Erstellt am: 30. 12. 2014 - 10:37 Uhr
Ekel, Ethik, Entertainment
Zur Zeit der Jahresrückblicke will sich verständlicherweise niemand mehr so recht daran erinnern, an die berüchtigte "Gamergate"-Debatte. Erstens passt sie nicht in das allseits beliebte Listenformat, andererseits hoffen viele Schreibende und Spielende, dass sie nun endlich an uns allen vorübergezogen ist. Es war ohne Zweifel das größte Thema im Gamesjahr 2014, das wegen seiner immens negativen Aura auch viele Texte in Publikumsmedien - außerhalb der Fachpresse - mit sich gebracht hat.
Es war beängstigend zu beobachten, wie viel negative Energie ein konzertiert aufgestachelter Mob mit Hilfe des Netzes freisetzen kann. Der Anlass war verglichen mit den darauf folgenden Drohungen (unter anderem mit dem Leben), Beschimpfungen und dem Verächtlichmachen von Menschen lächerlich: Manche Fachautor/innen konstatierten das Ende des traditionellen Begriffes des eingefleischten Videospielfans, des "Gamers" - ein Affront in den Augen einiger bornierter Menschen, zumeist Männer. Gleichzeitig wurden Mutmaßungen laut, dass eine Verbandelung zwischen Spielejournalist/innen und Indie-Game-Designer/innen bestünde. Eine daraufhin geforderte Ethikdiskussion war das große Feigenblatt, mit dem sich die "Gamergate"-Bewegung fortan schmückte. Der satirische Spruch "Actually, it's about ethics in games journalism" wurde zu einem Running Gag, der sich bald zu einem kleinen Meme verselbstständigt hat.
Metro-Goldwyn-Mayer
Der Spruch fasst die Absurdität des angeblich wirklichen Beweggrunds von "Gamergate" gleich in doppelter Hinsicht perfekt zusammen: Da ist einerseits die völlig unverhältnismäßige Beschwerde über fehlende Richtlinien von Videospielpublikationen, die "kleinen" Spielen zu viel Aufmerksamkeit schenken würden - wohingegen die tatsächliche Korruption seit vielen Jahren von großen Gameskonzernen ausgeht, die die Verlage mit Anzeigenstopps und ähnlichen Gemeinheiten mal mehr, mal weniger subtil unter Druck setzen, wodurch diese oft im vorauseilendem Gehorsam versöhnliche Wertungen vergeben. Anderseits mangelt es vielen "Gamergate"-Ereiferern offenbar an der Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität. Wer interessiert sich in einer Medien- und Kulturlandschaft, in der digitale Spiele oft immer noch schief beäugt werden, ernsthaft für ethische Richtlinien ihrer Fachpresse? Vermutlich hat der Reise- oder Autojournalismus ein mindestens so hohes Ethikskandalpotenzial. Nur: Wen kümmert's?
Geblieben ist von "Gamergate" neben dem nicht enden wollenden Kopfschütteln eine Kluft zwischen jenen, die in digitaler Spielkultur einen neuen, vielseitigen medialen Aufbruch sehen und denen, die militant am bisherigen Status Quo der Entwicklung von Videospielen festhalten wollen. Es sind fragwürdige Eltern, die nicht wollen, dass ihr süßes, aber noch ziemlich unbeholfenes Kind jemals erwachsen wird. Wir haben weiters bestätigt bekommen, dass Anonymität im Internet nicht nur Schutz und politische Meinungsfreiheit bietet, sondern auch eine (technische) Grundlage von Belästigung liefert. Nicht zuletzt haben wir unser Vokabular erweitert: Vor einem Jahr wussten wir weder, was "Social Justice Warriors" sein könnten, noch was es bedeutet, wenn jemand "gedoxt" wird.
Erklären und befreien
John Bain
Und doch gab es sie letztlich, die Debatte über Ethik im Spielejournalismus. Neben all dem "Gamergate"-Hickhack waren große Magazine wie Kotaku oder Polygon ab einem gewissen Punkt unter Zugzwang. Es gab interne und externe Änderungen im kleinen Stil, wie etwa Hinweise unter einer Rezension, dass man ein gratis Testmuster erhalten habe, sowie Erklärungen und Richtigstellungen. Die sich um eine faktenbasierte Gegenüberstellung der Inhalte bemühende und teils vorschnell ins "Gamergate"-Lager gedrängte populäre Youtube-Personality John Bain alias TotalBiscuit hat etwa den Kotaku-Chefredakteur Stephen Totilo ausführlich interviewt (und war dazu kurz danach selbst zu Gast bei einem anderen Kanal). Von einer Sache war Bain allerdings schon prä-"Gamergate" fehlgeleitet: dass die Konsumentin und der Konsument immer recht hätten. Seiner Meinung nach hätten Journalist/innen und Youtuber/innen ihnen quasi zu dienen - ein Hinterfragen dieser devoten Servicehaltung würde schon als Beginn eines Verrates gelten.
Einen subversiveren und unnachgiebigeren Ton schlägt hingegen Jim Sterling an. Der sich schon seit rund acht Jahren in verschmitzter Selbstüberschätzung übende Brite ist ein Hybrid aus traditionellem Webjournalist und Videopersönlichkeit, der rhetorisch als auch körperlich gerne ausladende Gesten macht und auch vor harscher Kritik nicht zurückschreckt - egal, wen sie trifft. Sterling war Teil des redaktionellen Angebotes vom renommierten Gamesmagazin "The Escapist", hatte sich Mitte November aber selbstständig gemacht und versucht nun, mittels der Plattform Patreon, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Patreon wurde 2014 eine hippe Möglichkeit, im Alleingang sein Autor/innen- und/oder Designer/innentum auszuleben. Die Idee ist auf den ersten Blick simpel und effizient: Wer die Person toll findet, unterstützt sie mit einem beliebigen Geldbetrag - pro Monat. Kommt ein monatlicher Betrag zusammen, mit dem es sich (über)leben lässt, haben - in der Theorie - alle Beteiligten etwas davon.
Doch das Patreon-Modell hat Schwachstellen. In erster Linie ist die vermeintliche Unabhängigkeit in Wahrheit eine neue Willkür der Geldgebenden. Denn wenn jemand, der Geld gibt, einmal nicht mit den Inhalten einverstanden ist, wird das Geld möglicherweise kurzerhand abgezogen. Handelt es sich noch dazu, wie in einem Forbes-Artikel gut analysiert wurde, um geldgebende Personen, die einen bestimmten Bezug zur Games-Industrie haben oder aus einem bestimmten Eck der Gameskultur kommen, können die Probleme und Unvereinbarkeiten weitaus größer werden als im klassischen Magazinmodell, das mit Anzeigen und Verkauf funktioniert. A propos: Wollen wir als Lesende und Hörende wirklich, dass eine zunehmende Vereinzelung stattfindet? Dass Journalist/innen nur noch als Personality-getriebene Ich-AGs auftreten, die uns dauernd mit ihrer ach-so-unabhängigen Meinung anschreien? Was ist denn schlecht an einer (Chef-)Redaktion, die über Texte liest, bevor sie veröffentlicht werden? Was ist falsch an einer Blattlinie eines Magazins, die für stilistisch und inhaltlich kohärente Inhalte sorgt? All das werden Jim Sterling und seine Patreon-Kolleg/innen nicht liefern können - auch, wenn sie inhaltlich da und dort noch so gut sein mögen.
Es ist alles eine große Show
Wenn nicht gestritten wird, muss unterhalten werden. Aufmerksamkeit ist das oberste Gebot im Fernsehen, in Podcasts und auf Youtube, bekanntermaßen dem größten Konkurrenten des traditionellen, geschriebenen Journalismus. Dass Podcasts mit einer Laufzeit von bis zu zweieinhalb Stunden pro Folge, wo die Teilnehmer/innen über weite Strecken hinweg sich in Geplänkel verlieren, weiterhin so populär sind, fasziniert mich immer wieder auf's Neue. Auf Youtube ist die Sache klarer: Hier wird, vorgegeben von Overlord PewDiePie, gequietscht und gebrüllt, bis der Ohrenarzt kommt. Millionen von Abonnent/innen können nicht irren, obwohl ja nur noch ein Bruchteil von ihnen die aktuellen Inhalte ins Postfach geliefert bekommt, wie uns der empfehlenswerte Game Theorist Matthew Patrick kürzlich anschaulich erklärt hat. Der penetrante Klamauk ist bei Games-Youtuber/innen jedenfalls zur Pflichtübung geworden. Kaum noch jemand kommt ohne lustige Faxen, einer lauten Stimme und Horrorspiel-Let's-Plays mit hohem Kreischfaktor aus.
PewDiePie
Das Leben als Videospiel-Youtuber/in ist kein einfaches: Wer nicht alle paar Tage ein neues Video rauflädt und die Fans bei der Stange hält, gehört innerhalb weniger Monate zum alten Eisen. Kein einfaches Los, wenn man sich mal entschlossen hat, aus diesem Hobby eine Karriere zu machen und dann sowohl von der Willkür von Google, als auch von der nicht gerade langen Aufmerksamkeitsspanne seiner zumeist recht jungen Zuseher/innen abhängig ist.
Doch der Quasi-Zwang zum Hampelmann hat Tradition in der Gamesberichterstattung audiovisueller Medien. Weil die gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung als kulturelles Medium trotz Milliardenverkäufen immer noch schwächelt, setzt man nun schon seit über fünfzehn Jahren auf Entertainment. Nichts darf "alt" daherkommen: klassische Fernsehformate sind verpönt, die dazugehörigen Moderator/innen langweilig. Neue Ideen müssen her! Spaß! Unterhaltung! Und so kam es, dass aus einem improvisierten Experimental-Entertainment namens NBC Giga aus Ende der 90er Jahre ein immerwährendes Konzept wurde. Hauptinhalt: Herumhampelnde Moderatoren (sehr selten sind es Frauen), die ständig untereinander Späßchen machen und sich in laienhaften Comedy-Sketches üben.
Ja, es ist natürlich schade, dass nach über acht Jahren das beliebte TV-Format "Game One" nun beendet worden ist. Aber warum sich diese - und andere - Fernsehsendungen über Computer- und Videospiele immer so konsequent diesem oberflächlichen Bespaßungsduktus untergeordnet haben, habe ich nie so recht verstanden. Ich bin mir sicher, dass man auch ohne Clown-hafte Inszenierung cool und kurzweilig über Gameskultur berichten kann, ohne dass die Konzernvorstände Schweißausbrüche ob der Quoten bekommen.
ZDF
Spiele, bitte!
Genau, gespielt haben wir neben dem ganzen Lesen, Schauen, Nachdenken und Diskutieren ja auch. Was euch am besten gefallen hat (der FM4 Exit Poll sagt: vor allem "GTA 5" und "FIFA 15"), wisst ihr ja selbst. Ansonsten gibt es an bekannten Orten Inspiration durch Bestenlisten und "Spiele des Jahres"-Artikel, wie etwa bei Eurogamer oder Kill Screen. Ein paar Ausschnitte von Dingen, die mir im vergangenen Gamesjahr aufgefallen sind: Das Gedenkjahr 2014 hat zwei sehr interessante Antikriegsspiele gebracht: "Valiant Hearts" und "This War of Mine". Die mehrfach totgesagte Wii U ist nun hip und hat neben den aktuellen Straßenfegern "Mario Kart 8" und "Super Smash Bros." mit "Bayonetta 2" auch einen hochkarätigen Exklusivtitel bekommen, der nicht von Nintendo selbst stammt. Und E-Sport hat die neue Langsamkeit entdeckt: Noch nie waren Partien von Profimatches so kontemplativ anzuschauen wie ein paar Runden "Hearthstone". Gieß dir den Tee ein und werde Progamer/in!