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Veronika Weidinger

13. 5. 2014 - 15:23

Von wegen Nomaden

Mangelndes Wissen fördert Diskriminierung. In der EU sehen Roma-Vertreter mehr Information und Aufklärungskampagnen als ersten und wichtigsten Schritt einer EU-Roma-Integration.

Roma seien Nomaden, meinen viele. Doch nur ein geringer Prozentsatz der europäischen Roma-Bevölkerung, etwa fünf Prozent, ist freiwillig unterwegs.

Ein großer Teil, nämlich geschätzt 2,7 Millionen der europäischen Roma, leben in Rumänien und Bulgarien. Insgesamt leben in der Union zwischen 8 und 12 Millionen Roma.

Roma-Migranten verlassen ihre Heimatländer nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sie gehen, weil sie vor Ausgrenzung und Rassismus flüchten. Das ist die Einschätzung von Rudko Kawczynski. Vor allem in den östlichen EU-Ländern sieht der Präsident des European Roma and Travellers Forum massive menschenrechtliche Probleme für die Minderheit: Ausweisung von Roma, Mauern, die vor einer Roma-Siedlung aufgezogen werden, Gewalt gegenüber Roma, rassistische Diskurse, weil ein blondes Mädchen in einer Roma Familie lebt,...

Im Gespräch über die alltägliche Diskriminierung von Roma in der EU meinte die Künsterlin Marika Schmiedt, selbst Romni, letzten Herbst: Europa müsste schreien. Tut es aber nicht.

Eingestehen eines Antiziganismusproblems

Wir leben in Europa in einer eigenständigen Form der Apartheid, des Antiziganismus, sagt Rudko Kawczynski. Es gibt keinerlei Strategien, weder von Nationalstaaten, noch von der europäischen Kommission, so etwas systematisch zu bekämpfen. Es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Man kann mit dem sogenannten Zigeuner tun und lassen, was man will. Auch ein Grundrecht der EU, das Recht auf Freizügigkeit, wurde im Zuge der Ausweisung von Roma aus Frankreich 2010 in Frage gestellt. Hier muss man sich, wie ein Alkoholiker, eingestehen in Europa: wir haben ein Rassismus-, ein Antiziganismusproblem und das hat nichts mit den Roma zu tun, sondern mit der Mehrheit. Wir brauchen eine Mehrheitspolitik, die ein Unrechtsbewusstsein schafft und den Roma gleichzeitig das Gefühl gibt, willkommen zu sein.

European Roma Summit 2014

European Commission

Protestaktion am European Roma Summit 2014

Antiromanismus in Europa - Künstlerin Marika Schmiedt dokumentiert laufend, hier.

Roma-Strategie der EU

Dabei ist auch Antidiskriminierung ein Teil der sogenannten Roma-Strategie, auf die sich EU-Staaten 2011 geeinigt haben. Ein sehr positives und wichtiges Signal, wie Mirjam Karoly meint, sie leitet die Kontaktstelle für Fragen der Roma und Sinti bei der OSZE. Zum ersten Mal, so Karoly, besteht damit das politische Commitment, dass sich die einzelnen Mitgliedsstaaten zur Integration von Roma bekennen.
Konkret soll die Situation der Roma-Bevölkerung in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnverhältnisse verbessert werden – die einzelnen Länder verpflichten sich, über ihre jeweiligen Maßnahmen regelmäßig zu berichten.

Weniger euphorisch zeigt sich Kawczynski über die EU-Strategie. Spezielle Roma-Programme oder eigene Roma-Schulen können zur weiteren Segregation beitragen. Der Roma-Vertreter kritisiert außerdem, dass damit die Verantwortung der Staaten gegenüber ihren Bürgern, also auch Minderheiten, auf eine multinationale Ebene gehievt wird, Roma damit noch weniger als Staatsbürger, denn als EuropäerInnen gesehen werden.
Den Wunsch mancher EU-Staaten die Roma-Integration als multinationales Thema zu begreifen, kritisiert auch Mirjam Karoly von der OSZE, sei doch jedes einzelne Land dafür verantwortlich, dass die Roma dort ihr Leben verwirklichen können, mit allem, was dazu gehört.

Die Ausgangslage in den jeweiligen Nationalstaaten ist aber recht unterschiedlich. Sie hängt davon ab, wie groß die Roma-Minderheit ist, inwieweit sie integriert ist, wo konkret die Problemlagen sind. In Österreich oder Finnland ist die Situation der jeweils rund 40.000 Roma ganz anders, als eben etwa in Spanien oder in Bulgarien, wo jeweils an die 700.000 Roma leben.
Gezielte, von der EU geförderte Projekte können nur dann längerfristig wirken, wenn sie Teil der lokalen politischen Agenda werden, meint Mirjam Karoly. Politiker vor Ort müssen also dazu und dahinter stehen; doch in Zeiten, in denen alte Stereotypen und Vorurteile gegenüber Roma wieder an Popularität gewinnen, Ressentiments Wahlerfolge versprechen, geht die Tendenz in die andere Richtung.

Vor wenigen Monaten hat der erste Antiziganismus-Bericht über Stereotypen und Vorurteile gegenüber Roma in Österreich informiert.

Sensibilisierung schlägt ins Gegenteil um

In den letzten 20 Jahren, so Karoly, wurde eine gewisse Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber Roma erreicht. Gerade in den letzten fünf, sechs Jahren geht es aber in eine andere Richtung. Karoly bezeichnet die aktuelle Medienberichterstattung als "sehr ewig gestrig".
Für Rudko Kawczynski weiß die Mehrheitsgesellschaft wenig bis gar nichts über die größte Minderheit Europas, damit wird deren Geschichte dem Boulevard überlassen, ein häufig rassistischer, auf alten Vorurteilen basierender Diskurs. Der Roma Vertreter fordert Information und Aufklärungskampagnen, sieht das auch als ersten und wichtigsten Schritt einer EU-Roma-Integration – erst ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Roma kann etwas verändern.

Oder, wie es Marika Schmiedt formuliert: Es gibt tagtäglich neue Belege dafür, was abgeht in Europa. Es gibt irgendwie kein Unrechtsbewusstsein mehr oder die Leute sind irgendwie schon so abgestumpft und vergessen das Allerwichtigste, dass im Grunde genommen alle betroffen sind. Weil solche Repressionen, die wirken sich nicht nur auf eine Gruppe aus, das betrifft letztlich alle.

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