Erstellt am: 10. 6. 2014 - 10:35 Uhr
Inkonsequenz audrücklich erwünscht
![© Dominique Hammer Trent Reznor von Nine Inch Nails.](../../v2static/storyimages/site/fm4/20090625/nin1_body_small.jpg)
Dominique Hammer
Da war Trent Reznor also nun doch wieder in Wien. Sicher war es ja bekanntermaßen bis letztes Jahr nicht, ob er hier bzw. überhaupt mit den Nine Inch Nails noch einmal in Erscheinung treten würde. 2009 gedachte er ja noch, sich mit der "Farewell Tour" vom Dasein der hart dargebrachten Elektroniksounds zu verabschieden. Damals auf dem Nova Rock zwar mit einem sehr gelungenen Konzert, allerdings unter etwas unglücklichen Umständen, denn parallel spielten Metallica und wegen eines vom Regen verursachten Stromausfalls fand der Auftritt auch noch ein sehr abruptes Ende.
Fünf Jahre später in der Stadthalle konnte ihm der Regen klarerweise nicht in die Suppe spucken, ich war allerdings ein wenig skeptisch, ob ein Konzert in der Stadthalle wirklich gelingen konnte. Ein großer Fan dieser Halle bin ich nun nicht gerade und in guter Erinnerung blieben mir bisher nur die dortigen Auftritte von Tool und Depeche Mode.
Meine größte Befürchtung war, dass Reznor da einfach ein Best-Of-Programm herunterspulen und auf der Bühne eine Show abziehen würde, die bei Männern seines Alters eher peinlich anmutet.
Und so kann man sich täuschen...
Pünktlich um 21 Uhr wischte Trent Reznor vom ersten Ton an jegliche Bedenken vom Tisch und lieferte in der Wiener Stadthalle Sounds und Visuals, wie sie in dieser Qualtität wohl nur selten dort geliefert werden. Gleichzeitig machte er es weder sich noch dem Publikum zu leicht, denn die NIN-Hymnen (die natürlich auch noch kamen) wurden erst einmal vornehm zurückgehalten. Songs vom eher sperrigen Album "Year Zero" und dem aktuellen, noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangenen "Hesitation Marks" machten den Anfang, vom frenetischen Mitklatschen hielt das die anwesenden Damen und Herren ab Sekunde 1 trotzdem nicht ab.
Natürlich kamen auch die erwähnten Hits und Gassenhauer und die meisten davon (kein Wunder) vom Meisterwerk "Downward Spiral" und trotz der in meinen Ohren bisher am härtesten dargebrachten Version von "Reptile", mutete das ganze Konzert weniger wie ein Aufguss schon unendlich oft gesehener Industrial-Rock Shows an. Hier wurde der teils abgespeckten Elektronik wesentlich mehr Platz gegeben, als man es von früheren (nicht ganz frühen) Auftritten der Nine Inch Nails vielleicht gewohnt sein mag.
Geschuldet ist das möglicherweise auch der Tatsache, dass allein fünf Songs im Programm vom respektablen Album "Year Zero" stammten. Dass Reznor live je eine solche Lärmorgie wie "The Great Destroyer" bringen würde, hätte man ihm eigentlich im Jahr 2014 nicht zugetraut.
Kraftwerk 2.0.14
Die harten Gitarren blieben natürlich ebenso nicht aus wie die Gassenhauer. "Closer", "Eraser", Wish" oder "The Day The World Went Away" lassen die Herzen der NIN-Fangemeinde höher schlagen und unterm Strich bleibt der Eindruck, dass sich die Nine Inch Nails im Jahr 2014 lieber hin zu einer modernen Form von Kraftwerk entwickelt haben, bevor sie weiter auf altbackenen Industrial-Gitarrenriffs herumreiten. Das ist gut so.
![© Eva Reschreiter Nine Inch Nails, Wien](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140624/nin_wien_body.jpg)
Eva Reschreiter
Hätte Trent Reznor seine Verabschiedung der Nine Inch Nails vor fünf Jahren tatsächlich durchgezogen, wäre das natürlich extrem schade gewesen, gram wäre ihm deshalb trotzdem niemand gewesen. So sehr einen inkonsequente Abschiede diversester Bands auch nerven können, derer es in letzter Zeit zuhauf gibt, im Falle der Nine Inch Nails muss man froh sein, sie noch live erleben zu dürfen.
Die großartigen Visuals in der Bandbreite von "weniger ist mehr" über "Cinemascope Bombast" bis zu 3D-Animationen, bei denen man die Band schon fast auf einem Holodeck wähnte, wurden nur gestört durch jene unvermeidlichen Wastln, die nicht sehr smart mit ihren Phones in der Luft herumfuchtelten. Ich bleibe nach wie vor dabei, dass das die Konzertpest des 21. Jahrhunderts ist.
Das obligate "Hurt" am Ende blieb selbstverständlich nicht aus und niemand hätte wohl freiwillig die Halle verlassen, ohne diesen Song live zu hören. Erstaunlich, wie sehr einen diese schon so dermaßen oft gehörte Nummer immer noch zu berühren vermag. Dazu hätte es nicht einmal die sehr heftigen Videos im Hintergrund gebraucht, die jegliche Mitklatschversuche im Keim erstickten. Wer am Schluss nicht zumindest ein wenig feuchte Augen hatte, dem ist nicht zu helfen.
Bleibt zu hoffen, dass die Band mit dem Videomitschnitt ihres Konzerts in Wien zufrieden ist und dieser auch bald veröffentlicht wird. Gut jedenfalls, dass Trent Reznor auf seinen Abschied vor fünf Jahren gepfiffen hat und die Nine Inch Nails auch live hat erwachsen werden lassen. Inkonsequenz ist in diesem Fall nicht nur eine gute Sache, sondern spätestens nach diesem fulminanten Konzert ausdrücklich erwünscht.