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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

1. 5. 2015 - 10:21

Der Tag der Knaben

Atmosphärische Vielfalt, großes Gestaltungsspektrum und queere Impulse. Das zweite Wochenende des Donaufestivals hat begonnen. Nils Frahm, The Botanist, Alessandro Cortini, Noise Manifesto, Alva Noto u.v.m.

Abstrakte Elektronik, zerstörter Techno, Doom und Noise, dazwischen ein wenig Kammermusik und Performances, die vielen BesucherInnen Tränen in die Augen treiben. Es ist also wieder Donaufestival.

Donaufestival

Donaufestival

Es ist so: das Festival für zeitgenössische Kunst und Kultur programmiert jedes Jahr um ein Motto, eine Aufgabe, eine Losung. Diesmal wurden ArtistInnen aufgefordert, sogenannte tradierte Welterklärungsmodelle in Frage zu stellen, diese zu attackieren und womöglich neu zu formulieren. Egal ob beispielsweise bei der Multi-Player-Video-Performance von Rimini Protokoll oder beim Set des klaustrophobischen Minimal-Doomers Ben Frost, der Donaufestival-Auftrag wurde am ersten Wochenende des Festivals meist mit bleischweren Hilfsmitteln verhandelt. Das zweite Donaufestival-Wochenende konzentriert sich vermehrt auf queere Aspekte und Herangehensweisen, und die neigen dann doch zu einem größeren Gestaltungsspektrum.

Die Neugründung des Abendlandes
Donaufestival, Tag 1: Stars of the Lid, Carter Tutti Void, Ben Frost, Gazelle Twin, James Holden.

Into the Void
Der Samstag beim Donaufestival Krems: Grouper, Battles, Helena Hauff, patten und mehr.

Rebuilding The World
Donaufestival, Tag 3: Godspeed, klingt.org, Platzgumer und mehr. Halbzeit beim Donaufestival.

Scott Matthew, Planningtorock, Christeene, Arca oder Hard Ton sind die Stars am queeren Tag. Nach Veröffentlichung des Donaufestival-Programms im Frühjahr erhoben manche KritikerInnen ihre Stimme und sprachen schon mal ein wenig vorwurfsvoll von einer queeren, berechenbaren Folklore, die sich das Donaufestival Jahr um Jahr gönnen würde. Mag sein, aber es geht eben nur sehr sekundär darum, bunt verkleidet in der Sonne herumzuhüpfen. Queerness hat schon lange nichts mehr mit sexueller Orientierung zu tun, sondern ist ein Modell, dualistische Prinzipien der westlichen Gedankenwelt in Frage zu stellen. Und diesbezüglich sind eben KandidatInnen wie Scott Matthew oder Planningtorock gute ImpulsgeberInnen. Nachdruck durch Wiederholung.

Milder Techno und John Carpenter-Minimal

Der gestrige Freitag offenbarte eine große atmosphärische Vielfalt. Begonnen hat das musikalische Freitagsprogramm mit der milden Kunst des Deutschen Nils Frahm.

Nils Frahm

David Visnjic

Der akademisch ausgebildete Pianist und Komponist verwebt seine Piano-fokussierte Musik mit meist zurückhaltender, aber Akzente setzender Elektronik und mit Beats. Mit einer Hand am Klavier, mit einer Hand am Computer. Dem Berliner wurde die Minoritenkirche als Austragungsort seiner punktgenauen Klassik-Ambient-Meditationen mit sanftestem Techno zur Verfügung gestellt. Mit dem Techno-Aspekt habe ich ein kleines Problem. Wenn Frahm seine schön gewebte Nu-Classic mit dem Atem von Trance-Musik konterkariert, kommt das sicher super auf einer großen Bühne am Sonar-Festival, aber das unbedingte Streben, ein James Blake der Avantgarde zu werden, schmälert das kreative Trachten des Frahms. Aber er hat tatsächlich selbstgebastelte Orgelpfeifen mitgebracht. Also eh alles gut.

The hand that feeds you

In der bunten Youtube-Welt ist ein großartiges Video von Alessandro Cortini gelagert. Darin erklärt er fast schon wahnsinnig und sehr sympathisch, wie er Sounds für Nine Inch Nails mit elektronischem Unrat wie alten Kassettenrecordern kreiert. 2005 stieß der Italiener zu Nine Inch Nails und wurde kontinuierlich wichtiger für die mächtige Industrial-Pop-Drohne von Trent Reznor.

Alessandro Cortini

David Visnjic

Cortini ist eine interessante Persönlichkeit, viele unterschiedliche Projekte findet man in seinem Curriculum Vitae. Mit Ladytron, aber auch Christina Aguilera hat er schon gearbeitet. Solo artikuliert sich seine musikalische Gedankenwelt im bewährten Spannungsfeld zwischen Ambient und Minimal, mit dezenten Ahnungen an Siebziger-Soundtracks. Auch bei Cortini tauchen sie auf, die momentan so populären John Carpenter-Anmutungen. Schade nur, dass er seine selbst entworfenen elektronischen Musikmaschinen zu Hause gelassen hat und scheinbar nur mit einem riesigen Kaoss Pad bewaffnet war.

Wounded Kings

Das Black Metal-Genre mit seinem repetitiven Prinzip dient der abstrakten Elektronik ja schon seit einiger Zeit als Gefäß zur Evolution und umgekehrt. Modernistischer Neo-Black-Metal wie ihn etwa Liturgy formulieren ist eigentlich schon fixer Bestandteil des Donaufestivals. Nun sitzt das Projekt des Amerikaners Otrebor aber zwischen allen Stühlen. Früher war Otrebor mit Black Metal-Bands wie etwa Ophidian Forest unterwegs. Eine klassische Angelegenheit, die nur sehr bedingt durch Diskurs-Verhalten aufgefallen ist. Mit seiner neuen Band Botanist wendet sich Otrebor nun aber dem Hackbrett zu. Auf elektronischen Hackbrettern schlägt Otrebor mit seiner Band wie von allen Guten Geistern verlassen ein, aber immer mit dem Bewusstsein für die Notwendigkeit der Zurückhaltung, wenn das Lied es verlangt.

Botanist

David Visnjic

Die Vocals sind im genretypisch Stil, und die Band ist maskiert. Allerdings stehen in den Texten nicht Nebelhexen und Weltkriege im Mittelpunkt, sondern die atemberaubende Welt der Botanik. Und noch dazu fallen alle Bandmitglieder durch einen sehr knabenhaften Habitus auf. Mir ist bewusst: zu Beginn des Artikels plaudere ich irgendetwas über Queerness und jetzt begebe ich mich auf dünnes Eis, weil ich die jungenhafte Figur der Musikgruppe Botanist thematisiere. Aber der Bruch, der sich zwischen dieser aggressiven und sehr innovativen Musik und der linkischen, teenagerhaften Darbietung auftut, ist kolossal. Und dann noch sich über Pflanzen ereifern.

Todes-Rave und mildes Rave

"Ich helfe mir aus der Bredouille heraus, dass ich als elektronischer Musiker unglaublich statisch auf der Bühne bin, indem ich meine Musik visualisiere. Ich performe meinen Sound auf einer grafischen Ebene"

Alva Noto

David Visnjic

Der Berliner Musiker und bildende Künstler Carsten Nicolai alias Alva Noto ist sich des Live-Handicaps elektronischer Musik-KünstlerInnen nüchtern bewusst. Er löst das Problem, das auch der vorhin erwähnte Alessandro Cortini hatte, indem er mit einem Grafikprogramm arbeitet, welches seinen Sound durch allerlei bunte Skalen und Diagramme in Echtzeit grafisch darstellt. Man kennt das auch von Kraftwerk, funktioniert einwandfrei. Seit zwanzig Jahren ist Alva Noto nun schon in der elektronisch-musikalischen Forschungsklasse unterwegs. Einen Popularitätsschub verdankt er einer großartigen Platte mit Blixa Bargeld, die die beiden vor einigen Jahren veröffentlichten. Sein Donaufestival-Auftritt war dann zwar mit allerlei modischen musikalischen Ahnungen angereichert, aber in seiner Grundessenz ein sehr gutes Industrial-Noise-Set in traditionalistischer Weise.

Edgy Disco

Your Festival Radio

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Und dann endete der Todes-Rave der Knaben. Der erste Tag des zweiten Donaufestival-Wochenendes wurde vom Label Noise Manifesto beschlossen. Gegründet von der Britin Paula Temple aka Jaguar Woman. "Im dazugehörigen Manifest schreibt Temple von Kampfansagen gegen eine Leistungsgesellschaft, die nicht allen die gleichen Möglichkeiten bietet", so steht es sehr schön geschrieben in der begleitenden offiziellen Broschüre zum Donaufestival.

Noise Manifesto

David Visnjic

In Krems wurde Noise Manifesto live vertreten "durch die Berliner House-Freestylerin rRoxymore, das Allround-Talent Jam Rostron alias Aquarian Jugs, Oni Ayhun, der als Olof Dreijer eine Hälfte der Pop-Visionäre The Knife bildete, die queer-feministische Pornoregisseurin Marit Östberg und die italienische Videokünstlerin Tania Gualeni" (Zitat Donaufestival). Inhaltlich manifestierte sich dieses Kollektiv dann in einem leicht noisigem House-Laptop-Set. Der/die Todes-Rave des Alva Noto löste sich also dann in einer edgy Disco auf. Vielen Dank.