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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

15. 11. 2014 - 12:50

Einsame Wölfe

It’s Neo-Noir-Time: In "A Walk Among The Tombstones" und "Nightcrawler" driften zurückgezogene Männer durch die Kino-Nacht.

Filme und Serien

Interviews mit Regisseuren und Schauspielern, Kinorezensionen und Filmsubkultur auf

Manchmal, wenn nicht gerade Jennifer Lawrence in den "Hunger Games" zu Pfeil und Bogen greift, hat man das Gefühl, die ganze schillernde Welt des Unterhaltungskinos dreht sich weiterhin einzig um angeknackste, harsche, gewaltbereite Mannsbilder.

Dabei dürften sich, wenn man diversen Hollywood-Analysen glaubt, die Geschlechterklischees rund um die Filmrezeption in Zukunft sehr verschieben. Junge Männer, derzeit etwa für Comickino-Strategen noch die einzig maßgebliche Zielgruppe, wenden sich angeblich noch mehr dem Sport, dem eigenen gestählten Körper, aber auch Computerspielen zu. Und zeigen im Gegenzug Filmen, Büchern, sogar Musik verstärkt die kalte Schulter.

Natürlich wird der Genrefilmgeek genauso wenig aussterben wie der Rockerbub. Aber die Konsumentinnen im Teenageralter, die jetzt schon diktieren, was im Popsektor den Ton angibt, sind es auch, die irgendwann den Buchmarkt regieren werden, verstärkt avancierte TV-Serien gucken oder sogar den Actionkino-Bereich erobern. Das Hier und Jetzt dagegen - auch wenn an weiblichen "Expendables" gebastelt wird, die kommende "Terminator"-Franchise auf starke Frauen setzt und die Young Adult Literatur in weiblicher Hand ist - sieht noch anders aus.

A Walk Among The Tombstones

Constantin

"A Walk Among The Tombstones"

Existentialistisches Ballerkino

In dieser Gegenwart, in der Kinobetreiber noch Männer- und Frauen-Themenabende bewerben, speist man letztere mit seifigen RomComs ab und erstere bekommen dann Filme wie "A Walk Among The Tombstones" vorgesetzt. Liam Neeson also wieder einmal in einer bewaffneten Hauptrolle, der selbsterklärte Gegner der US-Knarrenlobby ist einer, auf den man im zeitgenössischen rabiaten Rachekino zählen kann.

Dabei schafft es der mittlerweile 62-jährige Ire mit seinem Gespür für störrische Charaktere auch Fließband-Ballerware relativ sehenswert zu machen. Und immerhin folgen Filmen wie "Taken" und dem dazugehörigen Sequel regelmäßig tatsächlich eindringliche Arbeiten wie "The Grey", in denen der Gewalteinsatz eine existentialistische Färbung erhält.

Ähnliches hat auch der Trailer zu "Ruhet in Frieden" versprochen, wie "A Walk Among The Tombstones" im deutschen Sprachraum heißt. Immerhin basiert der Film auf einem Buch des Hardboiled-Autors Lawrence Block, von dem eingeweihte Krimikenner schwärmen. Liam Neeson schlüpft in die aus einer ganzen Romanreihe bekannte Figur des Matt Scudder, eines Ex-Cops, der die Dienstmarke ebenso hinter sich gelassen hat wie den Alkohol und diverse Traumata.

A Walk Among The Tombstones

Constantin

"A Walk Among The Tombstones"

"Tatort" made in Brooklyn

Man schreibt das Jahr 1999. Mittlerweile als Privatdetektiv im Einsatz - ja, man kennt ähnliche Persönlichkeitsprofile auch aus unzähligen drittklassigen Fernsehserien - gerät der stoische Ermittler an einen ganz besonderen Klienten. Ein junger Drogendealer erzählt Scudder von unbekannten Kidnappern, die Lösegeld für seine entführte Gattin verlangten. Aber bei der Übergabe hat der Kleinganove die Frau dann bereits tot in einem Kofferraum gefunden.

Matt Scudder findet bald heraus, dass das Töten von Angehörigen der Drogenmafia offenbar ganz gezielt passiert. Ein mysteriöses Duo scheint in Brooklyn unterwegs zu sein, das sich auf grausame Morde im Dealermilieu spezialisiert hat. Dass die kriminelle Halbwelt selber bedroht wird und nicht mit dem Zeigefinger abgemahnt, verleiht "A Walk Among The Tombstones" einen ungewohnt ambivalenten Touch, auch den sozialrealistischen Blickwinkel nimmt man dem Newcomerregisseur Scott Frank anfangs ab. Abseits von jeglichem kriminellen Glamour zeigt der Film die großstädtische Tristesse.

Der gute Eindruck hält aber nicht lange. "Ruhet in Frieden" verstrickt sich in zuviele Subplots, die das eigentlich Konventionelle der Erzählung verbergen wollen. Am Ende hat man das Gefühl gerade einmal einen besseren "Tatort" made in Brooklyn gesehen zu haben. Mit Liam Neeson als US-Schimanski, der sich dann auch treuherzig um einen Ghetto-Sprößling kümmert.

A Walk Among The Tombstones

Constantin

"A Walk Among The Tombstones"

Gewerbe des Grauens

Wenn Privatdetektiv Matt Scudder wie ein ausgebrannter Loner durch den Asphaltdschungel driftet, der trotzdem noch soziale Empathie besitzt, dann wirkt der einsame Wolf, den Jake Gyllenhaal in "Nightcrawler" spielt, bereits wie ein hochgradiger Soziopath.

Der prachtvolle, lautmalerische Titel, der auch gut zum Album einer stockdüsteren Industrialcombo passen würde, bezieht sich auf Journalisten und Kameraleute, die auf den nächtlichen Straßen amerikanischer Großstädte nach billigen Sensationen suchen. Unfälle, Brände, Raubüberfälle und Morde sind die Highlights in dem kontroversen Geschäft. Jake Gyllenhaal, der nach seinen ohnehin einschneidenen Rollen in "Prisoners" oder "Enemy" hier zur absoluten Topform aufläuft, spielt einen arbeitslosen jungen Mann, der mit allen Mitteln in das Gewerbe des Grauens einsteigen will.

An der Oberfläche ist dieser Lou Bloom, das vermittelt auch die auf Coolness bedachte Poster- und Werbekampagne zu "Nightcrawler", ein Film-Noir-Antiheld, einer von god’s lonely men, wie sie in "Taxi Driver" oder "Drive" durch die Dunkelheit gleiten. Näher betrachtet hat er aber nichts von einem charismatischen Großstadtcowboy. Wenn der verschrobene Lou seine streberhaften Monologe über den American Way of Life hält, dann bleibt eine Schleimspur zurück. Und bald auch Blut.

Nightcrawler

Constantin

Schwüle Nachtluft, eisige Gefühle

Je skrupelloser der Nightcrawler bei seinen Exkursionen vorgeht, begleitet von einem naiven Assistenten, desto schneller steigt er Business des Elendsjournalismus auf. Als Lou Bloom anfängt, Tatorte zu dekorieren und zu manipulieren, ist der Schritt zum Verbrechen längst getan. Rene Russo applaudiert dabei als kaltblütige Programmchefin eines lokalen News-Senders.

Regisseur Dan Gilroy, zuvor erfolgreicher Drehbuchautor, hat sich für sein Debüt, vielleicht auch dank seines Bruders Tony (Michael Clayton, "The Bourne Legacy") ein perfektes Team sichern können, allen voran Kameramann Robert Elswit, dem faszinierende Bilder gelingen. Wenn Lou Bloom durch die Straßen kurvt, entfaltet sich ein finsteres Panorama des nocturnen Los Angeles, wo trotz schwüler Nachtluft eisige Gefühle vorherrschen.

Nightcrawler

Constantin

"Nightcrawler"

Dass man aber bis zum zugespitzten Finale nur distanzierter Beobachter des Geschehens bleibt, hat nicht bloß mit creepy Jake Gyllenhaal zu tun, dessen beklemmende Darstellung jegliche Identifikation verunmöglicht. Fast schon zu überdeutlich formuliert Dan Gilroy auch die Kritik an der perversen Medienwelt. Die mag zwar durchaus berechtigt sein, macht den tollen Film aber bisweilen platter als es notwendig wäre. Egal, alleine wegen der Atmosphäre ist "Nightcrawler", diese eindringliche Psychostudie, die zur rabenschwarzen Satire mutiert, einen Kinobesuch wert.