Erstellt am: 30. 12. 2014 - 14:45 Uhr
Mystery und History
Durchgebinged und ausgesiebt. Abgewogen und ausgemessen. Viel Wunderbares, Spaßiges und Albernes an formidabler Serienunterhaltung ist beim Zusammenstreichen des Rückblickzettels rausgeflogen, die Verknappung ist des Listenmachens Sinn.
Gestern waren die Plätze 15 bis 6 der Shows 2014 dran, hier die Top 5.
Platz 5: The Knick
Cinemax
Zu Beginn ein schick ausgestelltes Gesellschaftspanorama aus bitteren, vergangenen Tagen, schließlich ein zäher Weg auf der sich abwärts schraubenden Spirale nach ganz unten. Stolz kunstfertig glückt Macher Steven Soderbergh zunächst eine betont ernsthafte und slicke Abbildung des Geschichtskolorits. Aus weihevollen Mahagoni-Tönen dürfen wir lesen, dass die Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts schwierige waren und selbst ein Krankenhaus von der finanziellen Not nicht verschont bleiben muss.
Der fertige Narziss Clive Owen sucht als zerrissener, gebeutelter und kaum umgänglicher Oberarzt nach modernen Heilmitteln, nicht zuletzt für den Ego-Kick, und immer kaputter werdend nach obszönen Mengen Kokains - für selbigen und auch alle anderen Kicks. Langsam färben sich die Bilder in eisiges Blau und Stumpfgrau. Neben der tatsächlich erschütternden Erzählung vom privaten Verfall – währenddessen auch andere mitgerissen werden - spürt "The Knick" unaufdringlich den großen Themen Rassismus und Klassengesellschaft, Männervorherrschaft, Abtreibung, Religion und einem kaum vorhandenen Sozialwesen nach.
Cliff Martinez hat dazu einen synthetischen Soundtrack gebaut, der ausdrücklich nicht aus der Handlungszeit der Show stammen kann, Ambient, unangenehm blubbernde Elektronika, die, genau richtig dosiert, "The Knick" in eine nebulöse Aura von Wahn, Entrücktheit und Paranoia kleidet.
Platz 4: Transparent
Amazon
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Gender Trouble - Keine Revolution, bloß eine flauschige, kleine Show für eine schönere Welt: "Transparent" wärmt die Füße.
"Transparent" wächst, wird immer besser. Hält locker drei Marathon-Sessions aus. "Transparent" stellt die Normen und die Labels in Frage, lesbisch, transgender, bi, butch, high femme. Was kann Familie bedeuten? Die Welt ist bunt, viele Konstellationen sind möglich. Die Show wärmt das Herz, ist fluffig, manchmal gerne im richtigen Maße weird und komisch, die Klippen of cutesy Schrägheit umschifft sie meistens souverän.
Sehr gute Musik, sehr gut ins Bild gerückt, ein gemeinsamer Tanz zum Soul-Hit "If It Don't Work Out", ein Besuch in der Shopping Mall, eine Hipster-Band namens "Glitterish". Schauspieler als Figuren, die schon auch mal genau so nerven können, wie jemand, den man sehr gut kennt und gerne mag. "Transparent" handelt von Freundschaft, der ewigen Suche nach Identität und Liebe und dann doch, bei allem Zwist und Zorn, vom geschwisterlichen Zusammenhalt. Es kann schön sein, es besteht Hoffnung.
Platz 3: True Detective
HBO
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Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs Rückblickende Gedanken zu "True Detective", dem, jeder hat es mitbekommen, Show-Ereignis des Jahres. Nichts für Neueinsteiger: Ein einziger langer Spoiler.
Die Welt fertiger Männer, sie haben sich selbst dorthin gebracht, philosophische Exkurse zum Ende der Hoffnung, ein König in Gelb, das Ding des Jahres. "True Detective" hat an den Pforten des Phantastischen gekratzt, Zehen ins Wasser des Metaphysischen gesteckt und mit kompletter Absicht die Möglichkeit geisterhafter und außerweltlicher Hintergründe für seine Geschichte verschwörerisch im Raum stehen lassen.
Dennoch ist "True Detective" bei allem Teasen, Triezen und (rückblickend: zu) gefinkelten Locken dem Realismus verpflichtet geblieben. Schon von Anfang war auf einem der offiziellen Plakate zu „True Detective“ in großen Lettern ein Slogan zu lesen: "Man Is The Cruelest Animal". Es bedarf keiner Gespenster.
Perfekt gemacht, fesselnd und dicht konstruiert wie nichts sonst, von der Sucht gebeutelt sitzen wir mit kaltem Schweiß auf der Stirn an der äußersten Kante des Sessels, warten auf die nächste Episode und schreiben mit Meinungen über Carcosa das Internet voll. Eine Show als Erfahrung, als Gemeinschaftserlebnis, ein Gondeln durch die Geisterbahn, währenddessen wir uns an den Händen halten müssen.
Zwei großartige Hauptfiguren, ausgefüllt von zwei großartigen Hauptdarstellen, mulmig machende Spukfolklore mit Masken und Holzbastelarbeiten, ein ewiger, in Kraftanstrengung gestemmter Tracking Shot für die Geschichtsbücher. Das Ende kommt dann ein wenig wie ein easy way out daher, ein Zusammenklappen einer langen, gewieften Trickbetrügerei. Nichts wird jemals wieder so sein wie vor "True Detective", weil die Zeit nämlich ein flacher Kreis ist.
Platz 2: The Leftovers
HBO
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Never Forget, falsche Götzen
Am Wochende ist die erste Staffel der HBO-Show "The Leftovers" zu Ende gegangen. Religion, Rätsel, Gedenkrituale. Ein Blick auf eine Serie des Jahres. Sehr milde Spoiler.
Weil das Leben leer ist und nichtig, flüchten wir uns in Religionen, Sekten, Kulte, Philosophien, so dürfen wir in "The Leftovers" erfahren - wie wir diese geistigen Gemeinschaften nennen wollen, ist egal. Eine Show über Verzweiflung, das Suchen und Verlieren der Hoffnung, Schmerzunterdrückung, Ersatzhandlungen und Selbstberuhigung. Manchmal, wenn man es sich ganz fest einredet, spürt man nichts.
Dabei ist "The Leftovers" hochspannend, wohlkonstruiert strange, in schicken Farben unheimlich, der pompöse Score von Max Richter lässt den Körper vor Pathos beben. "The Leftovers" schaut nach, wie der Mensch mit großem persönlichem Verlust umgeht, in diesem Fall anhand des Schauplatzes der Show, dem fiktiven Kleinstädtchen Mapleton im Bundesstaat New York.
Ein unerklärlicher, drei Jahre vor der Haupthandlung angesetzter Zwischenfall hat zwei Prozent der Weltbevölkerung von einer Sekunde auf die andere verschwinden lassen. Ein Verpuffen ohne Restspuren und Begründung. Geliebte, Kinder, Eltern, Freunde, Kollegen, Feinde – weg.
Mystery und Familiendrama, ein mit sicherem Händchen gestalteter Soundtrack, gruseliger Symbolismus und spiritueller Hokuspokus. Nahezu fehlerlos, und wenn eine US-Show prominent und zentral das hemmungslose kollektive Zigarettenrauchen als die absolute Geste der Rebellion inszeniert, muss man sie schon alleine dafür recht lieb drücken.
Platz 1: The Americans (Staffel 2)
FX
Ähnlich wie in "Orphan Black" spielen mehrfach ineinander verschachtelte Performances in "The Americans" eine zentrale Rolle: Während des Kalten Krieges, in den frühen 80ern, gaukelt ein zweckgekoppeltes russisches KGB-Paar als Deckmantel für Spionage-Aufträge in einem Vorort von Washington D.C. das biedere All American Familienleben vor, inklusive leiblicher Kinder, die von der wahren Herkunft und der Mission der Eltern nichts wissen.
Neben den offiziellen Tarnidentitäten, Elizabeth und Philip Jennings, schlüpfen Keri Russell und Matthew Rhys Folge für Folge in immer neue Perücken, Brillen und schlecht sitzende Anzüge, gehen in Rollen auf, um Geheimnisse auszuforschen, in Mission-Impossible-Manier zu tricksen – und auch zu töten.
Das bringt Rasanz, Action, Spannung, teils auch kurze humoristische Momente, gleichzeitig verschwimmen den Hauptfiguren die Ebenen: Sind unsere russischen Spione nach langen, langen Jahren in den USA mittlerweile schon tatsächlich zu den Menschen "Elizabeth" und "Philip Jennings" geworden? Inwieweit ist ihre Ehe bloß professionelles Vehikel und potemkinsches Dorf, wie viel echte Zuneigung, Liebe darf und muss es geben? Elizabeth hält unbeirrt die Fahne für das russische Mutterland hoch, Philip ist den Verlockungen des guten, modernen Lebens im Kapitalismus nicht abgeneigt.
Das ist nur eine Ebene der in Perfektion verschraubten zweiten Staffel von "The Americans". Noah Emmerich als gefühliger Nachbar und CIA-Agent strauchelt ebenfalls, zwischen Liebe und Vaterland, die Kinder der Jennings taumeln durch die Pubertät. Ohne Mobiletelefone und Internet ist das Spionieren mühsamer und interessanter. Man wartet auf Parkbänken auf das hoffentliche Auftauchen von Kontaktpersonen, geht in den Wald, um an merkwürdigen Apparaturen Signale zu empfangen, und schreibt mit Kugelschreiber irgendwelche Kürzel ins Notizbuch.
"The Americans" operiert zwar mit Plot-Twists und Suspense, bleibt dabei betont unflashy und langsam und atmet den Geist großer Thriller aus den 70ern wie "The Parallax View" oder "Three Days of the Condor". Es erklingt düsterer Wave-Pop, kenntnisreich aus dem Damals abgehört, und Peter Gabriel singt, in einem der besten Momente dieses Serienjahres, von den Turbulenzen: "There's No Point In Direction, We Cannot Even Choose A Side".