Erstellt am: 18. 8. 2014 - 09:35 Uhr
Trust the Police?
Während Hunderte Meilen südlich in Missouri die Polizei, vom Pentagon mit schwerem Kriegsgerät bestückt, gewaltsam gegen zuvor friedliche Demonstranten vorging, entwich dem New Yorker Bürgermeister dieser eine Satz, der das Dilemma auf den Punkt bringt. Allerdings anders als gemeint.
APA AP St. Louis Post-Dispatch, David Carson
In einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch zur Aufklärung des Todes von Eric Garner, sagte Bill de Blasio: „When a police officer comes to the decision that it’s time to arrest someone, that individual is obligated to submit to arrest.“ Was er damit meinte: Solange man bei einer Amtshandlung keinen Widerstand leistet, solange würde einem nichts geschehen. Man könne der Rechtschaffenheit der Cops vertrauen. Trust the police. Der schwarze Familienvater Eric Garner hatte sich in Staten Island nach einer Konfrontation seiner Verhaftung widersetzt und ist vermutlich an den Folgen eines verbotenen Würgegriffes gestorben.
Weiterführende Links:
Tatverdacht Hautfarbe: Stop-And-Frisk in NYC
Brittney Cooper: In defense of black rage: Michael Brown, police and the American dream
Jamelle Bouie: Ferguson. How a Demonstration Turned Into a Disaster
New York Times: Ferguson Images Evoke Civil Rights Era and Changing Visual Perceptions
Demilitarisierung der US-Polizei gefordert: Während in Ferguson die Nationalgarde aufmarschiert, ist ein neuer Gesetzesantrag zur Demilitarisierung der Polizei auf dem Weg durch den US-Kongress (Erich Möchel)
Die dramatischen Ereignisse wurden von einem Freund des Getöteten via Handykamera mitgefilmt. Der schwergewichtige Asthmatiker bat mehrmals um Hilfe und rief immer wieder: „I can’t breathe“, ehe er für immer verstummte. Die Folge: public outrage und (friedliche) Demonstrationen in ganz New York. Die Ermittlungen laufen noch.
Public Enemy
Vor allem schwarze Teenager geraten immer häufiger ins Fadenkreuz der Polizei, aber auch von selbsternannten Bürgerwehrlern und Rechtshütern, wie der Fall Trayvon Martin (17 Jahre) zeigte, oder auch die Erschießung von Jordan Davis (17 Jahre), beide in Florida.
Am 9. August wurde in Ferguson, Missouri nun der 18-jährige Michael Brown (laut Zeugenaussagen) mit erhobenen Händen von einem Polizeibeamten mit mehreren Schüssen niedergestreckt und getötet.
Zur „falschen“ Zeit am „falschen“ Ort sein, kann für einen unbescholtenen schwarzen Teenager in den USA tödlich enden. Häufig reicht es, einen Hoodie zu tragen und sich „auffällig zu benehmen“ (Brown und sein Freund marschierten in der Mitte einer Straße), und man gerät ins Visier der Ordnungshüter.
Christian Lehner
Warum also der Polizei vertrauen, Mr. Mayor? Das fällt angesichts der paramilitärischen Aufrüstung lokaler Polizeieinheiten mittlerweile sogar der privilegierten Bevölkerung schwer. Im Leben eines schwarzen Kids braucht es aber gar keine SWAT-Ausrüstung, Panzerfahrzeuge und Scharfschützen.
Der Vertrauensbruch setzt bereits in der frühen Kindheit ein. Er ist in der Regel klassen- und einkommensunabhängig und basiert auf persönlicher Erfahrung. Obwohl die Kriminalitätsraten in den USA seit Jahren rückläufig sind, stehen schwarze Kids nämlich mehr denn je im Fokus polizeilicher Ermittlungen und das auf breiter Basis.
Während sich die Ermittlungen der Polizei in den achtziger und neunziger Jahren noch vorwiegend auf Gangaktivitäten konzentrierten, setzten in den folgenden Jahren immer mehr Departments, wie etwa das NYPD, auf flächendeckende Präventivmaßnahmen. Berüchtigt ist die sogenannte Stop-And-Frisk-Methode, bei der Passanten jederzeit auf Verdacht angehalten und durchsucht werden können.
Sound of da Police
Mit Stop-And-Frisk geriet nun plötzlich eine ganze Generation Heranwachsender unter Pauschalverdacht. So belegt eine Studie aus dem Jahr 2012, dass es im Untersuchungzeitraum zu 90% Schwarze oder Latinos waren, die die menschenunwürdigen Durchsuchungen auf offener Straße über sich ergehen lassen mussten. Dabei kam es nur in 10% der Fälle zu weiteren Ermittlungen. Nur ein Bruchteil davon endete mit einer Verurteilung. Trust the Police?
Christian Lehner
Kaum eine schwarze Familie in New York ist während der Bloomberg-Ära von Stop-And-Frisk verschont geblieben, wie mir die Politikerin Letetia James bei den Recherchen für eine Geschichte zum Thema verraten hat. Eltern bereiteten ihre Kinder auf die polizeiliche Maßnahme vor. Sie erklärten ihnen, wie sie sich bei einer Durchsuchung verhalten sollen, damit nichts Schlimmeres passiert. "Der Tag würde so sicher kommen, wie das Amen im Gebet."
Was diese ständige Bedrohung für die Psyche eines Heranwachsenden bedeutet, die Vorstellung, jederzeit ohne Begründung hochgenommen werden zu können; wie fatal sich das auf die Beziehung zur staatlicher Autorität im Allgemeinen auswirken muss, kann sich wohl jeder selbst ausmalen.
KRS One - Sound Of da Police (1993)
Bill de Blasio und sein Polizeichef Bill Bratton haben zwar nach einem Gerichtsurteil gegen das NYPD Reformen in Bezug auf Stop-And-Frisk eingeleitet und auch im Fall Garner Transparenz und Aufklärung versprochen; dennoch klingen die Worte „Trust the police“ in den Ohren vieler schwarzer BürgerInnen wie ein Hohn - von Staten Island bis Ferguson.
Die Bekämpfung von strukturell rassistischer Staatsgewalt, und von nichts anderem sprechen wir hier, darf nicht zur Bringschuld der Opfer werden. Die Unruhen in Missouri nach der Erschießung des 17-jährigen Michael Brown legen einmal mehr die Bruchstellen der amerikanischen Gesellschaft offen. Nur, dieses Mal sieht die ganze Welt zu.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar