Erstellt am: 19. 9. 2014 - 17:23 Uhr
Unter wildem Ruckeln die Welt verkabeln
Das heiligste Scheppern, das süßeste Summen, die Darstellung von Musik als reines Nebeneinander, Untereinander und Hintereinander von Tönen, Geräuschen, Partikeln, Frequenzen. Diese Musik steht außerhalb des Hypes, hat sich fast komplett aller Kontexte entledigt. Man hat es brodeln gehört in diesem Internet: Es gibt ein neues, sechstes reguläres Album des Aphex Twin, 13 Jahre nach seinem letzten offiziellen Album unter diesem Namen, der Drill'n'Bass-und-Erik-Satie-Preziosen-Konfrontation "Drukqs".
"Syro" nennt sich die Platte, das will nicht viel verheißen, der Titel ist ein Fantasiewort, das sich der Sohn des Aphex Twin ausgedacht hat. Unter dem Namen Aphex Twin ist der englische Produzent Richard D. James einer der wichtigsten Künstler im weiten Feld der Elektronik überhaupt. Ever. Selbst wenn man mit Elektronik nicht viel am Hut hat, gehört James zu den vielleicht fünf Typen, die man kennen kann. Sein Ruf weit hinaus über die Wahrnehmung von Musiknerds und Clubkids rührt nicht zuletzt von seinen Ticks, Macken und seiner Inszenierung her. Richard D. James zeigt sich also nur selten in der Öffentlichkeit, gibt pro Albumrelease an einer Hand abzählbare Interviews weltweit, präsentiert dafür im Gegenzug auf Plattencovern und in Videos sein eigenes, verfremdetes, zur monströsen Fratze verzerrtes Gesicht.
Aphex Twin
Aphex Twin mag in einem Banktresor gewohnt haben, mit einem Panzer zur Arbeit gefahren sein und DJ-Sets ohne Platten, dafür aber mit Sandpapier bestritten haben - angesichts seines neuen Albums müssen die historisierende Heiligsprechung und das Schleudern schauriger Schnurren verblassen. "Syro" ist Musik von ganz woanders. Richard D. James scheint keine aktuelle Musik zu hören. Ist ohnehin alles von ihm selbst beeinflusst.
Es gibt auf "Syro" keine brennenden Überraschungen, keine noch nie gehörten Absurditäten oder komplett überirdisch vom Aphex Twin herbeigedokterten Alien-Sprachen zu erleben. "Syro" speist sich aus dem nicht gerade dünnen Werkkatalog des Richard D. James selbst – den er freilich auch nicht bloß ohne Vorbild aus der Luft abgezapft hat. Jungle, Ambientsurren, Hardcore Rave, Acid Basslines, Geisterstimmen hat Aphex Twin hier in einem quallenartig sich fortbewegenden Organismus aufgehen lassen. Er lebt, er rührt sich, erratisch zwar, jedoch mit eleganten Gesten.
"Syro" ist keine Platte, die den Schock-Effekt sucht, vielmehr ein Album, das als Pop-Sammelsurium aller Aphex-Twin-Styles gelten darf, in dem dann doch feine kleine Neujustierungen schillern: Die Bongo-Sounds am Ende des 10-minütigen zweiten Stücks. Eine verstärkte Betonung der Funkyness der Drums – freilich grundlegend immer die Basis jeglicher Breakbeat-Musik, hier aber tatsächlich immer wieder deutlich Richtung tatsächlichem, dirty Funk herausgearbeitet. Überkandidelter Space-Prog-Eskapismus mit vollelastischem Bass.
Es ist also so einiges los auf den Kanälen. Gurgel- und Quietsch-Geräusche faden rein und fallen weg, Sounds versanden, Tempowechsel, Risse, Brüche, was hier geschieht, ist freilich nicht nach der Idee "Song" organisiert, funktioniert jedoch auch nicht nach dem Prinzip "Techno-Track". Es ist eine rhizomatische Fortpflanzung von Technologie.
Bei allem sprühenden Materialaufgebot und bei aller Rasanz ist "Syro" nicht anstrengend, nervig, ätzend und klingt nie nach Überfrachtung. Nicht nach Mischmasch und Sauce, sondern nach sauber gesetzten Reizen. Man kann sich beinahe vor geistigem Auge ausmalen, wie hier die Spuren parallel laufen, isolierte Signale, die gemeinsam eine seltsame, so bekannte und verwirrende Versuchsanordnung ergeben. Eine Installation über die Zeichen, die es gibt, die noch dazu schön anzuschauen ist. Rough und delikat.
Warp Records
Die meisten der zwölf Stücke auf "Syro" hat Aphex Twin mit schwer zu entschlüsselnden und kaum auszusprechenden Buchstaben- und Ziffern-Kombinationen als Hinweise auf das in ihnen verwendete Equipment benannt. Es ist die reine Mechanik, die ganze Körperlichkeit. Bloß die Abschlussnummer nennt sich "aisatsana" – eine minimalistische Klavier-Meditation, wieder einmal ganz klar an Erik Satie angelehnt, mit Vogelgezwitschere, die James seiner Ehefrau Anastasia gewidmet hat. So scheint selbst der Aphex Twin dieser wild wuchernden Platte mit tausend losen Fäden ein abrundendes, schließendes, versöhnliches Ende verpassen zu wollen.
Man muss den Aphex Twin und seinen imposanten Grinser nicht kennen, nicht wissen, dass ein Zeppelin, auf dem das Aphex-Twin-Logo prangte, einst über London kreiste. Man kann "Syro" hören, diese Platte, die so klingt wie nichts anderes als Aphex Twin und wie nichts anderes sonst, hier und jetzt und übermorgen, und wissen, dass es darum geht. Das ist der Punkt.