Erstellt am: 30. 9. 2014 - 18:24 Uhr
Des Kaisers neue Kiste
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Ist es der endgültige Plan des Thom Yorke, die Zersetzung auch der Idee "Album" an ihr letztes Ziel zu bringen? Nicht nur die des Tonträgers? Der ohnehin nur mehr in schicker Aufmachung in Gestalt einer geilen Deluxe-Box Wellen zu machen scheint.
Es rauscht immer noch auf dem Datenhighway des Fortschrittsglaubens, vielleicht noch drei, vier Tage: Der Radiohead-Frontmann hat nach minimaler Ankündigung - einzig einem mysteriösen Foto von einer weißen Schallplatte mit komischem Gekritzel drauf auf Twitter - vergangenen Freitag sein zweites Soloalbum namens "Tomorrow's Modern Boxes" via BitTorrent als Download in die Welt geschickt. Zu haben um schlanke 6 Dollar. Innerhalb von 24 Stunden soll das Album über 100.000 mal heruntergeladen worden sein, eine erklärte Absicht dieser Veröffentlichungsmethode, so Yorke, sei die Umgehung herkömmlicher selbsternannter "Gate-Keeper" gewesen.
Thom Yorke
Das Medium ist die komplette Message. Und im Falle von "Tomorrow's Modern Boxes" auch die komplette Massage. Denn der Inhalt dieser modernen Kisten aus der Zukunft ist kaum mehr als eine wohlige Vibration unter der Kuscheldecke, leise einlullende Lieder zur Pflege der Zimmertemperatur. Doch auch das muss integraler Bestandteil des Projekts sein: Einfach mal so zwischendurch, ohne großen Zwang und Druck, acht skizzenhafte Stücke vom Laptop in irgendeinen Ordner ziehen und irgendwohin kopieren. Kohle kommt dann hoffentlich.
Freilich darf sich auch Thom Yorke ein kleines Hobbyabenteuer gönnen, ein paar Sachen ausprobieren - man muss von dem Mann nicht immer die Neudefinierung der Weltformel erwarten. Was bekanntlich aber nicht wenige Menschen tun, man könnte meinen, es gäbe ein neues Aphex-Twin-Album. Was sich Yorke nun mit seinem Homeboy Nigel Godrich da für "Tomorrow's Modern Boxes" so ausgedacht und zusammengefrizzelt hat, ist alles andere als schlecht, bloß eben auch nicht wild, gewagt oder auf Wegen nach Neuland. Imaginäre B-Seiten vom Radiohead-Album "Amnesiac" und Yorkes erstem Solo-Album "The Eraser" aus dem Jahre 2006, ein bisschen Richtung Clubmusik weitergedacht. Nur ganz sachte.
Es klappert und knattert, betont schrottig, metallen und billig, mal im 4/4-Takt, dann immer wieder stolpernd, stockend, klar von Dubstep und bisweilen auch 2-Step geküsst. Der Beat ist hier jedoch meist nur Ornament, Beiwerk, und nicht wie bei tatsächlichen Dancetracks das Fundament, die Macht, die wirklich auf den Floor zwingt.
Alles hier ist Beiwerk. Ein feines Nebeneinander vieler hübscher Kulissen, das nebulös eine besonders silber-grau schimmernde Dystopie zeichnet. Verbogene Klavierakkorde, weihevoll summende Synthesizer, ein Schattenspiel aus Hall und Überlagerungen. Das Sounddesign ist bei aller Beiläufigkeit wieder einmal hochsensibel ausgemessen, die Platte ist nach innen gerichtet, dünn aus Überzeugung, selbst im Gesamtzusammenhang des Werks von Thome Yorke intim - man soll "Tomorrow's Modern Boxes" im Kopfhörer hören.
Tomorrow's Modern Boxes
Und da ist natürlich noch das Alleinstellungsmerkmal: Thom Yorke soll vor längerer Zeit in einem Interview zu Protokoll gegeben haben, er würde gerne reine Instrumental-Musik, ohne seinen Gesang, veröffentlichen, das würde aber dann wohl niemand hören wollen. So werden einige Stücke auf "Tomorrow's Modern Boxes" durch Yorkes Stimme, wie so oft gerne zerhackt, verschleppt, gemorpht, geschichtet, zerhäckselt, verpitcht und in den Himmel gejauchzt, dann doch wieder zu kurzen Glücksmomenten. Gestern moderner elektronischer Soul und R'n'B, der, mittlerweile muss man das eben auch schon rückwirkend andersrum sehen, von James Blake, Burial und Caribou gehört hat. Die Stücke "Interference", " The Mother Lode" und "Truth Ray" beispielsweise fügen sich bestens ins Werk Radioheads ein. Sie tun genau das: Sie fügen sich ein.
Ein seltsamer Höhepunkt ist dann gegen Ende des Albums zu erleben: Der monoton laufende Technotrack "There Is No Ice (For My Drink), wieder heftig mit Stimm-Schnippseln und -Girlanden geschmückt, der im zerbrechlichen Ouevre Yorkes vergleichsweise stumpf dasteht und tatsächlich eine Art Hypnose aufbaut.
"Tomorrow's Modern Boxes" ist eine unaufregende, schöne kleine Platte geworden, die sich zu sehr selbst damit zufrieden gibt und darin gut gefällt, behaupten zu dürfen, frei und offen und experimentell zu sein. Es ist eine Behauptung, die oft schon ausgesprochen wurde. Es ist das Internet. Jeder kann das machen, will uns Thom Yorke sagen. Weshalb auch die Musik nicht zu sensationell sein darf. Eine offene Hand für die Revolution.