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Esther Csapo

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21. 4. 2015 - 16:07

"Die Prioritäten liegen dort, wo die Flucht beginnt"

Ruth Schöffl, Sprecherin des UNHCR Österreich, zu Gast im FM4 Studio.

Die Diskussion um die Flüchtlings-Tragödien im Mittelmeer ist nach dem Tod von über 1600 Flüchtlingen alleine in den ersten Monaten dieses Jahres voll entbrannt. Die Außen- und Innenminister der EU verabschiedeten am Montag auf einem extra einberufenen Krisentreffen einen Zehnpunkteplan, um neue Tragödien im Mittelmeer zu verhindern.

Wir haben Ruth Schöffl, die Sprecherin von UNHCR Österreich, zu diesen Plänen und die Einschätzung des UNHCR ins Studio geladen.

Esther Csapo: Gestern war Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Gast in der ZiB2, und hat dort gemeint, für sie wäre ein Asylzentrum in Nordafrika eine mögliche Lösung für das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer. Jetzt ist hier bei uns zu Gast Ruth Schöffl, Vertreterin des UNHCR Österreich. Wie sehen Sie das? Ist das realistisch, was die Innenministerin da fordert?

Ruth Schöffl: Aus unserer Sicht ist es im Moment einmal ganz vordringlich, die Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Und zwar nicht übermorgen, sondern heute. Und eigentlich hätte man das schon die ganzen letzten Monate viel stärker tun müssen. Dann hätten nicht soviele Menschen sterben müssen. Was man dann in einem zweiten Schritt, und dann in einem dritten, vierten, fünften tut, da muss man für alle Vorschläge offen sein. Für uns liegen aber die Prioritäten eher dort, wo die Menschen anfangen zu flüchten. Und das ist nicht in Nordafrika, sondern in den Herkunftsregionen. Alleine dieser Weg, zum Beispiel aus Jordanien, aus dem Libanon, aus dem Sudan,... bis zu den Küsten Nordafrikas, ist ja schon wahnsinnig gefährlich. Da sterben unglaublich viele Menschen, von denen wir gar nichts wissen. Dort besser mit der Hilfe anzusetzen, wäre unserer Ansicht nach das Gebot der Stunde.

Sie sprechen da jetzt aber nicht von einem Asylzentrum in Jordanien zum Beispiel?

Im Moment ist es so, dass es sehr, sehr viele Flüchtlingslager in diesen Regionen gibt, in denen UNHCR die Flüchtlinge auch bereits registriert hat, wo viele Menschen jahrelang in diesen Lagern, die wir und andere Organisationen betreiben, festsitzen. Und dort geht es ihnen - auch aufgrund der oft geringen Hilfe die wir anbieten können - auch nicht gut. Es fehlen ihnen dort völlig die Perspektiven. Wir kennen diese Leute, wir haben sie dort registriert. Ihnen dort vor Ort zu helfen und dort Möglichkeiten zu geben, legal nach Europa zu kommen, wäre sofort möglich.

Migrant boat

EPA/ITALIAN NAVY

Ich komme nochmal auf das zurück, was die Innenministerin gesagt hat: Sie hat gemeint, Europa kann dieses Problem nicht alleine bewältigen, man braucht Nordafrika. Die afrikanischen Länder müssen da mitanpacken. Ist es nicht wahnsinnig schwierig, wenn es schon in Österreich so lange dauert ein Asylzentrum aufzubauen, das von einem Land wie Libyen, wo es gar keine Infrastruktur für so etwas gibt, zu verlangen.

Also ich kann sagen, wie die Lage dort aussieht, wo wir tätig sind: In Libyen ist es aus unserer Sicht im Moment nicht möglich, wirklich gut für Flüchtlinge tätig zu werden. Das Land versinkt leider im Moment im Chaos. Den Einheimischen selbst geht es sehr schlecht, die Flüchtlinge, die von dort abfahren, werden teilweise auf die Schiffe geprügelt, weil sie es sich in letzter Minute anders überlegen. Also in Libyen ist das im Moment einfach überhaupt keine Option.

In den anderen nordafrikanischen Ländern sind wir wohl tätig, aber die haben im Moment noch sehr schwache Asylsysteme. Ich denke da jetzt zum Beispiel an Tunesien. Diese Systeme zu stärken und dort Kapazitäten zu schaffen, ist grundsätzlich eine gute Idee, aber das wird nicht morgen und nicht übermorgen passieren und auch nicht in den nächsten Monaten. Das ist definitiv Zukunftsmusik. Dennoch ist es wichtig, diese Länder auch zu stärken. Aber ich sehe das jetzt weniger in Zentren, die man dort unabhängig von diesen Ländern aufbaut, sondern darin, die Asylsysteme, die es ja auch in diesen Ländern geben sollte, aufzubauen und gemeinsam mit den Regierungen dort zu arbeiten.

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Wäre das überhaupt eine Aufgabe, die das UNHCR übernehmen könnte? Oder ist das ein Abputzen der EU?

Wir sind der Meinung, dass die EU auf jeden Fall hier eine Verantwortung wahrnehmen muss. Und zwar jetzt, heute, und mit der Rettung der Menschen aus dem Mittelmeer. Und es wird auch nicht gehen, dass man Flüchtlinge aus dem Meer fischt und dann wieder zurück nach Nordafrika bringt, da sind wir wirklich ganz stark dagegen.

Wichtig ist aber auch, diese nordafrikanischen Länder zu stärken, weil die ja auch mit diesen Flüchtlingsströmen umgehen müssen. Und so wir wir im Moment als Organisation aufgestellt sind, braucht es da auch für uns Unterstützung. Es wird auch nicht möglich sein, dass die EU ihre Verantwortung einfach an diese Länder auslagert.

Es gab gestern in Luxemburg ein Treffen der EU-Außenminister und EU-Innenminister zum Thema. Dort hat man sich darauf geeinigt, Geld und Schiffe zur Rettung der Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu verdoppeln. Was halten Sie von dieser Maßnahme?

Grundsätzlich ist natürlich jeder Euro der mehr investiert wird ein lebensrettender Euro. Gleichzeitig sind wir aber auch enttäuscht. Wenn wir uns die Zahlen anschauen: Die Mission die es voriges Jahr gab, "Mare Nostrum", hat 9 Millionen Euro im Monat gekostet. Die Mission die es jetzt gibt, "Triton", das ist die aktuelle Frontex-Aktion, die eben nicht so weitreichend war, kostet 3 Millionen Euro. Wenn man jetzt das Schul-Ein-mal-Eins auspackt und 3x2 rechnet, dann kommt man auf 6 Millionen. Voriges Jahr war man eben bei 9, und selbst da sind Menschen gestorben. Wir glauben, da muss doch noch einiges mehr passieren, um daraus wirklich eine tragfähige Suchaktion zu machen.

Wieviel Geld müsste denn die EU in die Hand nehmen? Welche Maßnahmen wären denn ganz akut notwendig, um da nachhaltig etwas zu verändern?

Aus Sicht des UNHCR braucht es da ganz viele einzelne Maßnahmen. Und das ist wahrscheinlich auch genau das Schwierige für die Staaten, sich darauf zu einigen. Wenn man die Menschen retten will, dann braucht es das aber. Es braucht Maßnahmen, um die Menschen, die schon weggegangen sind aus dem Meer zu fischen, so schlimm das auch klingt. Gleichzeitig braucht es aber - wie schon gesagt - auch Maßnahmen in den Ländern, in denen die Flüchtlinge weggehen. Dort braucht es mehr Perspektiven und von dort braucht es die legalen Wege um nach Europa zu kommen.

Es braucht die Möglichkeit, Menschen die jetzt schon in diesen Lagern sind, auf legalem Weg nach Europa zu bringen, zum Beispiel ganz gefährdete Menschen, Menschen mit medizinischen Bedürfnissen. Aber auch Familienzusammenführung. Ganz viele Menschen auf der Flucht haben Familienmitglieder in Europa und versuchen zu denen zu gelangen. Wenn man die vorher identifiziert und sagt, du kannst legal zu deinen Familienmitgliedern reisen, dann würden sie diese gefährliche Reise nicht antreten. Da gibt es also viele Möglichkeiten und Maßnahmen und alle zusammen könnten Überfahrten verhindern. Aber man darf natürlich auch nicht blauäugig sein: Es werden nie alle Überfahrten verhindert werden können. Diese Seerettung und die Wachsamkeit, dass man keinen im Mittelmeer ertrinken lässt, die wird es immer brauchen.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière fürchtet ja, dass man mit diesem großangelegten Rettungssystem jetzt den Schleppern in die Hände spielen würde. Wie sehen Sie das?

Es gab immer wieder Aussagen von ganz unterschiedlichen Seiten, dass man diese Angst hat. Es ist immer eine schwierige Sache, das zu beantworten. Wenn wir nur auf die nackten Zahlen schauen und nicht spekulieren, dann haben wir heuer, wo es eine schlechte Rettungsaktion gab, weit mehr Überfahrten als im vergangenen Jahr, wo es eine gute Suchaktion gab und wo sehr viele Menschen gerettet werden konnten. Die nackten Zahlen sagen uns also eigentlich etwas anderes.

Und wir als UNHCR haben auch die Erfahrung, dass Schlepper zwar mächtig sein können, aber sie können nie entscheiden, ob Menschen flüchten. Die Flüchtlingsströme an sich ergeben sich nicht aufgrund von Schleppern. Die Schlepper betreiben zwar kriminelle Machenschaften, aber sie sind nicht die Wurzel des Problems. Die Wurzel des Problems liegt woanders, und zwar darin, dass die Menschen nicht legal kommen können. Solange sie nicht legal kommen können, aber auch keine Perspektiven bekommen, wir es immer irgendjemanden geben, der das ausnutzt.