Erstellt am: 31. 10. 2014 - 12:52 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 31-10-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Das letzte Lied. Songs zum Abschiednehmen, herausgegeben von Wolfgang Pollanz und Wolfgang Kühnelt, im Milena Verlag.
#musik #tod
Gestern abend ist das Buch Das letzte Lied präsentiert worden, ein Reader, der sich mit der Frage nach dem bestmöglichen Song auf dem eigenen Begräbnis auseinandersetzt. Ein paar der rund 30 Autoren lasen ihren Beitrag, Ernst Molden spielte ein paar Lieder, u.a. auch seine Version von Billy 4, "seinem" letzten Stück.
Letzte Fragen dieser Art sind in jedem Lebensalter Begleiter jedes denkenden/fühlenden Menschen. Ich glaube, dass ich mich mit dem Tod früher, als recht junger Mensch (etwa nach dem Freitod meines Jugendfreundes Wilfried oder dem viel zu frühen Weggang meiner Oma) genauer auseinandergesetzt habe als jetzt. Insofern war die Frage nach dem "Song, den man auf dem eigenen Begräbnis gerne gespielt hätte" wieder eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.
Ich hab' nicht lang gezögert; auch weil ich gleich gewusst habe, was das sein wird, welches Stück Musik das sein muss.
Mein letztes Lied
FM4 Im Sumpf
In "Das Letzte Lied" räsonieren 31 AutorInnen und MusikerInnen über den Song, der bei ihrem Begräbnis gespielt werden soll. Mit dabei: Austrofred, Ernst Molden, Irene Diwiak, Son Of The Velvet Rat, Monique Schwitter, Wolfgang Pollanz etc.
FM4 Im Sumpf, am Sonntag, den 2. November ab 21 Uhr und im Anschluss für 7 Tage on Demand.
Gestorben-Sein ist ja nicht schlimm für die Toten; nur für die Überlebenden, die dann ein Begräbnis ausrichten/überstehen müssen. Die brauchen nämlich Kraft, positive Energie, einen Kick zurück ins Leben, einen Soundtrack, um sich im Angesicht der Trauer die Größe der Existenz bewusst zu machen.
Dafür gibt es einen optimalen Song, den man durchaus in einer Endlosschleife immer wieder spielen kann; auch weil er selber im Gefühl badet, nie aufhören zu müssen, sondern immer weiterzugehen: und ein solches Gefühl zu verbreiten ist für ein Begräbnis nötig, wenn nicht verpflichtend.
Von diesem sehr lässigen Song gibt es nur eine, ganz spezielle Version, die das alles kann. Ich hab' das Original, die Studioversion davon nie so geschätzt und auch die vielen Live-Versionen, die sind so naja, auch die auf It’s too late to stop now.
Zum Glück war an dem Abend am 25. November 1976, als die beste Version aller Zeiten performt wurde, der Martin Scorsese mit seinem Film-Team da. Es war der Abschieds-Abend für The Band, die famosen Folk/Rock/Country/Roots-Runderneuerer, die so lange Zeit in symbiotischer Verbindung mit Bob Dylan standen.
Und er, er war der letzte Gaststar in diesem Last Waltz, ehe dann Dylan mit seinem großen weißen Hut die Bühne des Winterland in San Francisco betrat: Van Morrison, der stimmgewaltige nordirische Soulschreibär. Er hatte zu diesem Zeitpunkt, 1976, fast alle seine Meisterstücke schon abgeliefert: die rohe Frühphase mit Them, Astral Weeks, das beste Konzeptalbum aller Zeiten, und dann Tupelo Honey, Saint Dominic’s Preview etc
Morrison versteckte seine zunehmende Pummeligkeit nicht, sondern betonte sie durch ein enganliegendes Oberhemd und ein Glitzerjackerl, er ließ sich auch von hinten aufs sich anbahnende Glatzerl filmen. Der Mann ist uneitel. Wohl weil er weiß, dass er jetzt gleich das beste Live-Stück aller Zeiten darbieten würde. Caravan von wegweisenden Moondance-Album aus 1970.
Morrison springt nach einer Sekunde sofort in seinen Text: "...and the caravan is on it’s way", und in der Folge erzählt er ansatz- und hemmungslos von den Freunden mit denen er da unterwegs ist, von den merry gypsies (das ging damals noch so) und der süßen Emma Rose und dass alle "overnight“" dableiben um Musik zu hören und zu tanzen und einander näher zu kommen, so rund ums Lagerfeuer, Körpereinsatz inklusive, denn klar es geht um die Lady of the night: i shall reveal you!
Und ohne Genierer singt Van the Man mit, bei der Musik, die – ganz banal, und so einfach – aus dem Radio kommt.
Er singt: La La La La – La La La; La La La La – La La La.
Dreh es rauf, schreit er, ja, jetzt ist es gut, jetzt wissen wir, dass es Seele hat – so you know it’s got soul. Und dann noch einmal, und noch einmal, do the one more time, plärrt er, immer und immer wieder, und die Band schwitzt um den Drive zu halten und die Bläser prusten ihren Satz, noch einmal und noch einmal, angetrieben von der machtvollen, keinen Widerspruch duldenden Stimme des Van Morrison.
Auch Christian Pausch hat über "Das Letzte Lied" geschrieben.
Final Songs - über das Thema hatten wir schon mal ein Mixtape
Ich bin ja chronischer Nichttänzer und der schlimmste Feind jener Tanz-Nazis, die glauben, ihr Körpergefühl auf alle anderen übertragen und einen auf den Dancefloor zerren müssen, um sich dann selber auf deine Kosten zu spüren. Ich bin feinfühlig, wenn jemand die Tanzaufforderung von sich gibt. Bei Caravan hab‘ ich kein Problem. Weil Morrison niemanden auffordert, sondern dich implizit raustreibt, weil er von sich aus so viel gibt, in voller Emphase und so dafür sorgt, dass du deine Barrieren fallen lassen kannst; weil er ein Tanzmacher ist.
Im Winterland spielt The Band an diesem November-Abend um ihr Leben um dem Energielevel von Morrison einigermaßen folgen zu können. Tell me everthing i need to know. Er sagt dir, dass dieses Gefühl der Endlosigkeit, der Leichtigkeit und der Feier des Lebens alles ist, was es zu wissen gilt. Auch schön passend angesichts des Endes. Und dass die Musik just aus dem Radio kommt, ist bei meiner Biographie ja fast ein Treppenwitz. Denn, ja, solange Musik mein Leitmotiv, mein Leitsystem, meine Leitkultur war, hat sie nur existiert, solange sie aus dem Radio kam, das ich mit ihr füttern konnte. Let me hear the song!
Da ist der Probenmitschnitt zum Song, der hat noch nicht die Wucht, ist eine Skizze, Vorstufe...
Außerdem bleibt die Caravan, bleiben die Freunde, die sweet ladies und die trickster und Verführer, bis zum Ende: It will stay with me until the end. Und auch das passt dann wieder gut als letztes Lied, wie hier alles passt: auch das sich verlierende Zwischenstück, in dem Morrison kurz nicht mehr so recht weiß, wo er jetzt genau ist, und dann wie ein Baby zu brabbeln beginnt, ehe er sich wieder drauf besinnt zu wissen, dass das hier Seele hat. Und jetzt noch einmal, one more time. Und dann geht, nein hüpft Morrison, der sein Gesangmikro am Ende symbolisch immer wieder ins Publikum geschleudert hat, ab. Die anderen, die die zurückbleiben, sehen ihm hinterher und spielen den Song noch fertig. Und in meinem Kopf dann gleich noch einmal; und noch einmal, und noch einmal.