Erstellt am: 18. 5. 2015 - 05:00 Uhr

FM4 Artist Of The Week: The Vaccines

Meine liebste Rock'n'Roll-Band erfindet sich neu. Kann das gut gehen?

Schreck!

Es ist der Schrecken jedes Fans. Ein lieb gewonnener Act entschließt sich dazu, plötzlich alles neu und anders zu machen. Warum zur Hölle? War doch eh schon super vorher!

Jetzt wollen die Vaccines also "total nach 2015" klingen. Sagen sie selbst im Interview. Dabei war ja ihre allergrößte Stärke, dass sie zeitlose Pop-Songs im Rock'n'Roll-Gewand geschrieben haben. Roh genug, um nicht langweilig zu sein. Eingängig genug, um auch außerhalb der eingefleischten Gitarrenband-Zirkel gehört zu werden. Und was für Songs das waren! Erinnert sich jemand an Wreckin' Bar?

Weg mit zeitlos!

So, jetzt also weg mit zeitlos. Her mit 2015. Soll heißen: Verträumter, softer Sound, psychedelisch anmutendes Feelgood-Ambiente. Wenn notwendig, dann auch mal ein Stadionrock-Riff mittendrin, man ist ja schließlich immer noch eine Gitarrenband. Dream Lover ist der wahrscheinlich beispielhafteste Song am neuen Album.

Eh gut. Super Songwriting und so. Aber gibt's nicht schon genug Bands, die genau so klingen?

Und der Sänger so...

"Wir wollten etwas machen, das nächstes Jahr umwerfend klingt. Und in 10 Jahren fürchterlich."

Oha, Mut zur Hässlichkeit also? Oder einfach nur schon in viel zu vielen Rezensionen gelesen, dass das Debütalbum "zeitlos" sei?

"Wenn du dir irgendetwas aus den 1990ern jetzt anhörst, dann klingt das scheußlich heute. Aber hey, das ist doch genau das, was die Identität dieses Sounds ausmacht."

Tatsächlich, das klingt in sich schon wieder schlüssig. Denn The Vaccines standen auch bislang für den "umwerfenden Moment", selbst wenn der stets einigermaßen konservativ nach Rock'n'Roll geklungen hat.

Das Debütalbum "What Did You Expect From The Vaccines" war einfach nur da: roh und brilliant. Vier britische Jungs singen über schöne Mädchen, Sex mit der Ex und die Schlägerei im Pub.

Das zweite Album dann ein Coming-Of-Age-Roman in Musikform mit dem Titel "Come Of Age". Reflexionen über Aussichtslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und der Vaccines-Schlachtruf: I'm no teenage icon. The Vaccines am bisherigen Zenit.

English Graffiti

Jetzt also Nummer 3, "English Graffiti", das auch musikalisch am Puls der Zeit ist. Überthema: Schwelgerische Träumereien. Die große Liebe.
Die Songs tragen Namen wie Want You So Bad oder Maybe I Could Hold You oder (All Afternoon) In Love. Gute Songs können The Vaccines immer noch schreiben. Bloß, ihr Alleinstellungsmerkmal, der Retro-Rock'n'Roll-Sound, ist verloren gegangen.

Ob das jetzt aus marketingstrategischen Überlegungen sinnvoll ist oder nicht, das weiß ich nicht, und es kann mir auch egal sein. Vielleicht werden jetzt neue Fans auf diese großartige Band aufmerksam. die der zeitgemäßere Sound überzeugt, was weiß man schon.

Aus künstlerischer Sicht ist das neue Album für die Band sicher ein großer Schritt. Die nächsten 10 Jahre weiterhin druckvolle, von Rock'n'Roll / Punk / (manchmal auch Folk) inspirierte Sing-along-Songs zu schreiben, wäre vielleicht ja auch ein wenig langweilig geworden. The Vaccines haben den Schritt vom Zweieinhalb-Trick-Pony zu einem vollwertigen Pop-Act geschafft. Im Jahr 2015 gelingt das nur wenigen klassischen Bands mit Gitarre, Gesang, Bass, Schlagzeug.

Und aus der Fanperspektive? Ich werde weiterhin von den Vaccines schwärmen. Ein paar Songs aus "English Graffiti" haben den Weg in meine Frühsommer-Playlist für unterwegs schon gefunden. Da ist eine ganze Menge toller Musik dabei, zu der sogar die Fußgängerzone in Wien-Favoriten schön aussieht. The Vaccines bleiben meine liebste Gitarrenband des Hier und Jetzt.

Bonus!

Achja, und wem die Kampfszenen aus Dream Lover noch nicht genug waren: Das ist das Video zu Handsome. Der Song ist so etwas wie das missing link zwischen dem alten und dem neuen Vaccines-Sound.

Bonus 2!

"English Graffiti" erscheint am Freitag, den 22. Mai 2015. Bis dahin gibt es Songs daraus exklusiv im FM4-Radioprogramm zu hören.