Erstellt am: 24. 7. 2014 - 12:37 Uhr
"Puber"-Prozess: 14 Monate Haft, 10 bedingt für Renato S.
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Prozessauftakt im Fall #Puber
Der Sprayer aus Zürich bekennt sich teilweise schuldig. Der Staatsanwalt bezeichnet die Schriftzüge als "Plage". Die Verteidigung kritisiert "Fehler in der Anklage".
Puber was here
Puber wurde verhaftet. Ist das Katz und Maus-Spiel mit der Exekutive nun vorbei? Was wollte uns Puber mit seinen Aktionen sagen?
Vergänglich und unbequem
Ein Writer liegt im Koma, mehrere andere sitzen in U-Haft. Die Verfolgung von Graffiti ist fast so alt wie die Ausdrucksform selbst.
Die "Fluch oder Segen"-Denkfalle am Beispiel des Falles Puber
Richter Wilhelm Mende hält das Foto eines Haustores in die Höhe. Der Angeklagte Renato S.: "Das kann von mir sein, ich bin mir aber nicht sicher." Beim nächsten Foto schüttelt der S. den Kopf: "Nicht von mir." Das sind die zwei Standardantworten, die wir noch oft hören werden.
Ein Bild nach dem anderen hält der Richter dem Angeklagten entgegen. Ein Garagentor. Ein Stromkasten. Die Wand eines Müllraums. Der Richter hebt die Unterschiede in der Schreibweise verschiedener Schriftzüge hervor: "Es gibt ein Puber mit dem geschwungenen R, eines mit Kleinbuchstaben, eines mit Unterstrich." Mende blättert in seinen Akten. "Eine alte Eingangstür mit Blockbuchstaben." Der Eigentümer macht 863 Euro Schaden geltend. "Nicht von mir", sagt S. Nach zwei Stunden gibt es zehn Minuten Pause.
APA/HERBERT PFARRHOFER
Nach der kurzen Unterbrechung geht es genauso weiter. Der Richter fragt: "Welche Fakten haben wir noch nicht beackert? 121 sind es noch." Der Staatsanwalt findet den nächsten Fall. Eine Hausmauer, ein hölzernes Haustor mit Dutzenden Tags, darunter auch ein verblasster "Puber"-Schriftzug. "Nicht von mir", sagt Renato S. Zum nächsten Fall gibt es kein Foto, 300 Euro Schadenersatzforderung, der Richter schüttelt den Kopf, Renato S. tut es ihm gleich. Zum nächsten Fall gibt es eine ganze Fotoserie, "eine Fliesenwand, verschiedene Schmierereien, aber kein Puber, ein Haustor, auf dem sich 20 Leute verewigert haben, ein Puber ist nicht zu sehen", es folgen weitere Aufnahmen. Ab jetzt geht es wieder chronologisch weiter, anscheinend waren die Aktenzahlen vorher durcheinandergeraten. "91, die Wiener Linien: Leider ist das nicht im Detail fotografiert." Renato S.: "Das könnte von mir sein."
Eine Zeit lang war es chronologisch weitergegangen, jetzt geraten die Ordnungsnummern der Fälle wieder durcheinander, weil Fotos mehrmals eingereicht wurden und deshalb in verschiedenen Akten vorhanden sind. "Wiener Wohnung, ein Gemälde", sagt der Richter. "Nicht von mir". Eine Firma verlangt für Reinigungsarbeiten 865 Euro Pauschal-Schadensersatz, sie will die Türe komplett schleifen und neu bemalen lassen. Der Puber-Schriftzug auf dem Foto fällt kaum auf, der Richter fragt sich, wieviel die Entfernung eines Lackstifts von einer Tür denn kosten könne. "Hier einen Schaden festzustellen, ist etwas schwierig".
Anscheinend will der Richter keine Mittagspause machen, sondern die noch verbleibenden 110 Fakten durchackern - ob es im Lauf des Nachmittags dann zu einem Urteil kommt, ist unsicher. Die Temperatur im Raum steigt. Die Beweisführung wird verkompliziert durch die Tatsache, dass die Aktenzahlen beim Gericht nicht mit denen der Polizei übereinstimmen. Außerdem sind Fälle immer wieder doppelt in den Aufzeichnungen vorhanden.
Fall 125, die Gesiba will Schadenersatz für "ein Gemälde mit Signatur. Da haben gleich mehrere ihre Signatur auf das Bild gesetzt", so der Richter. Renato S. schüttelt den Kopf, er sei keiner von ihnen.
Ein Garagentor mit mehreren Tags, nur eines davon "Puber". "Könnte ich gewesen sein", sagt S. Der Richter sagt, "400 Euro will der Eigentümer".
Jetzt diskutieren Verteidiger und Staatsanwalt darüber, ob Tags von einer Glasscheibe abwaschbar sind oder nicht. Der Anwalt sagt: "Jetzt haben wir schon 15 Mal festgestellt, dass die Geschädigten sagen, es ist abwaschbar. Dann ist kein Schaden entstanden." Der Staatsanwalt will die bemalten Glasscheiben trotzdem nicht trivialisieren: "Die Schadensfeststellung ist eine wichtige Sache."
Der Richter hält das Foto eines Graffiti in die Höhe, das "anscheinend irgendjemand nicht mag, weil der pickt ein Papier darüber, auf dem steht: 'Superschas'". Renato S. sagt, das Graffiti sei nicht von ihm.
Ein Puber-Tag an einer Wand, halb überklebt mit einem Plakat. Richter Mendel: "Ich kann hier nicht feststellen, ob ein Großbuchstabe darunter ist oder nicht. Es gibt einen Unterstrich. Was sagen sie dazu?" S.: "Nicht von mir".
Faktum 151: Wien Energie, zwei Schaltkästen. "Und Wien Energie hat gesagt, einer davon gehört Wien Energie nicht. Der hintere gehört jemand anderem." Es fehlt also einer der Geschädigten. Die Beweisführung bleibt eine Sisyphus-Arbeit, denn jede Feststellung wie diese wird genauestens protokolliert. Der Richter sprach heute schon früher von "dreifacher Buchführung", die er machen müsse.
Ein Geschädigter will 5.000 Euro haben, weil sein Wandbild übermalt worden sei. Der Richter hält das Foto in die Höhe, Gelächter über das Wandbild auf der Anwaltsbank. "Na ob das wirklich ein Schaden ist!"
Eine Tür und eine Wand, der Geschädigte gibt 708 Euro an, der Richter sagt: "200 Euro allenfalls". Wir sind bei Fall 162 von 232.
"Höhepunkt der vergangenen fünf Minuten: Faktum 185 war neuerlich ein mit einem 'Reiß dich zsamm'-Pickerl überklebter 'Puber'-Tag", schreibt der Kollege vom Standard. Aber die "Reiß dich zamm"-Schriftzüge waren Stencils, und die Aktion diente als Werbung für die gleichnamige Puber-Ausstellung. Übereinstimmung allerdings bezüglich des Höhepunkts - viel mehr passiert hier einfach nicht. Nach wie vor ist fraglich, ob es hier heute bis zum Urteil kommt.
Der Staatsanwalt bringt ein neues Faktum ein, Nummer 233: Ein Unterwäsche-Hersteller beklagt die Fassade an einem Haus im 5. Bezirk, Schaden 1.620 Euro, sowie ein Haustor im 15. Bezirk, Schaden 300 Euro. Renato S. sagt zu einem Haus "kann sein", beim anderen "nein, war ich nicht".
Jetzt liest der Richter das Statement eines Zeugen vor, der ein Spraydosen-Geräusch gehört hat, drei Writer fotografieren wollte, daran aber per Handgreiflichkeit gehindert wurde. Der Zeuge rief die Polizei, doch die Writer entkamen. Einer von ihnen sei mit einem Schriftzug nur bis zu den Buchstaben "PU" gekommen. Das Graffiti wurde aber laut dem Zeugen am nächsten Tag komplettiert. Der Writer hätte mit deutschem Akzent gesprochen.
Der Anwalt geht mit Puber für Beratungen aus dem Verhandlungssaal. Als die beiden zurückkehren, sagt der Anwalt: "Keine weiteren Anträge". Schluss des Beweisverfahrens.
Der Staatsanwalt geht auf die Kritik ein, dass die Tatzeit nicht eindeutig sei und der Tatzeitraum zu groß sei. Man müsse den Zeitraum eben weiter fassen, weil sich so viele Geschädigte aufgrund der Medienberichte erst gemeldet haben. Obwohl die Höhe des Schadens von vielen Geschädigten nicht bekanntgegeben wurde, oder der Schaden von den geschädigten selbst behoben wurde, sei der Tatbestand der Sachbeschädigung gegeben. Eine Sachbeschädigung sei nicht nur das Beschädigen einer Sache, sondern auch die Verunstaltung. Wenn eine bereits besprühte Wand weiter besprüht werde, dann steige der Reinigungsaufwand.
Zur Kritik, dass undifferenziert angeklagt wurde - alles wo Puber draufstand, in die Verhandlung hineingenommen wurde, sagt der Staatsanwalt: Der Beschuldigte dürfe natürlich schweigen, das sei sein Recht. Unter gewissen Voraussetzungen dürfe man aber auch ein Schweigen des Beschuldigten werten, nämlich dann, wenn die Beweislage erdrückend sei.
Jetzt spricht der Staatsanwalt von früheren Verurteilungen des Angeklagten in der Schweiz (fünf, davon mehrere wegen Sachbeschädigung). Die Schweiz habe auch ein Rechtshilfeansuchen an Österreich gestellt. Zur Beweislage:
Es gäbe ein Video von Renato S., auf dem er ein Puber-Graffiti sprayt. S. habe nicht nur zu einer Ausgestaltung des Puber-Schriftzugs "kann sein, dass ich das war" gesagt, sondern zu allen Versionen.
Der Staatsanwalt glaubt, dass S. für alle Varianten verantwortlich ist.
Seit Renato S. in Österreich ist, sei in der Schweiz keine einzige Anzeige wegen eines Puber-Tags mehr eingegangen.
Der Staatsanwalt beendet sein Plädoyer.
Jetzt spricht der Verteidiger. Beschmutzungen und Beschmierungen seien keine Sachbeschädigungen. Sonst hätte der Gesetzgeber einen eigenen Tatbestand geschaffen, der so heißt.
Es liege in den meisten Fällen auch keine "Verunstaltung" im Sinne des Gesetzes vor, weil kein Schaden entstanden sei. Wenn der Berechtige sagt, es gebe keinen Schaden, dann habe das ein Staatsanwalt zu akzeptieren.
Der Verteidiger kritisiert den Staatsanwalt dafür, dass er die Vorstrafen von S. in der Schweiz ins Spiel bringt - diese Verurteilungen wären geringfügige Geldstrafen gewesen. Der Verteidiger zum Staatsanwalt: "Ich verstehe schon, wenn man in einem österreichischen Verfahren eine schlechte Beweislage hat, dann zieht man halt ein Verfahren aus einem anderen Land heran."
Es habe den Schriftzug Puber bereits vor der Anwesenheit von Renato S. in Wien gegeben, und auch als er bereits in U-Haft war. Im Strafverfahren müsse man mit Sicherheit sagen können, alle Schriftzüge seien von S. - das sei überhaupt nicht der Fall, das meiste sei nicht zuordenbar und für eine Verurteilung nicht ausreichend.
Jetzt zählt der Verteidiger noch einmal alle 232 Fakten auf und erklärt zu jedem, warum die Beweislage für eine Verurteilung nicht ausreichend sei. Vor allem die vielen verschiedenen Schriftzüge werden von ihm genauestens aufgezählt.
Was im Grunde übrig bleibe, sei ein Schaden, der die Grenze von 3.000 Euro nicht überschreiten werde. von der Grenze 50.000 Euro, ab der eine längere Haftstrafe im Raum stehe, sei das wert entfernt. Renato S. habe sich für einige der ihm zur Last gelegten Fakten verantwortet. Aber für die These, er sei "Puber" und für alle Tags verantwortlich, gebe es keine Beweise. Der Verteidiger sagt, es wäre legitim, eine zur Gänze bedingte Freiheitsstrafe auszusprechen, er plädiert aber für einen Freispruch.
Zwei Tage davor hat das Landesgericht für Strafsachen in Wien einen 23-jährigen Graffiti-Writer aus Großbritannien zu einer ebenfalls teilbedingten Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Genau wie im Fall Puber konnte auch dieser Writer nach dem Urteil nach Hause gehen, da seine lange Untersuchungshaft angerechnet wird.
Der Staatsanwalt fragt Renato S., was seine Motivation gewesen sei, "in Wien die Wände zu beschmieren". S. sagt, er habe sich nichts dabei gedacht. Er entschuldigt sich, dass er sich "zu diesem Blödsinn verleiten lassen" habe.
Pause bis 17:30 Uhr.
Urteilsverkündung
Richter Mendel spricht Renato S. schuldig, der Schaden übersteige aber nicht die 50.000 Euro. Der Richter zählt nun die einzelnen Schadensbeträge auf, was ziemlich langwierig ist. Alles wartet auf die Verkündung des Strafausmaßes.
Freiheitsstrafe 14 Monate, davon zehn bedingt bei einer
Probezeit von drei Jahren. Bei vier Monaten Untersuchungshaft heißt das, Renato S. geht heute nach Hause. Er muss die Prozesskosten tragen - und zivilrechtlich könnten für die zugegebenen bzw. bewiesenen Taten Schadenersatzforderungen auf ihn zukommen.
Der Richter spricht von der Unmöglichkeit, die verschiedenen Schriftzüge dem Angeklagten Renato S. zuzuordnen. Im Zweifel sei davon auszugehen, dass der Großteil der Tags nicht von ihm stamme. Die Geschädigten werden auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Renato S. hat das Urteil angenommen. Ein Interview wollte er nicht geben.