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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

9. 8. 2014 - 12:09

Raus aus Berlin

Zu heiß in der Großstadt, deshalb ab zur Sommerfrische an den Baggersee.

Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme

Geschichten von Christiane Rösinger, meistens, aber nicht immer, aus der deutschen Hauptstadt Berlin.

Wenn die Hitze sich in den Altbauwohnungen staut, wenn nachts drinnen die Luft bei 30 Grad steht, während es draußen längst abgekühlt hat, wenn morgens schon die Gullis und Abfalltonnen stinken und alle Freunde schon aus der Stadt geflohen sind, dann ist es Zeit: Raus aus Berlin - Rein in die badische Sommerfrische.

Denn dort am Rhein, an den Dörfern an der französischen Grenze, wird seit jeher Kies abgebaut und auf dem Rhein verladen. Und so kommt es, dass wirklich jedes Dorf seinen eigenen Baggersee hat. Manche Baggerseen sind längst renaturiert und angelegt, da gibt es Umkleidekabinen, Bewirtschaftung und Toiletten, in anderen wird noch gebaggert, große Schilder warnen mit drastischen Worten vor Steilküsten, Strömungen und Lebensgefahr vorm Baden.

Baggersee

Christiane Rösinger

Jedes Dorf hat hier seinen eigenen Baggersee. Mal mit türkisblauem Wasser, mal von Auenwäldern umgeben.

Es gibt türkisfarbene Baggerseen mit weißen Sandstränden, es gibt im Schilf verborgene, modrig riechende Seen mit groben Kiesstränden und Steilhängen, Seen an grünen Liegewiesen und alten Bäumen, Seen in Kraterlandschaften aus Kies und Sand. Man kann sich regelrecht in eine Wasser- und Seen-Sucht hineinsteigern und zwei Wochen lang jeden Tag einen neuen See erkunden. Die Einheimischen nehmen diese fantastischen Freizeitangebote recht selbstverständlich und auch nur gelegentlich war.

Auch der Verhaltenskodex der jugendlichen Baggerseefans ist einem steten Wandel unterworfen. Schon zu Jugendzeiten gab es die Wasserfans, die immer im See waren, sich gegenseitig fast bis zur Bewusstlosigkeit untertauchten, Weittauchexperimente machten, mit den Fahrrädern in den See fuhren. Und es gab die angehenden Dorfschönheiten, die sich nur selten aus der liegenden Bräunungsposition erhoben, und am Bikiniunterteil herumzupften, Schlaufen, Bändchen und Mäschchen richteten, mit der Fußspitze die Temperatur prüften, für nicht ausreichend warm befanden, um sich dann wieder umständlich-graziös zur neuen Bräunungsrunde auf's Handtuch zu drapieren .

In der Saison 2014 gibt es etwas Neues: Man stellt sich gerne zu zweit oder auch in größeren Gruppen im Kreis in Knöchel- bis höchstens Wadenhöhe ins Wasser und unterhält sich mit Blick auf den See, überprüft ab und an den Bikinisitz und geht dann nach dreißig Minuten unverrichteter Dinge zum Platz zurück.

Outlet-Center

Christiane Rösinger

Wenn es regnet, bietet sich ein Besuch zum grenznahen Outlet-Center an. Im Stil eines elsässischen Fachwerkdorfes hat man hier eine ganz eigene kleine Welt geschaffen

Auch an regnerischen Tagen gibt es im Grenzgebiet immer wieder etwas Neues zu entdecken, zum Beispiel ein Outlet-Center, das direkt an der französischen Grenze eröffnet wurde. Da tut sich eine ganz eigene kleine Welt auf. Das ganze Ensemble wurde nahe dem Autobahnzubringer errichtet und samt Dorfplatz, Cafés, Springbrunnen und natürlich hundert Ladengeschäften im Stil eines traditionellen elsässischen Fachwerkdorfes nachempfunden.

Zur Abendgestaltung bietet sich dann das nahegelegene mondäne Baden-Baden an. Hier lädt man im August zum philharmonischen Open-Air-Konzert ein. Umsonst und draußen heißt hier "Philharmonische Parknacht" und in den weißen Gastronomiezelten wird Champagner ausgeschenkt. Schließlich setzt sich das Baden-Badener Publikum aus Millionären aus aller Herren und Damen Länder, vor allem aus dem russischen, arabischen und asiatischen Raum, zusammen.

Oper in Baden-Baden

Christiane Rösinger

Noblesse oblige: Baden-Baden nie ohne Champagnercatering! Höhepunkt der philharmonischen Parknacht sollte die Operngala werden.

Die 350 Jahre alte Gartenanlage wird festlich illuminiert, auf dem Programm stehen Rossini, Verdi, Tschaikowski und Bizet, Höhepunkt ist eine Operngala mit der weltberühmten Mezzosopranistin Vesselina Kasarova. Die weit angereisten Kurgäste flanieren eher desinteressiert vorbei, aber die einheimische bildungsbürgerlich angehauchte Bevölkerung hat sich schick gemacht und schon Stunden vor Konzertbeginn die mitgebrachten Campingtische mit weißen Tischtüchern, edlem Geschirr, Kristallgläsern und Alessi-Salzstreuern gedeckt. Kein Wunder, dass sie ärgerlich reagieren, wenn man sich nur nur zwei Meter entfernt auf einer Decke daneben niederlässt!

Die Operngala ist dann doch ein bisschen anstrengend, der weltberühmten Mezzosporanistin geraten die oberen Tonlagen ein wenig schrill, und so ist es fast eine Erleichterung, als ein Gewitter samt Wolkenbruch der ganzen Veranstaltung ein jähes Ende bereitet.