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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

13. 5. 2014 - 18:15

Drei Prozent

Das ist der Anteil an EU-BürgerInnen, die nicht in ihrem Herkunftsland leben und arbeiten. Warum so wenig? Gründe sind unter anderem die Sprachenvielfalt, Angst vor Verlust von Arbeitszeiten oder sozialen Bindungen.

"Ich habe in Spanien sechs Monate lang versucht eine Arbeit zu finden", erzählt Javier, "aber das war unmöglich, die Krise ist einfach zu groß." Seit einem Monat ist er in Wien und auf Jobsuche. Davor hat er fünf Jahre in New York bei einer Bank als Controller gearbeitet.

Javier González-Sinde

Javier González-Sinde

Auf die Dauer sind ihm die USA aber zu weit weg, seine Eltern werden älter, daher wollte er gerne nach Europa zurückkommen. "Da ich deutsch spreche, habe ich mir gesagt, ich versuche ich es jetzt in Wien. Einfach weil es hier nicht viele Arbeitslose gibt und Spanien ist in 2 bis 3 Stunden mit dem Flugzeug erreichbar."

EU-Binnenmigration ist bescheiden

Zahlen und Daten zur Migration hat zum Teil auch Veronika Weidinger recherchiert

Javier ist einer von rund 14 Millionen EU-BürgerInnen, die in einem anderen Land leben. Das klingt viel, ist aber im Verhältnis zur EU-Gesamtbevölkerung sehr wenig, sagt Soziologin Stefanie Smoliner, nämlich nur drei Prozent. "Die EU-Binnenmigration ist entgegen der Erwartungen bescheiden".

Etwa zwei Drittel dieser Mobilen verteilen sich auf nur fünf Staaten, nämlich auf die größten westlichen Länder: auf Deutschland, Spanien, Großbritannien, Frankreich und - das beliebteste Ziel für AuswanderInnen - Italien. So sind zwischen 2005 und 2010 411.000 Menschen nach Italien gezogen.

Vor der Wirtschaftskrise ging die Migration innerhalb der EU, die mit der Osterweiterung zugenommen hat, vor allem von Ost nach West. BaltInnen und PolInnen sind vor allem in Richtung Großbritannien und Irland, RumänInnen und BulgarInnen Richtung Italien und Spanien gezogen.

Und Österreich? In Österreich kommt knapp die Hälfte aller ZuwandererInnen aus der EU. Den größten Teil machen dabei die Deutschen aus. Danach folgen Rumänien und Ungarn. ÖsterreicherInnen selbst wandern hingegen vor allem nach Übersee – meistens die USA – aus. In Europa sind dann Deutschland und die Schweiz die beliebtesten Ziele.

Grafik, die das österreichischen Ein- und Auswanderungssaldo darstellt

Statistik Austria

Gründe nicht auszuwandern

In Krisenzeiten, heißt es, ist Migration tendenziell rückläufig - und tatsächlich, zwischen 2007 und 2010 sind innerhalb der EU weniger Menschen gewandert. Das hat einen ganz einfach Grund: Auswandern kostet Geld. Übersiedeln, Wohnung suchen, Job suchen - man braucht einen Grundstock an Ersparnissen, um die Zeit zu überbrücken, bis man einigermaßen gesettelt ist. Auch Javier berichtet, dass er mit Erspartem nach Österreich gekommen ist, und derzeit auch davon lebt.

Auch dass man berufliche Netzwerke erst wieder neu aufbauen muss, kann sogar schlechter für die Karriere sein, als wenn man an seinem Ursprungsort bleibt. Viele schreckt auch ab, ihren Freundeskreis zurück zu lassen. Manche wollen oder können die Familie gar nicht verlassen, weil sie gebraucht werden. "Es ist schon hart" sagt Javier auf die Frage, wie es ist, das Umfeld hinter sich zu lassen. "Es ist aber viel leichter als noch bei unseren Eltern", meint Miguel. "Wir sind die Generation RyanAir und die Generation Skype - mit den wirklich wichtigen Leuten kann man in Kontakt bleiben."

Dass nur so wenige Menschen innerhalb der EU wandern, hat aber noch viele andere Gründe. Zum Beispiel ist Sprache noch immer eine Barriere, um einen angemessenen Job zu finden. Aber auch die Anrechnung von Berufserfahrung, auf den neuen Job genauso wie auf den Pensionsanspruch. Ein wichtiger Punkt ist auch die Anerkennung von Bildungsqualifikationen: Viele Menschen haben Angst, dass sie unter ihrem Bildungsniveau beschäftigt werden.

Obwohl die EU-Personenfreizügigkeit das alles gewährleisten sollte, sieht die Realität anders aus. Vor allem Migrantinnen aus den Ländern, die mit der EU-Osterweiterung dazu gekommen sind, arbeiten doppelt so oft in Jobs unter ihrem Bildungsniveau als BürgerInnen aus den "älteren" EU15-Staaten.

Gründe auszuwandern

Auch sonst lässt sich ein Unterschied zwischen Ost und West ausmachen: MigrantInnen aus den EU-Osterweiterungsländern wandern häufig aus ökonomischen Gründen aus: Sie sind auf der Suche nach besserbezahlten Jobs. Menschen aus den EU15, also den "älteren" EU-Ländern, gehen eher aus persönlichen Gründen: Sei es der Liebe wegen oder weil sie generell ihre Lebensqualität verbessern wollen. Unter letzterem kann man zum Beispiel jene Deutschen oder BritInnen verbuchen, die im Alter an die spanische Südküste ziehen, um dort das angenehmere Wetter zu genießen.

Im Allgemeinen sind Migrationsentscheidungen sehr komplex, erklärt Stefanie Smoliner. Wie zum Beispiel bei Miguel: Er ist Architekt und seit 2010 in Wien. Damals hat der gerade ein sechsmonatiges Praktikum in Wien gemacht. Weil dann die Krise in Spanien so richtig losgegangen ist, ist er einfach dageblieben. Aber für ihn war das nicht der einzige Faktor: Er hatte sich in Wien nach sechs Monaten einen Freundeskreis, ein "zweites Leben" wie er es nennt, aufgebaut. Und er fühlt sich wohl in der Stadt: "Málaga in Südspanien, wo ich herkomme, ist eine schöne Stadt mit guter Lebensqualität", sagt er. "Aber zum Leben vielleicht besser, wenn man etwas älter ist. Wien ist eine gute Stadt, um jung zu sein. Ich genieße das Kulturangebot, gehe viel auf Konzerte, habe sogar meine eigene Band."

Das deckt sich mit den Daten, die Stefanie Smoliner in den Migrationsstudien findet: Neben besseren Karrierechancen oder Gehältern sind soziale Faktoren ausschlaggebend – kenne ich schon jemanden in dem Zielland, habe ich vielleicht Verwandtschaft dort? – und individuelle: Das können Liebe oder PartnerInnenschaft genauso sein, wie die Faszination für einen gewissen Kulturkreis oder das bereits erwähnte bessere Wetter.

Migration in Europa

European Parliamentary Research Service

40% aller MigrantInnen in Europa sind BinnenmigrantInnen, kommen also aus einem anderem EU-Land. Am höchsten ist diese Quote mit 86% in Luxemburg, am niedrigsten mit 2% in Lettland.

Aus der Krise

Inzwischen aber gibt es in einigen sogenannten "kerneuropäischen" Ländern, also Deutschland und Großbritannien, wieder mehr Zuwanderung, viele kommen aus Südeuropa; jüngere Menschen, gut qualifiziert, die zuhause - in Portugal, Griechenland und Spanien - keinen Job finden. Dazu meint Stefanie Smoliner: "Aktuell verzeichnen die Krisenländer sehr hohe Migrationsraten von hochqualifizierten BürgerInnen. Die Länder machen sich auch Sorgen, wie das in Zukunft weitergehen wird."

Javier und Miguel könnten sich beispielsweise beide vorstellen, länger in Österreich zu bleiben. Miguel entscheidet das von Jahr zu Jahr. Allerdings, meint er: "Die spanischen Medien und die Regierung sagen, sie haben die AkademikerInnen nur ‚verborgt‘, und dass sie nach einer Zeit wiederkommen. Ich bin mir da nicht so sicher. Denn wenn eine Krise so lange dauert, schlagen die Leute dort Wurzeln, wo auch immer sie in der Zwischenzeit sind. Sie verlieben sich, gründen vielleicht eine Familie oder bauen Firmen auf. Diese Leute werden nicht mehr zurückkommen!"

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