Erstellt am: 20. 11. 2013 - 14:30 Uhr
Brot und Spiele
Wenn man zu schnell zu groß wird, also im figürlichen Sinn, kann einen das auch richtig kaputt machen. Justin Bieber tourt durch südamerikanische Prostituierte, George Lucas vernichtet das Kindheitserlebnis "Star Wars", und sogar Artpopstar Lady Gaga spricht im US-Radio über den ewigen Problemunterdrücker Drogenrausch. Erfolg verdirbt also, wie man an den "Hunger Games" beobachten kann. Konzipiert als einzig denkbare eierlegende Wollmilchsau, die dem "Twilight"-Wahn entsprechend kommerziellen Wahnsinn folgend lassen könnte, findet sich das potenziell lässigste Film-Franchise diesseits der Apokalypse im sechsten Höllenkreis von Hollywoods Marketingmaschine wieder. Aber der Reihe nach.
Constantin
Rom liegt in Hollywood
Für Einsteiger: "Die Tribute von Panem", im Original "The Hunger Games", ist eine ausgesprochen erfolgreiche Jugendbuchreihe der US-Autorin Suzanne Collins. Angesiedelt in einer postapokalyptischen Höllenwelt, in der sich die Reichen und Mächtigen in Überfluss und barocken Ornamenten suhlen, während die Armen in Arbeiterbezirken dahindarben, ist nicht schwer zu erkennen, woher die Inspiration für eine derart extreme soziale Dystopie stammt.
Collins hat die Erste und Dritte Welt an einen Ort verlegt und spielt in ihren Büchern jenen unmenschlichen Zynismus, der nicht wenige Machtsysteme informiert, folgerichtig durch: Soll heißen, dem römischen Systemerhaltsmantra "Brot und Spiele" folgend, muss jeder Bezirk jeweils einen jugendlichen Teilnehmer beider Geschlechter in die "Hunger Games" schicken. In einem von Hunderten Kameras gefilmten Areal kämpfen die Kinder und Teenager dann mit Gladiatorenwaffen (Äxte, Messer usw.) gegeneinander, bis nur noch einer oder eine am Leben ist. Die Reichen delektieren sich am Massaker, während den Armen damit Angst gemacht wird.
Und weil diese Geschichte so genial wie simpel ist, kann man sie auch universell nennen: Tatsächlich haben sich vor Frau Collins schon diverse Autoren an solch einem Modell abgearbeitet. Stephen King veröffentlichte etwa (unter seinem Pseudonym Richard Bachmann) den Roman "The Running Man", der dann wiederum die Grundlage für einen hervorragend analogen und angemessen schrottigen 80er-Schwarzenegger-Film war. Und dann gibt’s da noch jenen japanischen Roman, der von Meisterregisseur Kinji Fukasaku als "Battle Royale" verfilmt wurde. Aber, wie Lady Gaga weiß, geht es bei Popkultur nicht darum, etwas neu zu erfinden, sondern nur darum, Bestehendes neu zu kostümieren.
Constantin
Das Haute-Couture-Massaker
Das Gwandl der "Hunger Games" ist dann zeitgeistig dunkelmunkelnd: Gelacht werden soll hier nicht, auch wenn man bei den grotesk-barocken Kostümen der Oberschicht ein wenig an demenzkranke Dragqueens denken muss. Schon beeindruckend, aber die Tragik schwingt immer mit. "Catching Fire" also, die Fortsetzung der "Hunger Games": Jennifer Lawrence, die mithin talentierteste und sowieso lässigste Jungschauspielerin Hollywoods, zeigt sich erneut rebellisch als Katniss Everdeen. Als Siegerin des letzten Turniers muss sie der Öffentlichkeit jetzt vorgaukeln, tatsächlich in ihren Kosieger Peeta (spricht man wie Peter aus) verliebt zu sein; zumindest wenn die beiden zu ihrer alljährlichen Tournee abgeholt werden.
Constantin
Dann müssen sie vor dem Lumpenproletariat der jeweiligen Bezirke stehen, aufgerüscht und aufgehübscht, und davon reden, wie toll und super und essenziell die "Hunger Games" doch sind. Aber Katniss wäre nicht Heldin, würde sie dabei nicht doch noch ein Rebellenfeuer entzünden, von dem Präsident Snow (Donald Sutherland) zu Recht fürchtet, es könnte sich in eine handfeste Revolution ausweiten und dann – Gott bewahre! – sein tyrannisches System stürzen. Da er aber die Macht hat, ändert er flugs die Regeln der "Hunger Games" und schickt die bisherigen Gewinner erneut in den Ring. Katniss und Peeta sind natürlich mit dabei.
Constantin
Bleibt alles anders
Das Überraschende für mich am aktuellen Film-Franchise ist ja, dass ich gar keine Ahnung mehr habe, für wen es überhaupt gemacht wurde. Ich meine, "Indiana Jones" war einfach dermaßen flotter, spaßiger Kintopp, dass es irgendwie jedem getaugt hat. Heute kommen fünf "Twilight"-Filme in die Kinos, von denen jeder nur eine leicht veränderte Kopie des Vorgängers ist und die sich kaum mehr voneinander unterscheiden lassen.
Mich würde tatsächlich einmal eine Untersuchung interessieren, inwiefern es dabei eine Rolle spielt, dass es sich sowohl bei "Twilight" als auch bei "The Hunger Games" um bereits etablierte Serienuniversen (beides Literaturverfilmungen) mit einer massiven Fanbasis handelt. Wenn man darin einmal untergegangen ist, ist es offenbar vollkommen wurscht, ob uninteressante Figuren minutenlang uninteressantes Zeug schwafeln, während auf der Handlungsebene tatsächlich gar nichts passiert. Gut, bei "Catching Fire" kann man immerhin großartigen Schauspielern bei der Arbeit zusehen. Lawrence ist eine Wucht, Josh Hutcherson macht seine Sache gut, und Woody Harrelson und Philipp Seymour Hoffman liebe ich sowieso.
Constantin
Pop und Politik
Am unangenehmsten ist bei der Sache dann allerdings, dass die durchaus vorhandenen politischen Achsen ohne Feuer und Furor dramaturgisch verwendbar gemacht werden. Jawoll, da heben ein paar Proletarier die Hand zum Rebellengruß und werden danach vom Regime standrechtlich erschossen. All das passiert aber nur, um Katniss genügend Grund zu geben, aufzumucken – und nicht etwa, weil Regieroboter Francis Lawrence irgendeinen Standpunkt beziehen wollen würde. Insofern sind diese "Hunger Games" natürlich auch ein obszönes Schauspiel, das sich in jener paradoxen Twilight-Zone von Hollywood wiederfindet, in der jedwede Selbstreflexion ad acta gelegt wurde.
Constantin
"The Hunger Games - Catching Fire" läuft ab 20. November 2013 in den österreichischen Kinos
Ein großes Unternehmen prangert in einem von ihm produzierten Film die Allmacht der Reichen an, verkauft gleichzeitig aber Lizenzen für so viel Merchandising-Müll, dass einem schwindlig wird. Damit nicht genug, wird das letzte Buch, wie schon bei "Harry Potter" und "Twilight", in gleich zwei Kinofilme adaptiert – natürlich nur, weil das auch dramaturgisch notwendig und relevant ist, und nicht etwa, weil sich damit noch einmal ein paar hundert Millionen Dollar mehr verdienen lassen. Ja, ich weiß eh, so funktioniert das eben mit der Werbung und der Wirtschaft und der Machtverteilung. Aber genau das gibt der Film ja vor zu kritisieren. Ich kenne mich nicht mehr aus und verzweifle an der Welt.
Und all das wäre auch gar nicht so schlimm, wäre der Film nicht so brunzfad.