Erstellt am: 26. 5. 2014 - 18:12 Uhr
Sesselrücken in Brüssel
Das Büro des Kommissionpräsidenten der Europäischen Union (EU) liegt an der Rue de la Roi, der Straße des Königs, im Brüsseler Europaviertel. Ein passender Name für den wichtigen Posten im komplexen Gefüge der EU. Die Kommission nimmt in der supranationalen Konstruktion der EU die Aufgaben der Exekutive wahr und entspricht damit annähernd einer Regierung in einem staatlichen System. Mit einem gewichtigen Schönheitsfehler: Die Kommission hat das alleinige Initiativrecht im EU-Gesetzgebungsverfahren, also das Recht einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorzulegen.
Machtkampf
Nach den Europawahlen und bevor das Parlament überhaupt noch ordentlich angelobt werden kann, steht nun also erstmals ein spannender Machtkampf um diesen wichtigen Posten bevor. Seit dem Vertrag von Lissabon müssen nämlich die Staats- und Regierungschef bei der Bestellung des neuen Oberkommissars das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Bislang wurde das unter weitgehendem Ausschluss des Europaparlaments und der Öffentlichkeit in Hinterzimmern beim Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU entschieden.
Die großen Fraktionen sind dieses Mal allerdings unter Berufung auf diese Reform im Vertrag von Lissabon mit europäischen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf gegangen und pochen nun auf die Schlüsselposition. Das Vorschlagsrecht, über welchen neuen Kommissionschef im EU-Parlament abgestimmt werden kann, liegt freilich weiterhin alleine bei den Staats-und Regierungschefs und diese werden sich zunächst einmal an einem Kandidaten orientieren, über den weitestgehend Konsens bei den Staatsoberhäuptern herrscht.
Wer bekommt die Mehrheit?
Die zweite Hürde wird dann das EU-Parlament sein, und die Frage ob der/die KandidatIn dort eine Mehrheit hinter sich vereinen kann. Und hier liegt der Knackpunkt: Weder die Europäische Volkspartei (EVP) noch die Sozialdemokraten (S&D) haben mehr als die Hälfte der Sitze im Europaparlament errungen. Für eine Mehrheit braucht es 376 Stimmen. Die EVP kommt nach derzeitigen Hochrechnungen auf 214 Mandate (Minus 60 Mandate) die S&D (Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten) auf 189 Mandate (Minus 7 Mandate). Die einfachste Variante, eine "große Koalition" zwischen Volkspartei und Sozialdemokraten scheint derzeit noch nicht in Stein gemeißelt. Sowohl Jean-Claude Juncker (EVP) als auch sein Widersacher Martin Schulz (S&D) halten ihre Ambitionen auf den Kommissionspräsidenten weiterhin aufrecht.
Markus Schreiber
Schwierige Mehrheitsfindung
Eine Mehrheitsfindung abseits einer "großen Koalition" wird allerdings sehr schwierig werden. Schon alleine wegen der Tatsache, dass nach derzeitigen Berechnungen mehr als hundert Fraktionslose - bzw. neue Mitglieder noch ohne Fraktion - ins EU-Parlament einziehen werden. Sie könnten das Zünglein an der Waage sein. In dieser Gruppe befinden sich allerdings viele EU-skeptische und nationale Rechtsaußen-Parteien, die die EU ihrer Befugnisse beschneiden oder überhaupt auflösen will. Dazu gibt es auch die 38 Abgeordnete der EFD (Europa der Freiheit und Demokratie) zu der die EU-Gegner der britischen United Kingdom Independence Party (UKIP) ebenso zählen wie die der italienischen Lega Nord, mit denen es ebenfalls schwierig sein wird eine Basis zur Zusammenarbeit zu finden.
Entscheidung beim Abendessen?
Diese Planspiele und Überlegungen im Parlament sind aber sowieso hinfällig, sollten sich die Staats- und Regierungschefs am Dienstag trotz öffentlichem Druck für einen ganz anderen, eigenen Kandidaten entscheiden. Als Erklärung würde dann wahrscheinlich auf die schwierige Mehrheitsfindung im EU-Parlament verwiesen. Bei einem Abendessen beim nächsten EU-Gipfel am Dienstag wollen die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder über die Personalfrage beraten. Dabei soll es aber noch keine Festlegungen auf Personen geben, sondern nur über das neue Verfahren, wie ein neuer Präsident gefunden werden kann, gesprochen werden. Heißt es zumindest aus dem Büro von EU-Ratspräsident und Gipfelorganisator Herman Van Rompuy.
Orban und Cameron gegen Juncker
Dass das tatsächlich so sein wird, ist zu bezweifeln, sieht man sich die Diskussionen an, die schon am Wahlabend entbrannt sind. Großbritanniens Regierungschef David Cameron will sich bei der Besetzung nicht dreinreden lassen und soll nach Medienberichten Junckers Nominierung zum EU-Kommissionspräsidenten kritisch gegenüberstehen. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban soll Juncker ablehnen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich abwartend und will erstmal diskutieren.
Europa Parlament
Fahrplan
Bis eine neue Kommission in Amt und Würden ist, wird also noch einige Zeit vergehen. Zwischen 5. und 17. Juni werden sich die bestehenden Fraktionen für das neue EU-Parlament konstituieren. Dann wird fix sein, wie groß die Fraktionen sind und wem sich die zahlreichen Neuzugänge angeschlossen haben.
Einen Monat nach der Wahl, am 26. und 27. Juni, treffen sich die Staats- und Regierungschefs erneut in Brüssel zu einer formellen Sitzung des Europäischen Rates. Dabei könnte bereits die Entscheidung über den Vorschlag der Staaten für den Kommissionspräsidenten getroffen werden.