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23. 2. 2015 - 16:35

What Crisis?

Wieso geht es Griechenland so schlecht? Ein FM4-Interview mit Folgen.

Heute wird die griechische Regierung den Euro-Partnern ihre Reformvorschläge unterbreiten. Dann entscheidet sich, ob weitere EU-Kredite für das finanziell angeschlagene Land freigegeben werden.

Am Freitag haben wir uns mit dem Wirtschaftspolitik-Experten Dr. Stefan Ederer vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO unterhalten. "Bestenfalls sozialdemokratisch" nennt er die Wirtschaftskonzepte der griechischen SYRIZA. Wieso Griechenland seit Ausbruch der Krise und den von der EU-Troika im Gegenzug für Kredite auferlegten Sparprogrammen immer weiter in die roten Zahlen gerutscht ist, begründet er so:

"Das Programm hat ja auch nach seinen eigenen Maßstäben nicht funktioniert, weil die Schuldenquote ja weiter gestiegen ist. Das liegt daran, dass wenn man in so einer Situation so stark spart, die Wirtschaft zurückgeht, und die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erst recht ansteigen."

Das gesamte Interview lässt sich hier nachlesen.

Statue eines griechischen Kämpfers mit Schild

Günter Hack

Inzwischen hat Dr. Franz Schellhorn vom Wirtschaftspolitischen Thinktank Agenda Austria zum Interview auf fm4.ORF.at Stellung bezogen:

Franz Schellhorn

Agenda Austria

Dr. Franz Schellhorn

"Mit Interesse habe ich am Freitag das Interview mit dem WIFO-Experten gelesen. Stimmt, die Schulden sind in GR gestiegen. Aber die Schulden steigen überall, wo Reformen durchgeführt werden. Das ist in jedem Betrieb und auch in jedem Land so. Bei Griechenland allerdings ist es etwas anders. Da sind die Schulden wegen der Nicht-Reformen gestiegen. Respektive deshalb, weil die Kosten der Nicht-Reform noch höher waren als jene der zaghaften Reformen. Griechenlands Regierungen haben nämlich alle strukturellen Reformen ausgelassen. Sie haben begonnen, das Verausgaben des Landes teilweise zurückzuführen (Erhöhung der Staatsausgaben um 70 Prozent zwischen 2001 und 2009, Verdoppelung des Personalaufwands im öffentlichen Dienst im selben Zeitraum) - aber sie haben die strukturellen Reformen nur versprochen, teilweise sogar beschlossen, aber nicht exekutiert. Um ihre Klientelpolitik weiter voranzutreiben. Nun wird selbst die Korrektur der überhöhten Ausgaben wieder revidiert. Deshalb wird den Griechen verwehrt bleiben, was den Schweden, Schweizern und allen anderen Reformländern nach harten Einsparungen gelungen ist: Die Schulden zu reduzieren und auf den Wachstumskurs zurückzukehren."

Statue mit Pfeil in der Brust

Günter Hack

Stefan Ederer

WIFO

Dr. Stefan Ederer

Der Anmerkung von Dr. Franz Schellhorn erwidert Dr. Stefan Ederer:

"Die Schuldenquote Griechenlands ist vor allem nach 2008 (nach Ausbrechen der Krise) gestiegen. Vor der Krise (von 2000 bis 2007) war der Anstieg vergleichsweise gering. Grund dafür waren nicht die mangelhaft umgesetzten Maßnahmen, sondern dass aufgrund der massiven Kürzungen der öffentlichen Ausgaben die Wirtschaftsleistung um 25% zurückgegangen ist. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind die Schulden daher stark angestiegen.

Die Einnahmenquote ist allerdings bereits vor der Krise zurückgegangen. Sie ist außerdem im EU-Vergleich deutlich unterdurchschnittlich. Griechenland hatte weniger ein Ausgaben- als vielmehr ein Einnahmenproblem. Sinnvolle Strukturreformen würden daher an einer Stärkung der Einnahmenbasis ansetzen (z.B. den Steuervollzug verbessern). Die in den Programmen vorgesehenen (und größtenteils umgesetzten) Kürzungen der Sozialleistungen und der Beschäftigung im öffentlichen Dienst führen dagegen weder zu höherem Wachstum noch zu höheren Staatseinnahmen."

Weiter geht's...

Auf die Reaktion von Stefan Ederer erwidert Franz Schellhorn folgendes:

"Es ist doch gar nicht so schwer, Herr Ederer: Der griechische Staat hat die Zeit nach dem Euro-Beitritt dazu genutzt, einmal ordentlich zu konsumieren. Die Staatsausgaben wurden in nur acht Jahren um 70 Prozent erhöht, die Personalausgaben im öffentlichen Dienst verdoppelt. Aus Ihrer Sicht ist die Korrektur dieses unhaltbaren Ausgabenrausches ein Kaputtsparen. In meinen Augen ist es die Korrektur eines Irrwegs, weil
über Jahre hinweg Geld verteilt wurde, das nie vorhanden war. Oder wie der frühere griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis, ein Sozialist, im Jahr 2012 treffend so analysierte: 'Während wir mit der
einen Hand das Geld der EU nahmen, haben wir nicht in neue und wettbewerbsfähige Technologien investiert. Alles ging in den Konsum. Das Ergebnis war, dass alle, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen
und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ. Das ist das eigentliche Desaster dieses Landes'. Die Kürzungen von Sozialleistungen führen zu keinem Wachstum, da hat Herr Ederer natürlich
Recht. Dass heute so viele Griechen keine Sozialversicherung haben, ist übrigens nicht Schuld der Troika. Sondern der griechischen Regierungen,
die lieber Sozialleistungen kürzt als die Militärausgaben und die öffentliche Verwaltung. Jedenfalls wird das Wachstum mit dem Aufstocken des öffentlichen Dienstes und mit der Verstaatlichung weiterer Betriebe nicht zurückkehren. Auch wenn das WIFO das so sehen mag."

Und nochmal...

... Stefan Ederer:

"Man kann es sich natürlich auch einfach machen, Herr Schellhorn, und makroökonomische Zusammenhänge ignorieren: Die Korrektur des Irrwegs, von der Sie sprechen, besteht darin, dass die griechische Wirtschaft durch das mit der Troika vereinbarte Maßnahmenpaket noch zusätzlich geschwächt wurde, anstatt sie zu stärken und so die Basis für nachhaltiges Wachstum zu schaffen. Man kann natürlich auch die dadurch verursachte humanitäre Krise ausblenden und der Meinung sein, dass die Wirtschaft nur weit genug schrumpfen muss, um wieder wachsen zu können. Das war übrigens auch in den 1930er-Jahren mehrere Jahre lang das Rezept, bis man endlich begriffen hat, dass eine sich in einer Depression befindende Wirtschaft nur wenig Tendenz zeigt, sich von selbst zu erholen. Es hilft auch wenig, dem WIFO zu unterstellen, für die Verstaatlichung "weiterer" Betriebe" zu sein. Meines Wissens wurden in den letzten Wochen keine Betriebe verstaatlicht sondern vielmehr angekündigt, den Ausverkauf von Staatseigentum zu Spottpreisen, wie er in den letzten Jahren stattgefunden hat, zu stoppen."

Wie wird der Schuldenpoker um Athen ausgehen? Erste Stellungnahmen aus griechischen Regierungskreisen stellen Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Korruption, Zigarettenschmuggel in Aussicht. Weitere Einnahmen sollen aus der Besteuerung reicher Griechen und Oligarchen lukriert werden, der öffentliche Dienst soll effektiver werden. Die jeweils aktuellsten Infos dazu liefert ORF.at.