oculus Rift noch nie so realistisch.
  • Im Gegensatz zu diesem mit hohen Aufwand produzierten Spiel ist "Cubliterate" nur ein kleines Tech-Demo - aber eines der lohenswertesten. Es versetzt einen in eine Wüstenlandschaft, bewaffnet mit einer Laserkanone. Dann kommen Würfel auf einen zu, denen nur zu entkommen ist, wenn man rennt und schießt. Was sich trivial anhört und auf einem herkömmlichen Monitor oder Fernseher auch harmlos aussieht, wirkt in einem VR-Headset überwältigend: Denn die Würfel, die pausenlos und in großer Zahl auf dich zukommen, sind so groß wie Hochhäuser.
  • Das gilt auch für "Minecrift", eine Modifikation des beliebten Sandbox-Games "Minecraft". Selbst gebaute Häuser wirken in VR plötzlich lebensecht. Schluchten sind 60 Meter tief, Berge hundert Meter hoch. Nicht im 360-Grad-Blick, sondern im realistischen Eindruck von Größenverhältnissen liegt die größte Faszination moderner Virtual Reality.

Der große Virtual-Reality-Frühling

Danke an Burstup für die Hilfe bei der Recherche!

Das Frühjahr 2016 wird ziemlich aufregend werden, denn dann werden die meisten VR-Produkte veröffentlicht. Es wird sich zeigen, welche Ansätze sich durchsetzen und was wieder recht schnell vom Markt verschwinden wird. Will man überhaupt länger als zwei, drei Stunden eine VR-Brille auf dem Kopf tragen, oder drückt es dann nicht schon im Gesicht bzw. muss/will man sich nach dem intensiven Erleben eine Weile erholen? Auch ist die Gefahr da, dass es so enden könnte, wie bei Bewegungstechnologien bei der originalen Wii oder Xbox Kinect: Am Anfang ist man begeistert, aber schlussendlich kehrt man doch wieder zum bewährten Gamepad und der Tastatur zurück.

Jedenfalls war das, was bis vor kurzem noch als Zukunftsvision galt, noch nie so nahe vor der tatsächlichen Umsetzung. Dabei wird die Virtual-Reality-Brille lange nicht der Weisheit letzter Schluss sein: Experimente mit Bildern, die direkt auf die Netzhaut projiziert werden, Datenhandschuhe und ähnlich abenteuerliches stehen schon wartend vor der Tür. Eine Sonderstellung nimmt dabei Microsoft "Hololens" ein. Das Produkt, das im Laufe der nächsten Monate für Windows 10 erscheinen soll, ist kein VR-Headset, sondern will ein neues Kapitel der sogenannten Augmented Reality aufschlagen. Die halbtransparente AR-Brille kombiniert virtuelle Darstellungen mit der sichtbaren physischen Welt. Skype-Gesprächspartner sollen im Raum erscheinen, als würde sie R2D2 persönlich in den Raum projizieren. Spielumgebungen werden sich zwischen Wände und Möbel des Wohnzimmers einfügen. Wie gut das funktionieren wird, bleibt abzuwarten, doch eines steht fest: Die Zukunft ist jetzt.

Ein Mann mit einer Virtual-Reality-Brille und gelben Kopfhörern, er hält sich beide Hände vors Gesicht.

flickr.com, User pestoverde