Erstellt am: 2. 5. 2015 - 13:01 Uhr
Love Is In The Air
Die Neugründung des Abendlandes
Donaufestival, Tag 1: Stars of the Lid, Carter Tutti Void, Ben Frost, Gazelle Twin, James Holden.
Into the Void
Der Samstag beim Donaufestival Krems: Grouper, Battles, Helena Hauff, patten und mehr.
Rebuilding The World
Donaufestival, Tag 3: Godspeed, klingt.org, Platzgumer und mehr. Halbzeit beim Donaufestival.
Der Tag der Knaben
Erster Tag des zweiten Wochenendes: Nils Frahm, The Botanist, Alessandro Cortini, Noise Manifesto, Alva Noto u.v.m.
Ob die Donaufestival-Künstler es schaffen, diese zwei sehr unterschiedlichen Menschengruppen ein Stückchen näher zusammenrücken zu lassen, wage ich zu bezweifeln. Es kann aber durchaus passieren! Denn irgendwie liegt Liebe in der Luft. Alle haben sich am zweiten Donaufestival-Wochenende gern. Das Künstlerkollektiv "Noise Manifesto" zum Beispiel betont im Interview am Donnerstag mehrmals, wie harmonisch die Zusammenarbeit ist, dass sich jeder respektiert und mag, sogar dicke Freundschaften daraus entstanden sind. Freitagabend geht es zunächst aber weniger schmusig los.
Ich.Du.Er.Sie.Es.
Planningtorock, als "Aquarian Jugs" auch ein Teil des Noise Manifesto, eröffnet den Festivalabend in der Minoritenkirche. Eigentlich Solo-Artist, performt Jam Rostron diesmal mit Kollektiv-Kollegin rRoxymore. Man fühle sich auf Tour oft einsam, meint Jam im Interview. Nicht ganz alleine auf der Bühne zu stehen sei deswegen eine willkommene Abwechslung, noch dazu in einem so besonderen Rahmen.
Seit Jahren ist Planningtorock darum bemüht, in der Musik und den Performances mit Gender-Normen zu spielen, diese aufzubrechen und eben neu zu definieren. So auch in ihrem Privatleben. Planningtorock heißt mit bürgerlichem Namen nicht mehr Janine sondern Jam, ein gender-neutraler Name und so versteht es (!) sich jetzt auch als Person. Es sei mir an dieser Stelle verziehen, dass ich Jam in den folgenden Zeilen trotzdem manchmal "sie" nennen muss. Ein gut verwendbares, geschlechtsneutrales Pronomen wie beim schwedischen "hen"gibt es im deutschen Sprachgebrauch leider noch nicht und "es" ist mir zu Steven King-mäßig.
David Visnjic
Queer Of The Night
Das Konzert in der Minoritenkirche startet mit der runtergepitchten Arie der Königin der Nacht aus der Oper "Die Zauberflöte". Generell verfremdet und moduliert Jam gerne Stimmen, besonders die eigene. Eine spezielle Soundtextur entsteht laut Jam etwa, wenn sie hohe Töne singt und diese dann runterpitcht. So geschieht das auch in der Minoritenkirche. Planningtorock versteht es, subtil über jene Themen zu singen, die ihr Leben, ihre Arbeit, ihr gesamtes künstlerische Schaffen bewegen. "It's all about the message.", singt Jam - und das kauft ihr das Publikum auch ab.
David Visnjic
Der Sound bewegt sich auch diesmal zwischen verspulten Elektro-Synths, poppigen Attitüden und schrägen Vocals. Die Songs gehen wenig ins Ohr und das sollen sie ja auch: Anecken, aufrütteln, das Normgefühl abstreifen.
"Jamy i love you!", schreit ein Mann* aus dem Publikum, und weil es der letzte Tag der Tour ist, schenkt Jam der Person jene Maske, die einen Hinweis, ob auf der Bühne eine Frau oder ein Mann performt, verdecken soll. Wir wissen ja auch alle, wer hinter dieser Maske steckt: Eine wunderbare, freundliche Person, die mit ihrer Kunst viele ausgetrampelte Denk-Pfade verwischt.
*Nachtrag: Der Mann, der von Planningtorock beschenkt wurde, ist Arca! Danke für die Info, Herr Hotrichard. Twitter-Beweisfoto siehe rechts.
The Wonder Of Falling In Love
Scott Matthew hat ein leichtes Spiel in Österreich. Wir lieben ihn einfach. Natürlich weil Matthew wunderschöne Lieder schreibt und covert. Aber auch, weil er ein herzensguter Mensch ist. Bummvoll ist der Stadtsaal und das nicht nur, weil es draußen in Strömen regnet. Es herrscht eine kuschelige Atmosphäre, die vor allem durch Matthews samtige Stimme getragen wird.
David Visnjic
Dass Scott Matthews Musik nicht unbedingt in das Line-Up passt, ist Tomas Zierhofer-Kin, dem Intendanten des Donaufestivals, durchaus bewusst. Er habe Matthew wegen seiner politischen Impulswirkung eingeladen, der Sound stehe in diesem Fall nur an zweiter Stelle.
Heimspiel
Das Donaufestival ist die letzte Etappe seiner aktuellen Tour und ja, es ist für ihn wahrscheinlich wie ein Heimspiel. Das merkt man Matthew auch an. Er lacht und spaßt auf der Bühne, als würde er vor seinen besten Kumpels spielen. Seine Songs sollen in Zukunft übrigens wieder zackiger werden, mit vielen E-Gitarren... Ob das die Schmusepärchen gut heißen werden? Matthew nimmt's gelassen.
David Visnjic
David Visnjic
Mit einer fetten Portion Hype geht es, nachdem Jam City in Madrid am Flughafen feststeckt und nicht auftreten kann, weiter.
Weißer Rausch, große Ärsche
David Visnjic
Wow. Ein queerer, hoch-rotgestiefelter Prinz, out of space und doch Mitten im Publikum. Der venezolanischen Producer Alejandro Ghersi alias Arca wirkt in Krems wie ein zartes, weißgewandetes Alien. Er versteckt sich nicht hinter seinem Equipment, stolziert auf seinen 25cm-Plateaus screamo-rappend durch die Menge. Arcas Zerhacke erinnert an alles, was man jemals gehört hat. Die Show ist eine never ending downward spiral, fragmentierter HipHop, zerfetzter Pop, ohne Muster oder Grundrezept, nicht zuordenbar aber glasklar, sexy, neu, vibrierend. "Sein Sound ist das, was von einem Rave übrig bleibt", meint meine Kollegin Daniela Derntl. Oh yes.
David Visnjic
David Visnjic
David Visnjic
Wucherungen
Die Live-Performance funktioniert. Auch deswegen, weil Jesse Kandas Visuals eine weitere, verstörende Ebene schaffen. Übergroße Ärsche, glatzköpfige Stripteasetänzerinnen, wuchernde Frauenschenkel, plastische Brüste, verpixelte Augen. Nichts Gefälliges. Der Filmemacher und Visualist kooperierte schon öfter mit Arca, von ihm stammt etwa das offizielle Video zum Track "Xen". Kanye West, FKA Twigs, Björk. Sie alle haben den 25-jährigen Arca bereits angezapft. Bitte lasst ihn los, er braucht nun sich selbst.
Glitzersuit und Kugelbauch
So sehr Arca mit seiner Reduktion glänzt, so üppig glitzert das italienische Duo "Hard Ton". Way too much ist noch zu wenig, mag das Bühnenmotto lauten. Inspiriert von Leigh Bowery, 1994 an Aids verstorbener australischer Performancekünstler und schillernde Persönlichkeit per se, liegt die Show so wohlig weich im Magen wie eine lang ersehnte Cremeschnitte. Der enge, bauchfreie Glitzerbody-Suit, ausladende Gesten, House-Beats und Falsett-Gesang schreien gemeinsam: P-A-R-T-Y!
David Visnjic
Christeene
Wenn Waterloo und Alice Cooper jemals miteinander ein Kind gezeugt hätten, wäre Dragqueen Christeene ihr wunderschönes Horror-Baby. "The Christeene Machine ist die unheilige Allianz zwischen Punk-Musiktheater und anarchischer Performance und dreht Politik, Sex und Gender-Theorien durch einen gewaltigen queeren Fleischwolf.", schreibt das Donaufestival-Team treffend.
David Visnjic
Mit Christeene und ihren Boys C Baby und T Gravel aus Austin, Texas darf der zweite Donaufestivaltag in feuchter Liebe und klebrigem Exzess ausarten. Überraschend, lustig, impulsiv, wiedersehenswert.
David Visnjic
Your Festival Radio
Alle weiteren Stories zum Donaufestival 2015
Und Samstag Nachmittag dann in die absolute Reizüberflutung mit der knallbunten japanischen Truppe "Miss Revolutionary Idol Berserker" eintauchen und sich für den letzten Abend und Autechre aufwärmen.