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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

13. 5. 2014 - 18:28

Was für EU-Wahlen?

Junge Bulgaren interessieren sich nicht für die Wahlen zum Europaparlament. Davon profitieren die Parteien, die für einen EU-Austritt und eine Annäherung an Russland sind.

Mein Mitbewohner Stefan ist 1993 geboren. Vier Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Zu dieser Zeit war ich in der ersten Volksschulklasse. Mein größter Schatz war damals ein Lego-Set mit Rittern. Unter den Rittern befand sich auch ein Geist, den man in einem Legokerker einsperren konnte. Mein Vater fragte mich immer, ob ich das Gespenst ganz gut eingesperrt hätte. Als ich ihn fragte, warum ihn das so sehr interessiere, sagte er nur: "Weil das Gespenst der Kommunismus immer noch in Europa herumwandert."

Anscheinend war das Gespenst nicht gut verschlossen, da nur ein Jahr danach die Bulgaren den ehemaligen Kommunisten wiedergewählt haben. Diese Regierungsperiode endete mit einer Hyperinflation. Daran erinnere ich mich ganz gut. Wir hatten Geldscheine mit mehreren Nullen und wir scherzten, dass Bulgarien das Land mit den meisten Millionären der Welt ist.

Bulgarien wurde in der EU aufgenommen als Stefan im Gymnasium war. Jetzt sind die ersten Europaparlamentswahlen, wo Stefan auch wählen darf. Bis gestern, als ich ihn fragte, wen er wählen wolle, wusste er nicht, dass es so etwas wie Europaparlamentswahlen gibt.

Außenaufnahme des Europäischen Parlaments in Straßburg

CC BY-SA 2.0 von flickr.com/niksnut/

CC BY-SA 2.0 Europäisches Parlament in Straßburg

Erst vor einigen Monaten haben sich junge Menschen wie Stefan vor dem Parlament in Sofia versammelt. Sie verlangten den Rücktritt der Regierung, die einen dubiosen Medienoligarchen zum Chef der bulgarischen CIA bestellt hatte. Jetzt ist der gleiche Medienmogul an zweiter Stelle der Europawahlliste von einer der regierenden Parteien, der ethnisch türkischen DPS, die ein vollwertiges Mitglied der Partei der europäischen Liberalen ALDE ist. In Bulgarien herrscht die weit verbreitete Meinung, dass so der unangenehme Oligarch so weit weg vom nationalen politischen Geschehen verlegt wird, um die gesellschaftliche Meinung nicht zu stören. Oder er ist wieder im Rampenlicht, um die Menschen zu verstören, denn zur Wahltaktik der DPS gehört es oft, Skandale zu produzieren um den interethnischen Frieden zu stören und ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Es ist sehr gut möglich, dass bei diesen Wahlen DPS nicht nur vier Abgeordnete im Europaparlament bekommt, wie bei den letzten Wahlen, sondern fünf oder sogar sechs. Das ist möglich, weil ihre Wählerschaft zu 100% zu den Urnen gehen wird und die Menschen wie Stefan nicht.

Die Europaparlamentswahlen werden in Bulgarien genau wie überall anders im Schatten der Ukrainekrise durchgeführt. In Bulgarien ist das aber viel wichtiger. Erstens weil die Ukraine viel näher ist – von Varna bis Odessa ist es weniger weit, als von Varna bis zur Hauptstadt Sofia, und in Odessa wird Blut vergossen. Und zweitens, weil es immer noch viele Menschen gibt, die Nostalgie zum Kommunismus empfinden. Für sie repräsentiert Putin die Macht der ehemaligen UDSSR. Die Wähler von drei der bei den Europaparlamentswahlen antretenden Parteien in Bulgarien befürworten einen EU-Austritt und eine Annäherung an Russland. Das sind die extremen Rechten von "Attacka" (diese "nationalistische" Partei eröffnete sogar ihre Wahlkampagne in Moskau), die momentan mitregierenden "Sozialisten", die von den ehemaligen Kommunisten abstammen, und die sich von ihnen abgespaltenen Anhänger des ehemaligen Präsidenten Parvanov (die man als direkte Agenten der russischen Atomlobby verdächtigt).

Trotzdem interessieren Stefan die Europaparlamentswahlen in Bulgarien gar nicht. Er löst seinen Blick nicht vom Computerbildschirm, wo er unaufhörlich die Horden der Finsternis ermordet. Ohne zu wissen, dass "die Horden der Finsternis" in uns selbst sind.