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20. 2. 2015 - 15:02

"Bestenfalls sozialdemokratisch"

Heute tagen erneut die Finanzminister der Euroländer. Was dabei auf dem Spiel steht, analysiert WIFO-Experte Stefan Ederer im Interview.

Seit Ende Jänner hat Griechenland eine neue Regierung. Die linksgerichtete SYRIZA hat im Wahlkampf versprochen, das EU-Sparprogramm zu beenden und Griechenlands Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Erste Treffen mit den Finanzministern der EU-Partnern sind ergebnislos verlaufen, die letzte Sitzung am Dienstag hat im Streit geendet. Jetzt gibt es einen neuen Vorschlag Griechenlands, den der einflussreiche Europartner Deutschland für inakzeptabel hält. Im Interview mit Robert Zikmund und Johanna Jaufer erklärt Stefan Ederer, worum es für die Europäerinnen und Europäer bei diesen Verhandlungen geht - und was auf dem Spiel steht.

FM4: Polemisch gefragt: Weil das gerade so heftig diskutiert wird: Ist SYRIZA eine marxistische Partei und das, was sie da machen, marxistisches Programm?

Stefan Ederer

WIFO

Dr. Stefan Ederer ist am Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO im Bereich Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik tätig.

Stefan Ederer: SYRIZA hat wahrscheinlich marxistische oder auch kommunistische Wurzeln, aber das Programm, das sie jetzt vorschlagen und unmittelbar umsetzen wollen, ist bestenfalls ein sozialdemokratisches Programm.

Warum dann diese große Gegenwehr, teilweise auch von Sozialdemokratien in Europa?

Das ist eine politische Frage. Es hängt natürlich damit zusammen, dass die Sozialdemokratie in Europa, auch wenn sie an der Regierung war, die Sparpolitik immer mitgetragen hat und es (für SYRIZA) jetzt gegen diese Politik geht. Das Programm, das SYRIZA jetzt vertritt, ist eigentlich eines, das die Sozialdemokratie vor zwanzig Jahren mit fliegenden Fahnen unterstützt hätte.

Kann man sagen, was Tsipras und Varoufakis jetzt fordern, ist nicht viel anders als das, was Bruno Kreisky wollte?

Genauso ist es.

Standpunkt der Befürworter des Sparprogramms ist, "Verträge sind einzuhalten", man könne das nicht alles umwerfen, nur weil eine neue Regierung am Ruder ist. Dem antwortet die Gegenseite, dass ja schon das Sparprogramm selbst einen Bruch der EU-Verträge bedeutet hätte. Können Sie beide Standpunkte kurz erläutern - woraus das Sparprogramm besteht, und warum seine Gegner es nicht anerkennen wollen?

Das Spar- oder eigentlich Kürzungsprogramm hat in erster Linie darin bestanden, den öffentlichen Haushalt zu sanieren und sehr viele öffentliche Beschäftigte abzubauen, öffentliche Leistungen zu kürzen, Pensionen zu kürzen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren etc. Das sind alles Dinge, die keine Grundlage dafür gelegt haben, dass die Wirtschaft wieder wächst, sondern die zu einer großen humanitären Krise geführt haben. Die Wirtschaft ist in Griechenland um ein Viertel eingebrochen, die Arbeitslosigkeit ist enorm gestiegen und viele Haushalte haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und zur Energieversorgung - es ist eine richtige humanitäre Krise ausgebrochen. Es ist klar, dass die Bevölkerung das nicht mehr mittragen will und die SYRIZA-Regierung ist ja mit dem Versprechen angetreten, dieses Programm zu stoppen.

Kann man das für Laien übersetzt so formulieren, "sparen vielleicht, aber das ist der falsche Platz"?

Genau. Das Programm hat ja auch nach seinen eigenen Maßstäben nicht funktioniert, weil die Schuldenquote ja weiter gestiegen ist. Das liegt daran, dass wenn man in so einer Situation so stark spart, die Wirtschaft zurückgeht, und die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erst recht ansteigen.

Als Gegenargument kommt oft, "man kann Wohlstand nicht mit immer neuen Schulden erzeugen"...

Das stimmt grundsätzlich. In einer Situation aber, wo die Wirtschaft ohnehin in einer Krise ist und einbricht, kann man nicht noch zusätzlich sparen. Die Schulden ergeben sich automatisch: wenn die Steuereinnahmen ausfallen und die Ausgaben höher sind, dann steigen auch in einer Wirtschaftskrise die Schulden, auch wenn man eigentlich sparen will. Sparen ist ein Faktor, der die Wirtschaft immer mitbeeinflusst und daher das Ergebnis ein anderes ist, als man es sich eigentlich erwartet hat.

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat in Interviews gesagt, Griechenland sei schon bankrott, weitere Kredite eher Konkursverzögerung und Geldverschwendung von Seiten der Deutschen. Das hat er mehr oder weniger auch über Italien gesagt. Stimmt das?

In dieser Eindeutigkeit stimmt das, glaube ich, nicht. Es hängt immer davon ab, über welche Zeiträume diese Schulden dann bedient werden und wie hoch die Zinsen dafür sind und ob diese Schulden dann wirklich jemals zurückgezahlt werden müssen. Man kann ja, wenn die Wirtschaft über einen längeren Zeitraum ausreichend wächst, aus diesen Schulden auch sozusagen "herauswachsen".

Zur heutigen Situation, dem "Showdown" beim Treffen der Euro-Finanzminister am Nachmittag: Die einen sagen, da ginge es nur um Formulierungen. Die anderen, dass es auch darum geht, ob Griechenland das Sparprogramm in den nächsten Monaten zu den alten oder zu neuen Bedingungen weitermacht. Was sind denn die kritischen Punkte, an denen sich das entscheidet?

Die Position zumindest der deutschen Bundesregierung und des dortigen Finanzministers Wolfgang Schäuble ist, dass das Sparprogramm wie 2012 vereinbart nach Punkt und Beistrich umgesetzt werden soll. Griechenland will das nicht machen - und kann das auch gar nicht machen, weil sie den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, das nicht zu tun - sind aber von ihrer ursprünglichen Situation ohnehin schon sehr weit abgerückt. Sie sind auch schon bereit, mit der Troika, die jetzt eben anders genannt wird, zusammenzuarbeiten - also Maßnahmen unter Aufsicht der EU zu treffen -, keine einseitigen Maßnahmen zu treffen, die die finanzielle Stabilität gefährden. Ich denke, dass der Kompromiss in Sicht ist. Ich glaube, Finanzminister Schäuble hat sich mit seiner harten Position, die er gestern verkündet hat, ein bisschen isoliert, und ich denke, dass die anderen Finanzminister in der Eurogruppe eher geneigt sind, dem zuzustimmen, was Griechenland jetzt vorschlägt.

Zu diesem Brief der Griechen: Da gehen die Meinungen auseinander. Gestern hat auch der bayrische Finanzminister Söder wieder die deutsche Position unterstrichen, andere (durchaus auch keine linken) Stimmen in internationalen Medien bezeichnen den Vorschlag der Griechen dagegen als vernünftig. Was steht da drinnen und ist es tatsächlich vernünftig?

Es ist aus griechischer Sicht schon ein sehr großer Schritt, denn eigentlich wäre für Griechenland besser, das Sparprogramm nicht fortzusetzen, sondern zuerst zu schauen, dass die humanitäre Krise, die sich gezeigt hat, gemildert wird. Griechenland hat sich aber jetzt dazu verpflichtet, das Sparprogramm anzuerkennen und um sechs Monate zu verlängern und während dieser Zeit zu versuchen, die Flexibilität des Programms zu nutzen, um die Vorgaben ein bisschen abzumildern.

Sie haben gesagt, Deutschland isoliert sich zunehmend mit dieser harten Position. Was sind denn die verbliebenen Verbündeten von Deutschland bzw. wie steht es um die USA, die sich jetzt ja auch eingemischt haben - was wollen die?

Ich fürchte, die USA spielen in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle, weil sich die Euro-Finanzminister nicht dreinreden lassen werden. Ich glaube aber schon, dass die Front, die sich Anfang der Woche noch gezeigt hatte, wo alle 17 Finanzminister gegen Griechenland waren, durch das Entgegenkommen Griechenlands aufgeweicht wurde und dass eher die deutsche Position ein bisschen isoliert ist.

Was wäre dann das schlechteste oder beste, was heute herauskommen kann - und wird heute etwas herauskommen?

Ich denke schon, dass heute grundsätzliche Entscheidungen darüber getroffen werden, in welche Richtung es geht. Es kann sein, dass noch an ein, zwei Formulierungen gefeilt wird und der Prozess Anfang nächster Woche abgeschlossen wird. Ich denke nicht, dass die Eurogruppe einfach beschließen wird, "dieses Angebot ist unzureichend" und eine weitere Nachforderung an Griechenland stellt. Die Weichen werden sicher heute gestellt, was für die wirtschaftliche Stabilität sicher eine gute Lösung ist. Ob das für Griechenland dann schon das richtige Programm ist, steht auf einem anderen Blatt.

Man fürchtet sich immer vor dem Reagieren der sogenannten "Märkte" - gab es diesbezüglich in den letzten Tagen Zeichen, dass es bergauf oder bergab geht?

Aus meiner Sicht nicht. Die Märkte werden immer ein bisschen überbewertet. Märkte sind sehr volatil und gehen mal aufwärts mal abwärts. Das viel größere Problem ist aus meiner Sicht, dass anscheinend doch ein Haufen Sparerinnen und Sparer ihre Anlagen aus Griechenland abziehen und ins Ausland schaffen und das das griechische Bankensystem ein bisschen unter Druck setzt.

Was steht bei diesen Verhandlungen für die griechischen Bürgerinnen und Bürger heute auf dem Spiel?

Es geht um sehr viel. Ihre ganze Zukunft steht auf dem Spiel. Die humanitäre Krise ist ja groß und davon sind sehr viele Haushalte und Menschen betroffen. Für sie geht es darum, wie weit finanzieller Spielraum da ist, damit die Probleme, die sich stellen, abgemildert werden können.

Wenn nichts herauskommt, sich die Finanzminister wieder zerstritten trennen, kann dann wirklich sein, dass am Wochenende kein Geld mehr aus dem Bankomat kommt? Welche Rolle spielt dabei die Europäische Zentralbank?

So schnell wird das nicht gehen, aber die EZB wird irgendwann vor der Entscheidung stehen, ob sie diese Notfall-Liquidität, die momentan über die griechische Nationalbank läuft, stoppt. Sollte das der Fall sein, ist das ein praktischer Rauswurf aus der Eurozone.

Noch 2010 war Griechenland vor allem bei Banken, Versicherungen und Fonds verschuldet. Heute sind der öffentliche Sektor, Eurostaaten und die Troika-Insitutionen die größten Geldgeber. Wie kann man diese Verschiebung erklären?

Das ist in erster Linie das Ergebnis des Programms, das 2012 beschlossen wurde, wobei private Anleger größtenteils herausgekauft wurden. Das heißt, man hat ihnen das Geld mit einem gewissen Abschlag zurückgezahlt und dafür Kredite von den europäischen Institutionen bekommen. Das ist der eine Faktor. Der andere Faktor ist, dass die Europäische Zentralbank auch einige Anleihen am Finanzmarkt aufgekauft hat.

Schulden griechenlands

nachdenkseiten.de

Wenn es zu einer Lösung kommt, man Griechenland entgegenkommt, wie werden die anderen Krisenländer wie Spanien etwa regieren? Sind die eher solidarisch oder werden die eher sagen, "okay, wir wollen jetzt auch eine Änderung der Sparauflagen".

In Wirklichkeit hat nur noch Griechenland wirklich ein Programm. Allerdings gibt es natürlich Sparziele für alle Länder in der Eurozone - das könnte schon zum Anlass genommen werden, dass die etwas gelockert werden. Die Regierungen, die momentan in Portugal und Spanien an der Macht sind, haben aber die Hilfs- und Kürzungsprogramme mitgetragen und werden jetzt wahrscheinlich nicht davon abweichen wollen und werden auch nicht sagen wollen, dass diese Programme schlecht waren.

Paul Krugman hat vorgerechnet, dass dieses Sparprogramm in den letzten Jahren so große wirtschaftliche Schäden angerichtet hat, wie sie Deutschland im ersten Weltkrieg erfahren hat. Übertreibt er?

Nein - wenn man allein die Wirtschaftsleistung anschaut, dann ergibt sich ein sehr ähnliches Bild. Der Wirtschaftseinbruch um 25% ist in etwa die selbe Größenordnung.

Wie lässt sich vermeiden, dass hier Nationalitäten gegeneinander ausgespielt werden? Man hat oft den Eindruck, es ginge um "Deutsche gegen Griechen", die einen sind "faul", die anderen "fleißig", aber das ist ja zu einfach gedacht. Ist nicht auch ein Stück weit gefährlich, was hier passiert?

Das ist sehr gefährlich und hängt ein bisschen damit zusammen, wie Politik betrieben wird und wie die Politik in Deutschland und Österreich immer versucht hat, Griechenland als "schwarzes Schaf" und "faul" hinzustellen, und nicht erkannt oder in der Öffentlichkeit zu wenig thematisiert hat, dass alle Länder der Eurozone in einem Boot sitzen und gemeinsam an einer Lösung feilen müssen.

Warum spielt Deutschland überhaupt so eine große Rolle in dieser Kontroverse? Welche wirtschaftlichen Zusammenhänge gab und gibt es zwischen Deutschland vor und jetzt in der Krise?

In den Verhandlungen spielt Deutschland deshalb eine große Rolle, weil sie natürlich als größte Volkswirtschaft der Eurozone auch der größte politische Einfluss sind. Wirtschaftlich haben sich zwischen Deutschland und den südeuropäischen Ländern Ungleichgewichte aufgebaut, die sich unmöglich in einzelnen Ländern lösen lassen - die man nur gemeinsam, im Verbund lösen kann. Es gab eine Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten, und wenn Deutschland hier nicht auch seine eigene Politik ändert, sondern nur verlangt, dass die südeuropäischen Länder ihre Politik ändern, dann wird das nicht funktionieren. Die Wettbewerbsfähigkeit muss sich innerhalb Europas wieder angleichen. Das geht nur, wenn beide Seiten etwas tun.

Wobei die Deutschen dann sagen, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, haben sie wieder Nachteile gegenüber China und außereuropäischen Konkurrenten...

Das stimmt nicht, weil es ja den Wechselkurs gibt. Der Eurowechselkurs pendelt sich immer entsprechend dem Durchschnitt des Euroraums ein. Das heißt: In Wirklichkeit ist der Euro momentan zu schwach für Deutschland, weil eben auch schwächere Länder im Euroraum sind, und zu stark für die südeuropäischen Länder, weil sie gemeinsam mit Deutschland im Euro-Raum sind. Das heißt, Deutschland fährt hier Trittbrett und verbessert seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China, weil es andere Länder im Euroraum gibt, die schwächer sind.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass wir bis zum heutigen Abend eine Einigung sehen?

Ich glaube, es wird keine endgültige Einigung geben, aber man wird wissen, in welche Richtung es geht.

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