Erstellt am: 12. 2. 2015 - 17:18 Uhr
Diskussion um Lawinenwarnstufen
Abseits von Metern und Sekunden
Ein wöchentlicher Überblick auf FM4 über sportliche Entwicklungen und anstehende Veranstaltungen
Die Diskussion um Lawinenabgänge und deren Opfer wird uns diesen Winter nicht verlassen. Der schlechte Schneedeckenaufbau sorgt für überdurchschnittlich viele Lawinentote. Die meisten tödlichen Unfälle passieren bei Lawinenwarnstufe 3 ("erhebliche Lawinengefahr"), nicht nur heuer, sondern auch in der langjährigen Statistik.
Die Lawinenwarnstufe 3 ist heimtückisch. Oft sind die Verhältnisse geradezu einladend, mit Neuschnee und schönem Wetter. Die Gefahrenzeichen im Schnee sind aber oft nicht besonders deutlich ausgeprägt und nur für ExpertInnen erkennbar. Dazu komme der Trugschluss den "3er" im Lawinenlagebericht mit einem "3er" in unserem Schulnotensystem zu vergleichen, also "nicht so ganz gut, nicht so ganz schlecht", sagt Rudi Mair, der Leiter des Tiroler Lawinenwarndienstes. Für ihn ist klar, die Stufe 3 wird oft unterschätzt: "Die Stufe 3 ist eine Stufe, da brauch' ich einfach lawinenkundliches Wissen, d.h. jemand, der vom Schnee nur weiß: Schnee ist weiß, Schnee ist kalt und auf Schnee kann ich Schi fahren, der ist bei Stufe 3 eindeutig überfordert. Der Rat ist einfach: Wer kein lawinenkundliches Wissen hat, der darf einfach nur bei Stufe 1 oder 2 abseits der Pisten unterwegs sein."
APA/BERGRETTUNG/BEZIRKSLEITER STV. CHRISTIAN BERGER
Lawinenwarnstufen umbenennen?
Um die Gefährlichkeit der Lawinenwarnstufe 3 klarer zu machen, geht von Rudi Mair und dem Tiroler Lawinenwarndienst jetzt eine Initiative aus, diese umzubenennen. Sie soll mehr Warncharakter bekommen. Statt als "erhebliche Lawinengefahr", soll sie zukünftig mit "große Lawinengefahr" klassifiziert werden. Stufe 4 würde dann zu "sehr großer" und Stufe 5 zu "extremer Lawinengefahr". Doch dieser Vorschlag kommt nicht überall gut an.
Die Umbenennung allein würde nicht viel bringen, meint etwa Michael Larcher, Bergführer, Leiter der Abteilung Bergsport beim Alpenverein und Gerichtssachverständiger für Lawinenunfälle. Wenn, dann sollte man die Skala überhaupt aufstocken auf sechs Warnstufen und den jetzigen "3er" in zwei Stufen aufspalten. Man spricht ja heute schon teilweise von einem "grenzwertigen 3er", das wäre dann etwa der neue "4er". Aber eigentlich findet Larcher, dass sich das System mit den 5-Stufen bewährt hat. Die Europäische Gefahrenskala für Lawinen ist immerhin schon seit 1993 gültig.
Bewusstsein bilden
Statt an der Skala oder der Benennung der Lawinenwarnstufen etwas zu verändern, sollte man noch mehr als bisher auf Bewusstseinsbildung und Lawinenausbildung setzen, meint Larcher. Das, in Kombination mit Entwicklungen in der Notfallausrüstung habe dafür gesorgt, dass in den letzten 10 bis 20 Jahren die Lawinentoten statistisch gesehen annähernd gleich geblieben seien, obwohl mittlerweile vier- bis sechsmal mehr SportlerInnen im freien Skiraum unterwegs seien.
Dass in punkto Bewusstseinsbildung dennoch ein weiter Weg zu gehen ist, zeigen in den letzten Wochen auch Blogeinträge und Diskussionen im Web, die beschreiben, wie viele FreeriderInnen und TourengeherInnen bei Neuschnee und gutem Wetter ihren Verstand über Bord werfen.
Aus Schneegeilheit blind für Gefahren
Stefan Siegel berichtet Schauderliches vom "Tatort Nordkette" über Innsbruck, wo am frühen Morgen der Kampf um die erste Linie losgeht, teilweise ganz ohne Notfallausrüstung.
Avalanche Hafelkar Nordkette | Innsbruck from Stefan Siegel on Vimeo.
Selbst nachdem dort - bei Lawinenwarnstufe 3-4 und Hangneigungen von über 40° fast logisch - die erste Lawine abgeht und jemanden verschüttet, wird noch weiter im Tiefschnee abgefahren und die gerade Ausgegrabenen werden vom nächsten Schneebrett verschüttet.
Risiko wird größer
Bei immer mehr Menschen im Gelände riskieren einzelne FreeriderInnen mehr, um trotzdem unverspurte Linien im Pulverschnee ziehen zu können. Zu dieser Erkenntnis kommt auch der Bergführer und Snowboard Guide Steve McNab in seiner Reflexion nach zwei Todesfällen populärer Bergsportler in Chamonix. Selbst alte Regeln wie den Berg nach einem Schneesturm ein zwei Tage "rasten" zu lassen, würden ignoriert.
"The race for first tracks on the finest lines is becoming more and more competitive and now if you were to ‘let the mountain have its day after the storm’ you’d be riding tracked out faces, listening to the stories and looking at the photos of how good it was yesterday, ‘when you should have been there’!"
Verzichten können
Bei solchen Verhaltensweisen bringt eine Umbenennung der Gefahrenstufen wohl auch nicht besonders viel. Den traurigen Beleg dafür liefert das jüngste Lawinenopfer dieser Saison. Auf der Rax hat vor zwei Tagen ein Snowboarder wahrscheinlich selbst ein Schneebrett ausgelöst, aus dem er nicht mehr lebend herausgekommen ist. Er ist gemeinsam mit elf anderen VariantenfahrerInnen in einen etwa 35° steilen Hang abgefahren, bei Lawinenwarnstufe 4. Die Lawinenwarnstufe 4 steht jetzt schon für "große Lawinengefahr", darüber gibt es nur mehr den Katastrophenzustand. Nach objektiven Kriterien hätte man an diesem Tag dort niemals einfahren dürfen. Manchmal muss man einfach auf einen Run verzichten können.
Lawinenkunde
- Empfehlungen des Alpenvereins für sicheres Tourengehen und Freeriden.
- Lawinenkurse von risk'n'fun, dem Ausbildungsprogramm der Alpenvereinsjugend für Freerider, oder von SAAC.
- Check your Risk - über den Umgang von Profis mit t der Thematik Lawinengefahr