Erstellt am: 13. 12. 2014 - 17:18 Uhr
Ausgerechnet Namibia!
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme
Geschichten aus der deutschen Hauptstadt und ausnahmsweise mal aus Namibia von Christiane Rösinger
Eine Freundin arbeitet seit einem Jahr beim DAAD (Deutsch-Akademischen Austauschdienst) an der Universität Windhoek und das dortige Goethe-Zentrum lud mich kurzfristig zum Saisonabschluss zu Lesung und Konzert ein. Ausgerechnet Namibia! Die Recherchen im Vorfeld ließen nicht allzuviel Gutes ahnen.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
"Südwester" nennen sich die Deutschen in Namibia - Ex-Kolonialisten, die den unseligen alten Zeiten nachtrauern. Man kann Knödel und Eisbein und Frankfurter Kranz essen und es wird Karneval gefeiert. Ganz so schlimm war es dann doch nicht, was die Deutschtümelei angeht, man spricht Englisch, die Bevölkerung ist viel mulitkultureller als erwartet, und nicht jeder Deutschstämmige, der hier bereits in dritter Generation lebt, ist ein Nazi oder Rassist.
Namibia ist ein großes, leeres Land, doppelt so groß wie Deutschland, aber mit nur zwei Millionen Einwohnern. Stundenlang fährt man durch eine Savannenlandschaft - zum Beispiel zum Etosha-Nationalpark, der wiederum halb so groß wie die Schweiz ist, und in dem man im eigenen Auto rumfahren, in Camps übernachten und Tiere beobachten kann.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
Betrachtet man eine Giraffe beim Trinken, so tut es in der Seele weh mit anzusehen, wie sich diese seltsamen Tiere in einer Art Extrem-Yoga verbiegen müssen, um mit dem Kopf zum Wasser zu kommen. Hier müssten selbst überzeugte Kreationisten von einer Fehlkonstruktion des Schöpfers sprechen. Gleichzeitig tauchen in den Safariparks auch bei den tendenziell eher Ungläubigen Bilder aus der Kinderbibel auf, denn so sieht das Paradies aus: Eine grüne Landschaft, in der Springböcke, Giraffen, Zebras, Warzenschweine, Vogel Strauß und alle anderen Vögel, Elefanten, Antilopen, Schakale, Gnus und das Rhinozeros friedlich nebeneinander weiden. Schwer vorstellbar, nach diesem Anblick jemals wieder einen Zoo besuchen zu wollen.
Viele verschiedene Wüsten-, Dünen-und Flusslandschaften könnte man hier, Zeit und Geld vorausgesetzt, sehen und entdecken. Allerdings müsste man sich dann auch an dieses recht koloniale Reisen gewöhnen - kolonial im Sinne davon, dass man sich nur unter weißen Touristen bewegt und schwarzen Menschen ausschließlich in extrem schlecht bezahlten, untergeordneten Serviceberufen begegnet. Was die soziale Ungerechtigkeit angeht, liegt Namibia weltweit an erster Stelle, das heißt, der Wohlstand ist nirgendwo auf der Welt so ungleich verteilt wie hier.
Vom Ende der Apartheid vor 15 Jahren profitierte bislang nur eine sehr kleine schwarze Wirtschaftselite, und die Bemühungen, durch ein Mentorenprogramm das Monopol weißer Farmer zu brechen und schwarze Neubauern auszubilden, hatte bislang wenig Erfolg.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
Die Hauptstadt Windhoek hat etwa 350.000 Einwohner und ist berühmt für ihre Sonnenuntergänge, vielleicht auch, weil sie sonst wenig zu bieten hat. Man kann die Independence Avenue, die frühere Kaiserstraße, hoch und runter gehen und durch zwei Shopping Malls mit Klamottenläden und Safari-Ausstattern flanieren. Dort findet man auch noch "Südwester" T-Shirts mit deutschem Reichsadler.
Die Architektur erinnert mit ihren neugotischen Schlösschen, Kirchlein und Jugendstilvillen eher an eine süddeutsche Kleinstadt - das Straßenbild ist aber multitethnisch geprägt.
Downtown Windhoek kann man schon mal zwei Stunden verweilen, einen Cappuccino in der Mall trinken und Namibia-T-Shirts in den Touristenshops anschauen und ein Eis essen.
Reich an Sehenswürdigkeiten ist Windhoek nicht, und eine davon, das berühmte Reiterstandbild und martialisches Symbol der Kolonialherrschaft der "Südwester Reiter" wurde inzwischen zum Glück abmontiert und in den Hinterhof der alten Feste, einst die Festung der "kaiserlichen Schutztruppe" verfrachtet. "Zum ehrenden Angedenken an die tapferen deutschen Krieger, welche für Kaiser und Reich..." so beginnt die Inschrift, mit der die Mörder der namibischen Stämme Herero und Nama geehrt werden.
Am alten Platz des Reiterdenkmals steht jetzt das etwas monströse Unabhängigkeitsdenkmal - gebaut von Nordkorea. Der Auftrag war wohl ein kleiner Dank für die Unterstützung der SWAPO im Unabhängigkeitskrieg.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
Auch das Nachtleben Windhoeks ist recht überschaubar, im "Warehouse" hört man gerne Rockmusik, also Bryan Adams und Bon Jovi, sehr beliebt bei Touristen und Einheimischen jeder Couleur ist "Joe's Beerhouse", ein recht lebendiger Ort, dessen Besitzer wohl einen ausgeprägten Hang zum Dekorieren haben. Ein Bachlauf mit fetten Koi-Karpfen durchzieht das rustikale Wirtshaus, antike Toilettensitze wurden zu Barhockern umgestylt, Oktoberfestkränze, Oryxantilopen mit meterlangen Hörnern, zehn Kilogramm Sauerkraut-Dosen, Fischernetze, Zebrafelle, Kaiser Wilhelm-Straßenschilder, Zungenaufschnittwurstrollen und viele andere Kuriositäten sind irgendwie an Decken und Wänden befestigt.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
Aber eigentlich bleibt man im weißen Windhoek am liebsten zu Hause. Expats, Menschen die bei der Botschaft, der deutschen Welle, der GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) der Universität und anderen Institutionen arbeiten, wohnen meist in großen Häusern - eher Anwesen - mit weitläufigen Gartenterassen. Pool obligatorisch. Dort sitzt man dann hinter hohen Mauern, Stacheldraht und Elektrozaun und lädt einander zum "Braai" ein, der namibisch-südafrikanischen Variante des gemeinschaftlichen Grillens. Öffentliches Leben ist in Windhuk auf die Einkaufszeiten der Independence Straße oder des Spar-Supermarktes beschränkt. Nach Geschäftsschluss sieht man keinen Menschen mehr auf der Straße.
Viele lebendiger geht es etwa sechs Kilometer außerhalb Windhoeks zu, in Katutura, einem ehemaligen Township. Während der Apartheid wurde die schwarze Bevölkerung Windhoeks dorthin zwangsumgesiedelt, und auch heute noch hat sich an der Aufteilung "weißes Windhoek - schwarzes Katutura" wenig geändert. In Katutura wohnen etwa 80.000 Menschen - von Windhuk kommend geht das dort noch fast idyllisch wirkende Viertel mit den kleinen pastellfarbenen Häuschen in Schrebergartengröße recht schnell in ein Meer von Wellblechhütten über. Am Rande von Katutura entstehen immer mehr sogenannte informelle Siedlungen ohne Wasser und Strom.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
In Windhoek City in der Fidel Castro Street - auch Kuba unterstützte Namibia im Unabhängigkeitskrieg - liegt das Goethe Zentrum. Einmal im Monat lädt man hier zu der "Night Under The Stars" ein und ich sollte am Ende meiner Reise dort ein paar Songs spielen.
Alle möglichen Windhoeker SängerInnen und MusikerInnen traten auf, es gab Spoken Word Poetry Crossover - Avantgarde, Rhytm' and Blues und eine Art vielleicht ironisch gemeinten Gangster-Rap zu hören.
Im Schatten des von Nordkorea erbauten Museumshochhauses auf einem Parkplatz war eine kleine Bühne aufgebaut und ein ganz gemischtes Publikum war gekommen: StudentInnen der UMAM Universität, die sehr kleineWindhoeker Queer- und Hipsterszene, die aus Katutura angereiste Oma und weitere Verwandschaft der Sängerin Miss H, der Kulturbeauftragte der deutschen Botschaft und viele Kinder. Für sie hatte man praktische Klappmatratzen mit gebracht, auf die sie, müde vom Tanzen, dann einfach nieder sanken und unter dem namibischen Sternenhimmel einschliefen, der viel näher und heller und irgendwie seitenverkehrt zu unserem Nördlichen herunter leuchtet.
Christiane Rösinger und Corinna Haeger
Und so endete die unverhoffte Reise in dieses ferne Land mit dem Vorsatz, all die großartigen Freundschafts-, Tier- und Naturerlebnisse und dieses Gefühl von Wärme und Schönheit mit in den Berliner Winter zu nehmen und recht lange davon zu zehren.